Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Reportage: Übereifrige Eltern
"Kinder gehören an die Luft"

Früher spielten Kinder ohne ihre Eltern draußen auf der Straße an der frischen Luft, erinnert sich Martin Winkelheide. Die meisten Mütter und Väter schauten damals noch nicht mit Adleraugen auf ihre Kinder und auch der Schulweg wurde alleine bewältigt.

Von Martin Winkelheide | 23.09.2014
    Eine leere Schaukel auf einem Spielplatz zu sehen
    Viele Eltern sind zu ängstlich, ihre Kinder alleine auf den Spielplatz zu lassen. (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
    Ich gestehe: Ich habe spät Krabbeln und Laufen gelernt. Auch war ich maulfaul. Wahrscheinlich hat meine Mutter während der Schwangerschaft keine klassische Musik gehört. Hier deutet sich bei Eltern heute ein Umdenken an, konstatieren Bildungsexperten:
    "Dass ja manche Eltern sogar meinen, mit Mozart schon im Mutterleib könne man dann den zukünftigen Nobelpreisträger heranbringen."
    Vielleicht hätte auch bei mir ein Baby-Schwimm-Kurs fördernd wirken können - oder besser noch: gezielte Massagen.
    "Man streckt die richtig vom Oberkörper weg, um den Brustkorb zu dehnen. Durch diesen Griff wird das Baby mental geöffnet, das muss sich so ein bisschen hingeben."
    Im Nachhinein fühle ich mich vielleicht sogar ein wenig unterfördert.
    "Also solche Sachen wie Musik, Fechten auf Englisch und einfach solche Sachen, die das Kind fitter machen im Wettbewerb und vielleicht auch irgendwie intelligenter."
    Ich war nur in einem normalen Kindergarten. Morgens – und nachmittags war ich draußen. Auf der Straße. Wie alle Kinder unserer Straße. Gummi-Twist, Hüpfekästchen, Seilchen-Springen – Teddybär, Teddybär, dreh dich nicht um... Außerdem: Völkerball und Kicken.
    "Vielleicht waren Eltern damals zu arglos"
    Wer zu klein war – oder zu doof, machte nicht mit. Das war halt so. Kinder gehören an die Luft. Und Kinder spielen mit Kindern. Vielleicht waren Eltern damals ein wenig zu arglos.
    "Ich bin schon auch so ein ängstlicher Typ und gucke mit Adleraugen auf meine Kinder. Und was passiert, wenn es daran geht, sie zum ersten Mal alleine auf den Spielplatz gehen zu lassen, da, persönlich, weiß ich auch noch nicht, wie ich damit umgehen soll, weil ich schon auch denke, es kann ja trotzdem mal ein Kind wegkommen."
    Die Straße war unser Spielplatz – und unsere Welt. Erwachsene kamen da auch vor. Zum Beispiel der Quartalssäufer, von Beruf Arzt, oder die Wahrsagerin. Sie verfing sich eines schönen Frühlingstages – die Magnolie vor ihrer Tür blühte gerade frisch auf – in einem der Äste – genau gesagt verfing sich ihre Perücke. So etwas hatten wir noch nie gesehen.
    Der Schulweg, zu Fuß – nein nicht im SUV – er dauerte fünf Minuten, wenn es regnete. Manchmal eine halbe Stunde, wenn es was zu entdecken gab oder eine Katze zu streicheln.
    "Meine Kinder sind verplanter als ich."
    "Unsere Eltern wussten nichts davon"
    Es gab langweilige Tage – und solche mit kleinen heimlichen Ausflügen: zur Streuobstwiese, zur Kläranlage, ins Neubaugebiet und später zum Schwimmen in die Kiesgrube. Es gab da ein Loch im Zaun. Dort zu baden, war gefährlich, aber unsere Eltern wussten ja nichts davon. Wir hatten kein Handy und kein GPS. Und das war gut so.
    "Wenn man so herumguckt in den Klassen, iPod Touch und so was ist da einfach Standard."
    Schule, das war mein Job. Da hatten meine Eltern nicht reinzureden.
    "Wenn dann Unterricht ausfällt, wie im Moment beim Philipp der Englischunterricht, dann versuchen wir, das nachmittags privat nachzuholen."
    Was ich damals nicht wusste:
    "Der Mensch beginnt beim Abitur."
    Aber irgendwie habe ich die Kindheit dann doch überstanden.