Dienstag, 23. April 2024

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Rentenreform
"In sich widersprüchlich und undurchdacht"

Das von der Bundesregierung geplante Rentenpaket sei unlogisch und passe nicht in die Zeit einer alternden Gesellschaft, sagte der Rentenexperte Axel Börsch-Supan im Deutschlandfunk. Es sei es auch zum großen Teil in sich widersprüchlich.

Axel Börsch-Supan im Gespräch mit Silvia Engels | 04.04.2014
    Ein rotes Riesen-Paket als Protest der Partei Bündnis 90/Die Grünen mit der Aufschrift "Die teuerste Mogelpackung aller Zeiten" steht vor dem Reichstagsgebäude in Berlin.
    Kritik an der Rentenreform gibt es von vielen Seiten. Der Rentenexperte Axel Börsch-Supan nennt sie in sich widersprüchlich. (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Christoph Heinemann: Im Deutschen Bundestag hat gestern Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) das Rentenpaket der schwarz-roten Bundesregierung verteidigt. Es soll am 1. Juli in Kraft treten und es ist Nahles’ erster "großer" Wurf, an dessen Erfolg auch sie persönlich gemessen werden dürfte. Da ist zum einen die Rente mit 63, die unter Verdacht steht, einen Anreiz für eine Frühverrentung zu bilden. Daneben umfasst das Rentenpaket die sogenannte Mütterrente. Etwa zehn Millionen Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern sollen ab Juli eine höhere Rente erhalten. Linkspartei und Grüne warfen Union und SPD vor, die Probleme nur oberflächlich anzugehen. Stimmen aus dem Arbeitgeberlager dagegen warnten davor, dass Rentenpläne und Mindestlohn die Lohnstückkosten nach oben trieben und damit die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdeten. - Meine Kollegin Silvia Engels hat dazu gestern mit dem Münchner Sozialrechtsexperten Axel Börsch-Supan vom Max-Planck-Institut gesprochen und ihn zu Beginn gefragt, ob er das Rentenpaket für gerecht hält.
    Axel Börsch-Supan: Gerecht ist schwierig. Was für den einen gerecht ist, ist für den anderen ungerecht. Fangen wir mal bei der Mütterrente an. Meine Frau wird davon sehr profitieren, aber die jüngere Generation muss dafür zahlen. Für meine Frau ist es gerecht und die jüngere Generation, die empfindet das als ungerecht. Das ist immer etwas sehr Schwieriges. Man könnte das gerechter machen zum Beispiel dadurch, dass man es nicht aus Rentenbeiträgen finanziert, sondern aus allgemeinen Steuern, wie das auch normalerweise bei solchen Dingen üblich ist. Dann würden das nämlich alle finanzieren und nicht nur die jüngere Generation.
    Silvia Engels: Was denken Sie, warum man diesen Weg nicht beschritten hat?
    Börsch-Supan: Weil man fürchterliche Angst hat, dass man dann von den Wählern 2017 abgestraft wird, weil man nämlich die Steuern erhöhen müsste.
    Engels: Wie ist das mit der Rente mit 63? Kritiker wie der frühere SPD-Chef Müntefering sagen ja, die Regel sei ungerecht, weil sie auch nur ein paar Rentnergenerationen bevorzugen würde. Ist das so?
    Börsch-Supan: Ja, das ist so. Da hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Das ist wieder die gleiche Schose. Diejenigen, die zwischen ungefähr 1950 und 1964 geboren sind, werden davon begünstigt, und die, die jünger sind, müssen dafür zahlen. Ob das gerecht ist, wage ich zu bezweifeln.
    Engels: Die Bundesregierung verteidigt ja ihr Rentenkonzept damit, dass viele Menschen in sehr harten Jobs, auch körperlich harten Jobs es gar nicht bis zum offiziellen Renteneintrittsalter schaffen könnten, und dass sie deshalb so hohe Rentenabschläge erleiden, sei ungerecht.
    Börsch-Supan: Ja, da ist schon was dran, aber nicht bei der Rente mit 63, denn die kommt denjenigen zugute, die im Schnitt ungefähr 25 Prozent mehr verdienen als der Durchschnitt. Das sind eben gerade nicht die Malocher, die Stahlkocher, die Ewigkeiten physisch hart gearbeitet haben, sondern das sind im wesentlichen sehr hoch qualifizierte Facharbeiter, die auch relativ lange Ausbildungszeiten haben. Da stimmt das Argument einfach nicht.
    Axel Börsch-Supan, Direktor am Münchener Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, sitzt am 06.06.2012 in München in seinem Büro.
    Axel Börsch-Supan, Direktor am Münchener Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik (Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik/dpa)
