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Republica 2015
"Das Internet macht nicht vor Ländergrenzen halt"

Sie ist die Internetbotschafterin der Bundesregierung: Für Gesche Joost ist die Netzkonferenz Republica ein Pflichttermin. Unter dem Motto "Finding Europe" geht es dieses Jahr um ein digital vereintes Europa. Im europäischen Vergleich sei gerade im Bereich digitaler Bildung in Deutschland noch viel zu tun, betonte Joost im DLF.

Gesche Joost im Gespräch mit Sigrid Fischer | 05.05.2015
    Gesche Joost, ehrenamtliche digitale Botschafterin der Bundesregierung für die EU-Kommission
    Gesche Joost, ehrenamtliche digitale Botschafterin der Bundesregierung für die EU-Kommission (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Sigrid Fischer: 17 Bühnen, 450 Stunden Programm, 6.000 Teilnehmer – mit diesen Eckdaten geht die neunte Republica 2015 heute an den Start. Drei Tage Berliner Netzkonferenz - na, Klassentreffen, wie sie auch heißt - kann man das eigentlich längst nicht mehr nennen.
    "Finding Europe", so heißt das Motto dieses Jahr, und unter den circa 800 Rednern ist auch Gesche Joost. Sie ist Professorin für Designforschung an der Universität der Künste Berlin, sie war im Kompetenzteam von Peer Steinbrück, als der fürs Kanzleramt kandidierte, und sie ist Deutschlands Internetbotschafterin in der EU. Ich begrüße Gesche Joost jetzt in Berlin, kurz vor der Konferenz.
    Gesche Joost: Hallo, guten Tag!
    Fischer: Guten Tag! Ja, Frau Joost, kommt man mit 6.000 Teilnehmern tatsächlich irgendwie effektiv ins Gespräch, das vielleicht sogar am Ende ein Ergebnis rauskommen könnte?
    "Die Republica hat schon was zu sagen"
    Joost: Ja, ich finde schon, dass die Republica teilweise auch meinungsbildend ist, weil da wirklich – Stichwort Klassentreffen – sich ganz, ganz viele Vertreter der Netzgemeinde treffen. Und das ist dann ein ganz großer offener Raum, sodass man sich eben auch in den Pausen, zwischen den Panels, auf dem Weg zum Kaffee kennenlernt, sich miteinander vernetzt, über die sozialen Netzwerke sowieso miteinander in Kontakt ist, und eigentlich stellt sich häufig auch wie so eine politische Agenda daraus auf. Also, ich finde schon, da ist ein großer Zusammenhalt und wirklich mit Schlagkraft. Die Reppublica hat schon was zu sagen.
    Fischer: Jetzt gibt es die Kritik, zum Beispiel von Sascha Lobo, dass diese Szene, die sich da trifft, dass die ihre Überzeugungen gar nicht so in politischen Einfluss umsetzen kann. Bleibt es dann doch mehr oder weniger folgenlos, diese drei Tage diskutieren? Oder wie könnte das gelingen, dass da was draus folgt?
    Joost: Es wurde viel auch schon im letzten Jahr diskutiert, dass man eigentlich Netzpolitik so erklären muss, dass es eben unser aller Oma sozusagen versteht, also dass man eben auch Menschen, die nicht so netzaffin sind, viel stärker einbeziehen muss. Ich glaube aber, das gelingt zusehends, weil das Problem erkannt worden ist und bestimmte, vielleicht auch sehr große und vielleicht sehr abstrakte Themen, die jetzt um Big Data sich ranken oder um die Vorratsdatenspeicherung oder Netzneutralität – das sind ja so die großen politischen Themen, die viele Bürgerinnen und Bürger, glaube ich, schwer einschätzen können, was heißt das eigentlich ganz konkret in der Praxis?
    "Übersetzungswerkzeug für netzpolitische Themen"
    Und da so Übersetzungsleistungen immer wieder zu finden, ist sehr wichtig. Da ist auch die Republica ein guter Ort dafür. Im letzten Jahr zum Beispiel war der Seniorencomputerclub aus Berlin dort zu Besuch, also eben viele ältere Menschen, die sich dann auch interessieren für diese Themen und die Anknüpfungspunkte dort finden. Insofern ist es wie so eine Art Umschlagplatz und Übersetzungswerkzeug für die netzpolitischen Themen.
