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Rentenpaket
"Ungerechtigkeit verschärft"

Der Volkswirtschaftler Bernd Raffelhüschen hält das neue Rentenpaket der Großen Koalition für ungerecht. Nur wenige Jahrgänge würden davon profitieren, während die junge Generation stark belastet werde, sagte er im Deutschlandfunk. Die Mütterrente nennt er ein "Nullsummenspiel".

Bernd Raffelhüschen im Gespräch mit Gerd Breker | 23.05.2014
    Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen.
    Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen. (picture alliance/ dpa / Patrick Seeger)
    Gerd Breker: Im Kern ist es heute nur noch der formale Akt. Das Rentenpaket der Großen Koalition ist in der Koalition mehrheitsfähig, das wissen wir schon länger. War es doch ein mehr oder weniger friedliches Geben und Nehmen: Ihr bekommt eure Mütterrente und wir bekommen unsere abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren oder umgekehrt, je nach Standort. Es wird in jedem Fall teuer. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt, wir können uns das jetzt leisten, wobei die Betonung wohl auf dem Jetzt liegt. Spätere Generationen werden dann wohl so ihre Mühe haben.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Bernd Raffelhüschen. Guten Tag, Herr Raffelhüschen.
    Bernd Raffelhüschen: Guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Wie nachhaltig sind aus Ihrer Sicht die derzeitigen Änderungen an der Rente?
    Raffelhüschen: Nun, was die Nachhaltigkeit angeht, haben wir heute ihr den schlimmsten Gefallen getan, den man hier machen kann. Man hat die Nachhaltigkeit im Prinzip, die wir versucht haben herzustellen mit den Reformen der letzten Jahrzehnte, schlichtweg wieder ins Ungleichgewicht gebracht.
    Breker: Warum?
    Raffelhüschen: Nun, man hat Wahlkampfgeschenke refinanziert über zukünftige Beitragszahllasten. Man hat den Müttern gesagt, ihr kriegt halt mehr Rente. Man hat ihnen vergessen zu sagen, dass das gleichbedeutend ist damit, dass die Kinder, die den Grund für diese Rentenerhöhung darstellen, genau dasselbe wiederum zahlen, dass das in sich genommen ein Nullsummenspiel ist. Und man hat den privilegierten Rentnern Deutschlands, nämlich denen, die wirklich mit einem doppelten Durchschnitt Rentenbezieher sind, noch mal zusätzlich ein Geschenk verteilt.
    "Man hat also Ungerechtigkeit verschärft"
    Breker: Wurde denn wenigstens eine Gerechtigkeitslücke aus Ihrer Sicht geschlossen?
    Raffelhüschen: Ganz im Gegenteil. Man hat das sehr, sehr ungerecht gemacht. Denn man hat ja bestimmten Jahrgängen ein Geschenk jetzt refinanziert über zukünftige Beitragszahler, und diese Jahrgänge sind die, die, sagen wir mal, zwischen 1950 und 1965 geboren sind. Alle anderen Jahrgänge haben nichts davon. Man hat also die Ungerechtigkeit verschärft und in sich genommen muss man sich ganz klar machen: Wer 45 Jahre ohne Arbeitslosigkeit oder quasi ohne Arbeitslosigkeit Beiträge gezahlt hat, das ist nicht der Dachdecker, das ist nicht der Bauarbeiter, das sind nicht Frauen. Das sind diejenigen, die eine Lehre gemacht haben und dann durchgängig durchgearbeitet haben. Das ist der Edelfacharbeiter, der im Durchschnitt 2.000 Euro Rente bekommt, dann noch mal Betriebsrente bekommt und jetzt auch noch ein Geschenk, refinanziert über die anderen.
    Breker: Unser Rentensystem, Herr Raffelhüschen, besteht ja auf dem berühmt berüchtigten Generationenvertrag. Was jetzt eingezahlt wird, das wird auch jetzt ausgezahlt für die jetzige Rente. Ist das auf Dauer, angesichts des demografischen Wandels, noch tragfähig?