    Engels: Wie könnte man denn hier etwas mehr Ausgleich schaffen, dass die Malocher zum Zuge kommen und diejenigen, die vielleicht einen angenehmeren Schreibtischjob hatten und noch fit sind, eher nicht?
    Börsch-Supan: Ich denke nicht, dass man das über die Rente ausgleichen soll, sondern eine der großen Aufgaben unserer Gesellschaft, der alternden Gesellschaft ist es, schon relativ frühzeitig die Menschen aus harten Jobs rauszuholen und eher in Schreibtischjobs zu bringen. Sie kennen alle den berühmten Dachdecker. Der soll natürlich nicht bis 65 oben auf dem Dach stehen, sondern schon mit 50, 55, wann immer, lieber Dachziegel verkaufen, anstatt Dachziegel auf dem Dach anbringen. Und das kriegen wir nicht gut hin.
    Engels: Die Rente mit 63 hat noch eine andere Komponente, die Schwierigkeiten machen könnte. Experten fürchten, dass nun wieder massenweise Frühverrentung einsetzt, und zwar bei denen, die gut und gerne noch fit genug für die Arbeit sind. Was könnte hier passieren?
    Börsch-Supan: Was passieren kann, dadurch, dass man zwei Jahre Arbeitslosigkeit anrechnet, ist, dass die Menschen mit 61 arbeitslos werden, dann bis 63 warten und dann eine abschlagsfreie Rente kriegen, und das würde natürlich enorm das durchschnittliche Rentenalter wieder senken. Da wäre man eigentlich da, wo man vor den ganzen Reformen schon mal war.
    Änderungen sind gar nicht so einfach
    Engels: Die Ministerin, Andrea Nahles, hat angekündigt, hier möglicherweise auch noch für Änderungen offen zu sein. Was könnte man tun?
    Börsch-Supan: Das ist gar nicht so einfach. Deswegen hat sie ja auch keinen Vorschlag auf dem Tisch. Das ist eigentlich ein sehr ulkiges Verfahren, dass man ein Gesetz einbringt, was eigentlich noch undurchdacht ist in einem so wichtigen Punkt. Man müsste gewisse Ausnahmen schaffen, die sind unter Umständen verfassungswidrig, das ist sehr technisch. Ich bin selber gespannt, was das Arbeitsministerium uns da auf den Tisch legen wird. Es ist jedenfalls unausgegoren im Augenblick.
    Engels: Die Union will ja in diesem Zusammenhang auf Anreize setzen. Sie will zum Beispiel Arbeitsmöglichkeiten für Menschen im Rentenalter verbessern. Sie nennt das Recht auf befristete Beschäftigung im Alter. Kann das hier in dieser Problematik helfen?
    Börsch-Supan: Ja, das hilft. Aber das ist eigentlich Augenwischerei. Das wichtigste ist das Rentenrecht per se. Das wissen wir aus Erfahrung, wir wissen das aus früheren Rentenrechtsänderungen. Man kann nicht das Rentenrecht durch wohlfeile Seitenmaßnahmen ergänzen. Im wesentlichen richten sich die Leute danach, ob die Rente mit 63 anfängt oder gar mit 61 möglich ist, oder ob man bis 65 oder bis 67 arbeiten muss.
    Engels: Ist es nicht ein wenig merkwürdig bei diesem ganzen Rentenpaket, einerseits Ausnahmen zu beschließen, um früher in Rente gehen zu dürfen, und andererseits wieder über Ausnahmen nachzudenken, um die Leute dahin zu bringen, wieder später in Rente zu gehen?
    Börsch-Supan: Ja sicher! Das ist der ganze Grundwiderspruch in diesem Rentenpaket. Deswegen ist es unlogisch, passt nicht in die Zeit einer alternden Gesellschaft, und deswegen ist es auch zum großen Teil in sich widersprüchlich und daher notgedrungenerweise undurchdacht.
    Engels: In Vergessenheit gerät da ja schnell, dass in diesem Rentenpaket auch die Erwerbsminderungsrente ein wenig steigen soll. Was sagen Sie dazu?
    Börsch-Supan: Das ist nur logisch, denn wenn man jetzt als Normalfall ansieht, dass die Leute erheblich länger arbeiten, dann muss man auch die Zurechnungszeiten für Erwerbsgeminderte erhöhen. Das ist völlig in Ordnung. Aber das ist nur dann logisch in Ordnung, wenn man auch tatsächlich das Rentenalter hebt, und da sehen Sie schon wieder den Widerspruch. Eigentlich ist der Teil der Erwerbsminderungsrente im Widerspruch zu der Rente mit 63.
    Engels: Professor Axel Börsch-Supan war das vom Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Wir sprachen über das Rentenpaket, das heute im Bundestag diskutiert wurde. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Börsch-Supan: Danke Ihnen! Auf Wiederhören!
    Heinemann: Und die Fragen stellte meine Kollegin Silvia Engels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.