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Residenztheater München
Macbeth auf schwankendem Boden

Shakespeares Tragödie "Macbeth" ist bereits unzählige Male auf die Bühne gebracht worden. Andreas Kriegenburgs Inszenierung am Münchner Residenztheater überzeugt durch ein beeindruckendes Bühnenbild. Eine Neuinterpretation des altbekannten Stoffes liefert Kriegenburg hingegen nicht - zumindest nicht im ersten Teil des Abends.

Von Cornelie Ueding | 14.01.2017
    Das Residenztheater in München.
    "Machbeth" in München: Nicht viel Neues, aber beeindruckende Special Effects. (imago )
    Blutverkrustete nackte Männerrücken, in den Boden gerammte Lanzen und Schwerter, Hexen mit langen weißen Spinnwebhaaren – und doch das ist kein Macbeth wie aus dem Bilderbuch des Historismus. Bald beginnt das massive Spielpodest in verschiedene Höhen- und Schräglagen zu schweben. Es kippt nach vorn, nach hinten, neigt und dreht sich und bringt die Figuren buchstäblich so zum Straucheln und auf die schiefe Bahn, dass sie bisweilen von der Bühne kippen und fallen, statt abzugehen.
    Ein eindrucksvolles Bild dafür, dass in Shakespeares frühem "Experimentalstück" über Mechanismen der Macht ein einziger Impuls, die Prophetie der Hexen, genügt - und der Vorzeigegeneral Macbeth wird zum Mörder seines Königs, dem er scheinbar loyal ergeben ist, und mausert sich zum grausamen Usurpator. Ein ebenso ehrgeiziger wie unsicherer, schwacher Mann, gepusht, assistiert, gesteuert und angefeuert von seiner Lady, die ihn in die Untiefen seiner eigenen Seele treibt.
    Lady Macbeth: "Ich wag's nicht auf, ich wünsch mir 's folgt, wie's im Sprichwort heißt, von einer Katze, die Fisch will aber keine nassen Füße ... Miau..."
    Macbeth: "Ich wage, was ein Mann nur wagen kann, wer mehr wagt, ist kein Mann!"
    Lady Macbeth: "Oooh, war's denn ein Tier, das dich veranlasst hat, mit deine Absicht bloßzulegen? Hmmm?"
    Warten auf einen neuen Blickwinkel
    Das Problem: dies alles kennt man, hat es so oft gelesen und gesehen, dass man, schlicht gesagt, einen wie auch immer gearteten neuen Zugriff erwartet. Doch genau dieser neue Blickwinkel lässt in Andreas Kriegenburgs Münchner Inszenierung sehr, sehr lange auf sich warten. Im gesamten ersten Teil wird der Text, zugegebenermaßen professionell, im Verhältnis 1:1 sauber und ein wenig statisch vom Blatt gespielt.
    Gelegentlich sarkastisch kommentiert von Lady Macduff, die blutüberströmt und geschunden als vielstimmig agierende Erzählerfigur das Podest umkreist. Die schwebende Plattform, für die Figuren selbst Kampfplatz und Falle in einem, wird allmählich auch zur leerlaufenden ästhetischen Falle der Inszenierung: Spannung und Dynamik, damit auch ein irgendwie geartetes emotionales Interesse, kommen gar nicht erst auf. Und selbst potenziell anrührenden Szenen wie den letzten Momenten vor dem Tod, wenn sich der alte König Duncan beklemmend vertrauensvoll an Macbeth, seinen Mörder, schmiegt, fehlt die Binnenspannung.
    Im zweiten Teil, nach dem gespenstischen Gastmahl mit der blutigen Geistererscheinung Banquos, spürt man dann eine geradezu rabiate Energie, sich aus den Fesseln des Klassikertextes freizuspielen und freizusprechen.
    Besonders eindrucksvoll bei Hanna Scheibe als Lady Macduff, die ihre Frustration über ihren Mann herausbrüllt, der um seiner heroischen Mission gegen Macbeth willen seine Familie im Stich lässt. Sie verbiegt und windet sich, bis ihr Körper ein einziges Bündel Schmerz wird. Doch dann schleudern sie die Mörder, süffisant und empathielos auf die Bühne und der Versuch, sich freizuspielen endet jäh und tödlich.
    Zweifel, die bleiben
    Den vielleicht spannendsten Moment erreicht dieses Aufbegehren gegen die allzu schematischen Wahrnehmungsgewohnheiten in dem Moment, als der künftige König, fast noch ein Kind, die Rolle eines gnomenhaft-lüsternen Monstrums so erschreckend lasziv spielt, dass Macduff, Macbeth's entschlossenster Gegner, ihn spontan zu töten versucht – weil er fürchtet, mit ihm käme nichts Besseres nach. Auch wenn sich später herausstellt, dass sich der Junge aus Angst nur verstellt hat, bleiben Zweifel - Zweifel, die bis zum Ende anhalten. Zweifel bleiben auch, was den Gesamteindruck dieser ebenso ästhetisch schönen wie irgendwie ausgenüchterten Aufführung betrifft.
    Die Anläufe und Ausbrüche, das vehemente Bemühen aus dem Sog des Gemetzels herauszukommen, bleiben irgendwie auf halber Strecke stecken, inkohärent, punktuell. Und auch die Männer-kritischen Einsprengsel und die Kritik an der schematischen Mechanik der Macht können eine morbide-ambivalente, gewollt dissonante Grundstimmung nicht wirklich überzeugend herstellen.
    Wenn Macbeth endlich tot ist, sind längst auch fast alle anderen tot. Zurück bleibt ein hilfloser, traumatisierter Kindkönig, dem es die Sprache verschlagen hat. Keine Katharsis. Kein Neuanfang. Alles nur Hexen-Spuk, sound and fury.