    Raffelhüschen: Das haben wir ja damals in der Kommissionsarbeit gemacht, ganz klar zu sagen, es ist auf Dauer so nicht tragfähig, wir müssen Adjustierungen vornehmen. Diese Adjustierungen waren, den Leuten zu sagen, dass man, wenn man keine Kinder in die Welt setzt, dann immer länger arbeiten muss und dafür weniger Rente bekommt. Das war die Quintessenz. Und eigentlich war auch alles erledigt. Wir haben die Rente sicher gemacht mit den Nachhaltigkeitsfaktoren, mit der Rente mit 67. All das waren die richtigen Entscheidungen. Und jetzt kommt die komplette Rolle rückwärts. Und alles das, was wir aus demografischen Gründen gemacht haben, soll falsch sein? Ich kann es nicht verstehen. Und mit mir geht es der gesamten Wissenschaft so und selbst die Rentenversicherung hat ganz, ganz klar gesagt, dass alle Weichenstellungen bis auf die Erwerbsminderungsrente schlichtweg in die falsche Richtung führen.
    Breker: Sprich Kinderlose sind immer noch gegenüber Familien im Vorteil?
    Raffelhüschen: Das stimmt so nicht ganz. Kinderlose sind bei der Rentenversicherung dann abgesichert, wenn sie einzahlen, und Kinderhabende sind es genauso. Die Rentenversicherung belohnt Kinder durch die Entgeltpunkte, also die drei für die nach '92 und die zwei dann für vor '92 geborene Kinder, und das sind die Leistungen, die wir dort honorieren. Ansonsten ist das Lebensleistungsprinzip: Wer viel zahlt und lange zahlt, kriegt viel, und wer wenig zahlt und kurz zahlt, kriegt wenig.
    "Wir brauchen die umlagefinanzierte Alterssicherung"
    Breker: Herr Raffelhüschen, nun haben Kollegen von Ihnen ausgerechnet, dass in Zukunft kaum noch einer das herausbekommt, was er in die Rente einzahlt.
    Raffelhüschen: Das ist natürlich schwierig für die Zukunft zu prognostizieren. Wir haben das selbst auch gerechnet. Die Renditen, die wir da haben in der gesetzlichen Rentenversicherung, waren ursprünglich sehr gut, weil einfach auch schlichtweg demografisch alles geklappt hat, und inzwischen sind sie für diejenigen, die heute, sagen wir mal, jung sind, deutlich schlechter. Dennoch, man muss sich ganz klar machen: Wir brauchen die umlagefinanzierte Alterssicherung, um eine gewisse Basisversorgung in der Bevölkerung herzustellen, und genau diese Rolle soll sie spielen und genau auf diese Rolle haben wir sie auch reduziert. Jetzt werden wieder alle, sagen wir mal, Fortschritte der letzten Jahrzehnte infrage gestellt.
    Breker: Und man wird weiterhin aufgefordert, selber kapitalgedeckte Altersvorsorge anzulegen. Aber das ist ja eigentlich bei Niedrigzinsen auch so eine Art Kapitalvernichtung?
    Raffelhüschen: Das ist richtig. Der Realzins ist nicht besonders hoch beziehungsweise sogar schon negativ. Die privat ersetzende Altersvorsorge hat gewisse Akzeptanzprobleme, das muss man ganz klar sehen. Auch die betriebliche Altersvorsorge ist so eine Geschichte in manchen Refinanzierungsstrukturen. Alles ist eigentlich wieder in Unsicherheit und das hätten wir nicht tun sollen.
    Breker: Gibt es einen Aufstand der Jüngeren demnächst?
    Raffelhüschen: Im Bundestag ganz offensichtlich nicht. Alle jungen Gruppen der Parteien haben schlichtweg versagt, denn sie sollten Interessen für die junge Generation vertreten. Das haben sie hier und heute nicht getan.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen. Herr Raffelhüschen, ich danke für dieses Gespräch.
    Raffelhüschen: Bitte schön, Herr Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.