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Reportage
Der Alkoholiker mitten unter uns

Es gibt Alkoholiker, die trotz ihrer Sucht hervorragend und lange Zeit mitten in der Gesellschaft leben - und beruflich sogar sehr erfolgreich sind.

Von Thomas Liesen | 02.09.2014
    Heinz-Volker Weiss wohnt mit seiner Frau in einem großen Einfamilienhaus. Er hat ein Faible für historische Möbel, an den Wänden hängen riesige Ölgemälde. Durch die raumhohen Fenster fällt der Blick auf einen weitläufigen Garten. All das lässt nicht erahnen, dass er seine berufliche Karriere als Bauarbeiter begann. Und damals bereits der Alkohol sein ständiger Begleiter wurde.
    "Das fing bei mir an während der Lehrzeit. Ich habe auf der Baustelle gelernt und da gehörte – vor über 50 Jahren - auch die Flasche Bier zum Mittagessen, gehörte quasi zum täglichen Brot."
    Der 70-Jährige kann heute gar nicht mehr sagen, wann seine Trinkgewohnheiten zur Sucht wurden. Auf jeden Fall steigerte sich sein Konsum über die Jahre kontinuierlich. Irgendwann stieg er von Bier auf Wein um, erst waren es Gläser, dann rechnete er in Flaschen.
    "So drei Flaschen Wein am Tag, also gut zwei Liter, waren auch schon mal vier Flaschen bei, aber regelmäßig und über den Tag verteilt. Ich brauchte mittags und dann auch schon vormittags nach dem Aufstehen brauchte ich dann auch schon ein Glas Wein. Was bei mir nur seltsam war: Ich habe nie gezittert oder so. Das einzige, was ich hatte, war, dass die Fishermans Friend die Fahne nicht mehr überdecken konnten tagsüber."
    Seine Frau sagte klar und deutlich: Du trinkst zu viel. Doch er wischte das beiseite. Heute weiß er: Da hatte der Alkohol schon längst von ihm Besitz ergriffen. Trotzdem machte Heinz-Volker Weiss Karriere. Er studierte Architektur, wurde erfolgreicher Architekt. Eines Tages sprach ihn auch sein Chef an. Er müsse etwas gegen seine Sucht unternehmen. Doch Heinz-Volker Weiss glaubte immer noch: Ich habe alles unter Kontrolle.
    "Ich bin ja kein Alkoholiker. Alkoholiker sind für mich die Leute, die relativ ungepflegt aussehen und mit der Lidl- oder Penny-Tüte durch die Stadt laufen und sich an bestimmten Plätzen treffen. In meinen Augen war das etwas ganz anderes."
    Doch schließlich lässt er sich zu einer Therapie überreden. Und die öffnet ihm die Augen.
    "Mit den Therapeuten habe ich dann doch erkannt, dass der Alkohol stärker ist als ich, ich habe dem nichts entgegen zu setzen. Und da musste ich mir eingestehen: Ich habe vor dem Alkohol kapituliert. Und das war der Anfang dann von einer zufriedenen Abstinenz."
    14 Jahre ist er nun trocken. Und er ist nie wieder in Versuchung geraten.
    "Ich kann wieder alles nüchtern betrachten. Und das ist für mich ein großes Plus. Ich brauche mir keine Gedanken mehr zu machen: Mensch, wie hast du dich gestern benommen? Das alles lässt mich frei aufatmen."
    Dennoch: Ein Rest Unsicherheit wird wohl immer bleiben.
    "Ich habe heute auch noch eine Portion Angst, den Alkohol zu nah an mich rankommen zu lassen."