Donnerstag, 18. April 2024

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Repatriierung sterblicher Überreste
Per DNA-Analyse zur letzten Ruhestätte

Ein Skelett oder ein Schädel eines "Ureinwohners" im Naturkundemuseum: Für Besucher sind es exotische Exponate, für die Nachfahren aber entführte sterbliche Überreste. Erbgutanalysen könnten helfen, eine Rückführung in die alte Heimat zu ermöglichen, sagte der Genetiker Martin Sikora im Dlf.

Martin Sikora im Gespräch mit Lennart Pyritz | 20.12.2018
    Mit hangfertigem Tuch und Aufschriften wie "you come home" sind am während einer Rückführungszeremonie im Landesmuseum Hannover die menschlichen Überreste einer Aborigine-Frau aus Australien bedeckt.
    Die australische Regierung unterstützt seit vielen Jahren Rückführungen sterblicher Überreste von Aborigines aus internationalen Sammlungen (picture alliance / Holger Hollemann/dpa)
    Lennart Pyritz: Es begann mit der Kolonisation Australiens im 18. Jahrhundert: Privatpersonen und Anthropologen sammelten Haare, Zähne, Knochen oder ganze Skelette der australischen Ureinwohner zu Forschungszwecken und für Museen weltweit. Die Aborigines fordern seit Jahrzehnten die Rückgabe dieser Überreste, damit die Geister ihrer Vorfahren dort Ruhe finden, wo sie einst gelebt haben. Das scheiterte bislang an verschiedenen Gründen. Jetzt schreibt ein Forschungsteam im Fachmagazin Science Advances, dass die Herkunft der Überreste mit Hilfe alter Erbgutproben eingegrenzt werden könnte. Mit durchgeführt hat diese Arbeit Martin Sikora, Genetiker am Naturkundemuseum der Universität Kopenhagen. Ich hatte vor der Sendung Gelegenheit mit ihm zu telefonieren, und ich habe ihn zuerst gefragt, warum die sterblichen Überreste der Aborigines bislang nicht an ihre Herkunftsorte zurückgebracht wurden.
    Ziemlich grobe, nicht genaue Ortsangaben
    Martin Sikora: Zwei Sachen, die wirklich im Weg gestanden sind: Auf der einen Seite; es gibt in vielen Ländern keine Gesetzgebung, die national jetzt regeln würde, ob solche Überreste zurückgebracht werden müssen oder wie das funktionieren soll. Das ist meistens Sache der jeweiligen Museen, das festzulegen, was man im Prinzip machen muss, um diese Überreste zurück zu führen. Und vielen Museen ist nicht unbedingt klar, wie viele Stücke es überhaupt gibt in diesen Museen, es ist es auch manchmal schwierig, diese Informationen zu finden. Das macht es natürlich auf der einen Seite von dem her schwierig. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass viele von diesen Proben, also die genaue Herkunft ist eigentlich unklar. Das steht dann oft nur in "Aboriginal Australian" zum Beispiel oder "Western Australia" oder ziemlich grobe, nicht genaue Ortsangaben. Und daher ist es dann natürlich unmöglich, nur basierend auf diesen Informationen diese Überreste zu den jeweiligen lokalen Gruppen wieder zurück zu führen.
    Spezielle Reinlabore, spezielle DNA-Methoden
    Pyritz: Das haben sie jetzt schon gesagt; Sie argumentieren in der aktuellen Studie in Science Advances, dass auch ohne detaillierte Angaben über Herkunft oder Stammeszugehörigkeit oder Sprachgruppe der Ursprung menschlicher Überreste aus Museen ermittelt werden kann, und zwar durch genetische Analysen alter DNA. Können Sie beschreiben, wie sie das Erbgutmaterial von Aborigines von diesen Überresten gewonnen und analysiert haben?
    Sikora: Das funktioniert im Prinzip so, wie auch von anderen DNA-Analysen, dass man eine Probe nimmt von dem Material, das noch vorhanden ist; in unserem Fall Haarproben oder Zahn- oder Knochenproben. Da wird dann DNA extrahiert und im Prinzip bereit gemacht im Labor für die Sequenzierung des Genoms. Ein Problem an der Sache oder eine Schwierigkeit an der Sache ist eben die, dass diese DNA in diesen alten Proben natürlich, also es hängt davon ab, wie gut die Konservierung dieser DNA ist. Kann sein, dass relativ wenig DNA vorhanden ist und oft auch kontaminiert; nicht nur mit Umwelt-DNA, sondern auch zum Beispiel mit DNA von Menschen, die die Proben, Zähne, Knochen in der Hand gehabt haben. Das heißt, man braucht spezielle Reinlabore, die wir haben, und spezielle Methoden, die man anwenden muss, um die DNA aus diesen Proben zu extrahieren und dann nachher zu sequenzieren.
    Vergleich mit moderner DNA zeigt geografische Herkunft
    Pyritz: Wie haben Sie dann aus diesem Erbgutanalysen, den Erbgutsequenzen tatsächlich Rückschlüsse auf die geografische Herkunft der Menschen gezogen, von denen diese Überreste stammen?
    Sikora: Man braucht halt immer etwas, mit dem man ein Genom, zu dem man das vergleichen kann. Wir haben im Prinzip in einer früheren Studie schon 83 verschiedene moderne Aboriginal-Individuen sequenziert und die genetische Struktur innerhalb von Australien untersucht. Und im Laufe dieser Studie haben wir zusätzlich noch Individuen sequenziert, die aus derselben Gegend kommen, wo wir wussten, dass diese Proben hier stammen. Das heißt, wenn man die Genome und die genetische Struktur der modernen Nachfahren dieser Individuen kennt, kann man das dann mittels statistischer Analyse vergleichen, wie sehr sich diese Genome von den antiken Proben von den modernen Proben unterscheiden.
    Pyritz: Dass wäre jetzt noch die Anschlussfrage - wie fein ist die Auflösung, wie genau können Sie tatsächlich das Gebiet eingrenzen?
    Sikora: Die Auflösung, die wir in dieser Studie gehabt haben, also innerhalb von größeren Regionen wie Nord-West Australien oder Süd-West Australien, ist relativ einfach festzustellen, weil genug genetische Struktur vorhanden ist. Innerhalb dieser Regionen, wenn man jetzt sagen würde, z.B. in New South Wales verschiedene Stämme zu vergleichen, da wird es dann natürlich etwas schwieriger. Das hängt davon ab, wie stark sich die denn auch unterscheiden. Und natürlich je geografisch näher die einander sind, desto ähnlicher sind sie im Normalfall auch von der genetischen Struktur her.
    Kooperationsbereitschaft der Museen ist wichtig
    Pyritz: Werden oder können ihre Analysen jetzt dazu führen, dass sterbliche Überreste von Aborigines aus Museen zurückgebracht werden an den Ort von dem sie stammen?
    Sikora: Ja, unsere Kollegen in Australien sind natürlich da sehr involviert, sie sind aktiv daran beteiligt, dass eben auch die genetische Analyse ein Teil von diesen Vorgängen wird, dass man diese Überreste wieder zurückbringt. Es muss natürlich auch noch mehr Studien an modernen Aboriginal Australians geben, um besser die Struktur, die vorhanden ist, zu untersuchen. Wie auch schon vorher gesagt, das hängt natürlich viel ab von den jeweiligen Museen, ob die auch dazu bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten und die Proben auch untersuchen zu lassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.