    Fischer: Ja, wir sind ja im Jahr zwei nach den Enthüllungen von Edward Snowden und stecken möglicherweise tiefer in diesem Abhör- und Überwachungsskandal als je zuvor. Wie wird sich das, was erwarten Sie da, jetzt niederschlagen in den drei Tagen? Wird das nicht ein bisschen alles überschatten vielleicht, diese BND-Enthüllungen?
    Joost: Wie im letzten Jahr, glaube ich, auch. Ich glaube, das ist ein Dauerbrennerthema, und die Netz-Community hat sich häufig und immer weitergehend also eigentlich nach den Enthüllungen von Edward Snowden darüber aufgeregt und stark kritisiert, dass da eigentlich nicht wirklich von politischer Seite etwas zur Aufklärung beigetragen würde, und dass eben auch kaum Konsequenzen gezogen wurden aus den Enthüllungen von Edward Snowden.
    Insofern glaube ich, wird es wieder thematisiert werden und heute wahrscheinlich auch noch mal lauter, dass eben gefragt wird, was passiert eigentlich von der deutschen Regierungsseite aus, um da Aufklärung zu schaffen, und inwieweit ist eben ein Verbund sozusagen der Geheimdienste, und was gelten eigentlich noch die Bürgerrechte und das verbriefte Recht auf private Kommunikation in solchen Zeiten.
    Fischer: Günther Oettinger, der EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, ist eingeladen worden, kommt nicht. Bundespräsident Gauck war eingeladen, kommt nicht. Kann man aber auch feststellen, dass die Politikergeneration, die das Ganze trägt da im Moment, die fühlt sich doch sehr fremd in dieser digitalen Welt offenbar, wenn die da so gar nicht mal den Kontakt suchen?
    "Netzgemeinde hat klare Agenda"
    Joost: Ich habe mit Günther Oettinger auch selbst darüber gesprochen, und er hatte das schon sehr auf dem Schirm, dass die Republica also einer der Kristallisationspunkte der Szene ist. Da tut sich auf jeden Fall schon einiges. Es ist natürlich schade, dass er nicht kommt, aber ich glaube schon, dass er sehr stark wahrnimmt, was dort diskutiert wird, und es immer mehr auch Vermittlerpositionen und -figuren gibt, die – wie Sascha Lobo, der ja häufig eben auch medial zu hören ist –, die immer wieder auch drauf hinweisen, was für Themen dort in welcher Form bearbeitet werden und was für eine Meinung sich dort bildet.
    Darüber kommt man oder drum herum kommt man als politisch aktiver Mensch heute nicht mehr, und das ist eigentlich ein Verdienst der Netzpolitik und der Netzgemeinde, dass sie wirklich eine klare Agenda hat, sehr stark in den öffentlichen Medien jetzt sich zu Wort meldet, und das hat sich schon verbessert in den letzten Jahren.
    Fischer: Jetzt sitzen Sie, Gesche Joost, an der Schnittstelle Regierung, EU, als Internetbotschafterin. Das Motto ist "Finding Europe" dieses Jahr, und möglicherweise hat Deutschland andere Nachbarländer in der Europäischen Union ausspioniert. Sind Sie da besonders gefragt möglicherweise jetzt, müssen Sie sich verhalten auch zu den Vorwürfen, die jetzt so eine Regierung trifft, weil Sie da ja irgendwie immer so ein bisschen zwischen Stühlen auch sitzen? Zwischen dieser Netzgemeinde und der Politik?
    Joost: Ich glaube, ich werde eher wahrgenommen als auch kritische Begleiterin des Regierungshandelns, weil es ja eigentlich eine europäische Position ist, die ich da bekleide. Das ist ein Gremium, das in Brüssel geboren wurde und das eigentlich genau vermitteln soll zwischen der europäisch digitalen Agenda und dem, was in Deutschland und eben in den Mitgliedsstaaten passiert. Ich bin eben nicht Mitglied der Regierung. Insofern ist es eigentlich eine gute Position, auch ein bisschen einschätzen zu können, was passiert in den europäischen Nachbarländern, wie ist auch die Perspektive auf Deutschland von den europäischen Partnerländern, wie wird so ein Datenskandal eigentlich eingeschätzt.
