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Reportagen aus einer Welt des Grauens

Pedro Rosa Mendes, Autor aus Portugal, und der Fotograf Wolf Böwig sind durch die westafrikanischen Länder Sierra Leone und Liberaria gereist. In ihrem Buch "Schwarz.Licht" zeigen sie die Facetten von Krieg, Verbrechen und Gier, aber auch von Lebenswillen und Phantasie. Was dem Buch allerdings fehlt ist eine historische Einordnung der Zusammenhänge und umfassende Hintergrundinformationen.

Von Gaby Mayr | 31.08.2006
    "Der kleine Mann kreuzt Siedlungen, überquert Berge und Grenzen. Er reist doppelt verborgen: eine im Herzen der Nacht pochende Wabe aus Dunkelheit. Der Mann ist eine Anti-Sonne, die schwarzes Licht verströmt...."

    Der geheimnisvolle Mann ist in Westafrika unterwegs. Er gehört offenbar zu den finsteren Gestalten, den Anti-Sonnen, die in der Region seit Jahrzehnten Unruhe und Krieg verbreiten.

    Pedro Rosa Mendes, Autor aus Portugal, und der Fotograf Wolf Böwig waren in Westafrika. Mit ihren Texten und Bildern wollen sie uns die Menschen dort näher bringen. Denjenigen ein Gesicht geben, die zu geschundenen Opfern oder brutalen Tätern wurden - und nicht selten zu beidem gleichermaßen. Mendes und Böwig haben ihr Buch "Schwarz.Licht" betitelt.

    Vor allem Liberia und Sierra Leone litten Jahrzehnte lang unter einer Folge grausamer Putsche, brutaler Regime und Bürgerkriege. Machthaber und Warlords setzten Jungen und Mädchen unter Drogen und ließen sie als Kindersoldaten kämpfen. Die Triebfeder solcher Politverbrecher ist die Gier nach Geld. Sie erobern Landstriche, um deren natürliche Reichtümer wie Diamanten und Tropenholz auszubeuten. Mit dem Verkauf der Schätze finanzieren sie die Fortsetzung des Krieges.

    Pedro Rosa Mendes schreibt Reportagen aus dieser Welt des Grauens: Prägnante Miniaturen. Über den Jungen, der nach dem Massaker als einziger Überlebender seines Dorfes von den Rebellen zur Leiche seines Vaters geführt wird - der liegt dann vor ihm mit aufgeschlitztem Bauch und durchschnittener Kehle. Über den Mann mit der Panthermaske. Und über Jungen, die Bürgerkrieg spielen und dabei ernst machen:

    "Zur Zeit besteht die Hauptaufgabe von Alpha Mike, alias Abu Musa Keita ("die gleichen Anfangsbuchstaben, verstehst du?"), darin, die Ordnung zu gewährleisten. Das Chaos unter Kontrolle zu halten, ist ein beschwerlicher, von Minute zu Minute geführter Krieg - ein Nervenkrieg. Wahrscheinlich ist Alpha aus Eisen. Seine Fäuste sind es ganz gewiss. Einer seiner jungen Leibwächter trägt einen Arm in der Schlinge (was ihn nicht davon abhält, ein Maschinengewehr zu benutzen). Unterarmfraktur, erklären seine Kameraden. "Er hat den Fehler begangen, mir Schläge anzudrohen", fügt Alpha Mike hinzu und führt eine Kostprobe der Kampfsportkünste vor, die er bei den Kommandoübungen gelernt hat.
    Seine Soldaten lachen, auch der mit dem gebrochenen Arm."


    Wolf Böwig fotografierte: Bewaffnete mit Kindergesicht. Zwangsamputierte. Holzfäller mit Kettensägen beim Leerräumen des Regenwaldes. Eine Friedensaktivistin im Gebet. Schädel und Knochen in Massengräbern. Ein Kleinkind im Waschzuber. Die Fotos, viele Nahaufnahmen, sind ernst, aussagekräftig.

    Fotografien und Reportagen vermitteln nachdrücklich, wie es ist, wenn Menschen Krieg führen. Und: Wie sich Menschen mit ungeheuerer Kraftanstrengung und Phantasie bemühen, die Gewalt zu besiegen.
    Es sind persönliche Geschichten, die beeindrucken.

    Was dem Buch allerdings fehlt, ist eine brauchbare historische und politische Grundlage. Afrika ist für die meisten Menschen in Deutschland sehr weit weg, die Geschichte einzelner Länder wie Liberia und Sierra Leone ist völlig unbekannt.

    Ein paar Zusammenhänge hätte das Vorwort der Herausgeber von der Hilfsorganisation medico international liefern können. Statt dessen heißt es dort mit apokalyptischer Geste:
    "Liberia ist zu einem Fleck Erde verkommen, wo die Hoffnung auf Rettung so entlegen wirkt als müsse sie erst noch erdacht werden."

    Tatsächlich wurde für Liberia bereits im Jahr 2003 ein Waffenstillstand ausgehandelt, eine Friedenstruppe der UNO kam ins Land, und im November 2005 wurde Ellen Johnson-Sirleaf, zur Präsidentin des Landes gewählt.

    In Sierra Leone endete der Krieg bereits im Jahr 2002. Eine Wahrheitskommission hat ihre mühsame Arbeit aufgenommen und chinesische Bauarbeiter haben Regierungssitz, Parlamentsgebäude und das Luxushotel Lumley Beach aus den Trümmern neu erstehen lassen.

    Auch wenn der Frieden von Liberia und Sierra Leone zerbrechlich ist und mittlerweile in der benachbarten Elfenbeinküste gekämpft wird: Es ist unredlich, das Kriegsgrauen mit leichter, feuilletonistischer Hand überall hinschwappen zu lassen, nach dem Motto: Ist ja Afrika, da ist sowieso ständig Krieg und Katastrophe - das wissen wir! - da muss man nicht differenzieren!

    Auch Autor Pedro Rosa Mendes leistet einen Beitrag zur Verwirrung um Nach-Krieg und Noch-Krieg. Sein umfangreiches erstes Kapitel soll offenbar einen Überblick über die bereisten Länder geben, stattdessen vollführt er einen aufgeregten Parforceritt - hin und her durch die Region, hin und her auf der Zeitachse. Die radikalislamische Hisbollah profitiert von den Diamanten aus Sierra Leone! Das ist interessant - aber wie funktioniert es? Ist es ein Gerücht aus der Hauptstadt Freetown oder gibt es Beweise? Man wüsste es gerne.

    Mit Effekthascherei und mit literarischer Ambitioniertheit, die teilweise gründlich misslingt, beeinträchtigt das Buch seine Wirkung. Das ist schade.

    Was bleibt: Der Eindruck der Bedrohtheit menschlichen Lebens in den Krisenregionen dieser Welt bis zur Grenze des Vorstellbaren und darüber hinaus. Worte und Bilder von Menschen zwischen Abgestumpftheit, mörderischer Aggressivität und immer aufs Neue sich aufbäumendem Lebenswillen.