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Repräsentative Umfrage
Wie sich junge Muslime den Islam wünschen

Viele junge Araber im Norden Afrikas und im Nahen Osten suchen Orientierung im Islam. Aber wie soll der sein? Weltoffen oder rückwärtsgewandt? Die Tabah-Stiftung in Abu Dhabi hat eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Ergebnis: Fast alle Befragten sehen sich als überzeugte Muslime. Wenn es aber um den real existierenden Islam geht, herrscht Unzufriedenheit.

Von Jürgen Stryjak | 02.02.2016
    Zwei junge Frauen mit Kopftüchern und Gewändern sitzen auf einer Bank an einer Mauer in der Altstadt von Rabat, aufgenommen am 11.03.2015.
    Zwei junge Frauen in der Altstadt von Rabat in Marokko (picture alliance / dpa / Reinhard Kaufhold)
    Die Staaten im Norden Afrikas und im Nahen Osten befinden sich seit einigen Jahren in einem Umbruch, der turbulenter kaum sein könnte. Volksaufstände, Terror und Bürgerkriege beherrschen die Nachrichten. Dort wo es bislang relativ ruhig blieb, ist es die Globalisierung, die die Gesellschaften bis zum Zerreißen spannt. Viele junge Araber suchen Orientierung im Islam, aber bei welchem? Bei einem weltoffenen oder bei einem rückwärtsgewandten?
    Fast alle Befragten sehen sich als überzeugte Muslime
    "Zu oft sprechen wir über die Jugend, aber viel zu selten mit ihr", beklagt Abaas Yunas von der Tabah-Stiftung in Abu Dhabi. Junge Muslime seien einer unüberschaubaren Fülle an religiösen Inhalten ausgesetzt, die sie natürlich beeinflussen würden. Um herauszufinden, wie sich das auf junge Araber auswirkt, hat die Zukunftsinitiative der Stiftung unter Leitung von Abaas Yunas eine repräsentative Umfrage durchgeführt. In acht arabischen Staaten wurden muslimische Frauen und Männer im Alter zwischen 15 und 34 Jahren befragt, unter anderem in Marokko, Ägypten und in Saudi-Arabien.
    Das Ergebnis: Fast alle Befragten sehen sich als überzeugte Muslime. Wenn es aber um den real existierenden Islam geht, herrscht Unzufriedenheit. Eine der gestellten Fragen lautete: Führen die Versuchungen der modernen Welt bei Ihnen als Muslim zu Gewissenskonflikten? Abaas Yunas: "In vier Ländern antworteten die meisten auf diese Frage mit Ja. In weiteren drei Ländern ist der Anteil jener, die einen Konflikt verspüren, immer noch sehr hoch." Einzige Ausnahme: das relativ abgeschottete Saudi-Arabien. Hier fühlen sich acht von zehn jungen Muslimen in ihrem Religionsverständnis nicht bedroht.
    Lifestyle als Widerspruch zum Islamverständnis
    Die Gewissenskonflikte hätten vor allem mit dem massiven Einfluss von Lifestyle und populärer Kultur aus dem Westen zu tun, erklärt Abaas Yunas. Beide stünden bis zu einem gewissen Grad im Widerspruch zum herrschenden Islamverständnis. Diesem herrschenden Verständnis wollen sich viele der Befragten allerdings nicht einfach so unterwerfen. Sie erwarten, dass es an die moderne Welt angepasst wird. In drei Ländern fordern die meisten sogar eine Reform des Islam. In Saudi-Arabien tut das immerhin noch jeder Dritte. In allen Ländern wünscht sich eine deutliche Mehrheit der jungen Muslime, dass die Inhalte der Religionsvermittlung modernisiert werden.
    Bislang dominieren Männer den religiösen Diskurs. Eine Frage lautete deshalb: Soll es mehr weibliche Religionsgelehrte und Predigerinnen geben? In allen Ländern habe eine überwältigende Mehrheit mit Ja geantwortet, sagt Abaas Yunas – und zwar Männer und Frauen gleichermaßen. Das zeige, wie nötig eine Wiederbelebung des weiblichen Einflusses in der Religion sei, den es früher ja mal gegeben habe.
    Drei Ursachen für Abgleiten in den Terrorismus
    Das widerspricht dem, was Extremisten wie die vom so genannten "Islamischen Staat" oder vom Terrornetzwerk Al-Qaida propagieren. Aber deren Ideologien stoßen ohnehin auf Ablehnung. Abaas Yunas: "Neun von zehn Befragten finden, dass der IS und Al-Qaida eine totale oder eine weitgehende Perversion islamischer Lehren betreiben." Rund sieben Prozent der Befragten stimmen den Extremisten allerdings rundum zu – ein enormes Rekrutierungsfeld für die Dschihadisten.
    Dass sich junge Leute den Terrorgruppen anschließen, hat nach Ansicht der Befragten im wesentlichen drei Ursachen: die Politik der korrupten Unterdrückerregime in ihren Heimatländern, die Propaganda radikaler Prediger sowie ein niedriges Bildungsniveau. Die meisten der jungen Befragten geben also weder der Politik des Westens, noch dem Islam an sich die Schuld am Entstehen von Extremismus. Für sie tragen die Vertreter der eigenen politischen und religiösen Eliten eindeutig die Hauptverantwortung.