    "Bei Datennutzung liegen die Emotionen in Deutschland blank"
    Und es ist schon in einem anderen Kontext, nicht im Geheimdienstskandal, sondern in der ganzen Frage um Datenpolitik merkt man schon, dass in Deutschland da sehr starkes Augenmerk drauf gelegt wird, dass die Emotionen dort teilweise blank liegen, wenn es um Abhören geht, wenn es um den Eingriff in die Privatsphäre geht, wenn es um Datennutzung insgesamt geht. Das ist teilweise bei den europäischen Partnern weniger der Fall. Das war wirklich interessant zu beobachten.
    Und das ist, glaube ich, so eine Perspektive, die ich einbringen kann, wie wird Datenpolitik in anderen europäischen Ländern gehandhabt, und wie müssen wir eigentlich in Deutschland darauf reagieren und uns auch in die europäische digitale Agenda einfügen.
    Fischer: Das heißt, "Finding Europe", das Motto, ein digital vereintes Europa, die digitale Gesellschaft Europas wird es gar nicht geben können?
    Joost: Ich glaube, die ist vielfältig, und ich glaube, diese europäische Perspektive ist eine ganz wichtige, weil wir wissen natürlich alle, das Internet hält nicht und macht nicht vor Ländergrenzen Halt, sondern im Gegenteil, es ist eben ein globales Netzwerk, und insofern, so eine Perspektive über den Tellerrand hinaus ist sehr wichtig und ist auch eines der Hauptprojekte auf europäischer Ebene, dass man den sogenannten digitalen Binnenmarkt eigentlich gestalten möchte, also dass man ganz Europa als Einheit begreift und eben als digitale Gesellschaft auch begreift.
    Aber auf dem Weg ist viel zu tun in Sachen digitaler Bildung, in Sachen einheitlicher Datenschutz. Sicherlich, in der Definition dessen, was natürlich auch Geheimdienste machen dürfen und was nicht, aber auch in der Definition dessen, was unsere Privatsphäre gilt in einer digital vernetzten Zeit. Das sind, glaube ich, ganz große politische Themen, die wir europäisch diskutieren müssen und nicht rein deutsch.
    "Kinder und Jugendliche fit fürs digitale Zeitalter machen"
    Fischer: Digitale Bildung sprachen Sie gerade an. Sie sind ja auf der Republica für zwei Panels zuständig. Eins davon, ja, da geht es darum, da wollen Sie Kinder und Jugendliche fit machen für kreative Techniken und fürs Programmieren auch. Hinken wir da hinterher in Deutschland?
    Joost: Ja, in der Tat. Gerade durch die europäische Perspektive habe ich den Vergleich ganz gut. Und zum Beispiel wurde im letzten Jahr in England das ins Kurrikulum integriert, dass man eben Programmieren in der Schule lernt. Das ist in anderen Ländern auch schon längst der Fall. Und in Deutschland sind noch relativ wenig Bestrebungen zu sehen, dass man eben nicht nur Programmierkenntnisse, sondern insgesamt, wie verhalte ich mich eigentlich im Netz, dass das stärker thematisiert wird in der Schule, damit wir eben Kinder und Jugendliche fit fürs digitale Zeitalter machen.
    Die sind teilweise schon sehr fit, aber haben es dann eben nicht in der Schule gelernt, sondern teilweise wird es in der Schule ausgeklammert. Also da würde ich mich in Deutschland auch stärker wünschen, dass wir eine digitale Lern- und Lehrstrategie entwickeln und die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass man eben in der Schule auch mit digitalen Medien umgehen kann.
    Aber sie eben nicht ausklammern, sondern kritisch begleiten und vielleicht auch gemeinschaftlich ein Gefühl dafür entwickeln, wo ist die Grenze eigentlich, wo sollte ich selber eine Grenze ziehen, was sind kritische Bereiche, und wie kann ich mich dann eben verantwortungsbewusst und mündig im Netz bewegen.
    Fischer: Ja, wird auch diskutiert auf der Republica mit Gesche Joost unter anderem. Drei Tage Netzkonferenz, heute ist es losgegangen. Vielen Dank, Frau Joost, und anregende Diskussionen und vor allen Dingen Erkenntnisse wünsche ich!
    Joost: Danke schön! Bis bald.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.