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Ressentiments und Halbwahrheiten

Der Chef des Ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn, geht die Klimaschutzpolitik grundsätzlicher an. Seine Generalabrechnung hat er in einem Buch mit dem Titel: "Das Grüne Paradoxon" zusammengefasst. Darin vertritt er Positionen, die der Schweizer Journalist Marcel Hänggi überhaupt nicht teilen mag. Auch er hat ein Klima-Buch geschrieben. es heißt: "Wir Schwätzer im Treibhaus". Bücher, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Toralf Staud hat beide gelesen:

01.12.2008
    Der Münchner Wirtschaftsprofessor Hans-Werner Sinn ist ziemlich medienerfahren, und so hat er für sein neues Buch "Das grüne Paradoxon" auch einen sehr flotten Einstieg gewählt. Er fragt, warum es immer mehr Füchse in Brandenburg gibt:

    "Weil sie sich von dem frischen Geflügel ernähren, das ihnen die Windräder zerhackt vor die Füße werfen. Jägerlatein? Vielleicht. Immerhin schätzt der deutsche Naturschutzbund, dass jährlich mindestens 100.000 Vögel in den rotierenden Windrädern umkommen. Nicht nur Jäger schütteln den Kopf, wenn sie sich die Folgen grüner Politik vor Augen führen."

    Fragt man beim Naturschutzbund nach, was es mit der Anekdote auf sich hat, bleibt dem dortigen Experten das Lachen im Halse stecken: Die Zahl komme schon hin, bestätigt er, aber die Schlüsse daraus seien haarsträubend. 100.000 tote Vögel pro Jahr seien angesichts der Größe Deutschlands und verglichen mit den vielen anderen Todesursachen relativ wenig. Und die Fuchspopulation, die leide vielleicht unter vielem, aber gewiss nicht unter Futtermangel.

    Man könnte Sinns Buch an dieser Stelle wieder weglegen, und sich anderen Klimabüchern zuwenden, die ja immer noch fast im Wochentakt erscheinen. Doch damit würde man Sinn nicht gerecht. Denn er ist seit Jahren ein häufiger Gast in Talkshows, er gilt als renommiert und einflussreich - auch wenn sich im Rückblick seine Untergangsszenarien für Deutschland, seine Rufe nach Steuersenkungen und Sozialkürzungen, als marktradikale Ideologie entpuppten.

    In seinem neuen Buch erkennt Sinn an, dass die Erderwärmung eine große - auch ökonomische - Gefahr ist. Aber an der deutschen und internationalen Klimapolitik lässt er kaum ein gutes Haar. Denn, so seine These: Was hierzulande an CO2 eingespart werde, sei irrelevant und deshalb eine sinnlose Belastung der deutschen Wirtschaft. Eine niedrigere Nachfrage etwa nach Erdöl lasse dessen Weltmarktpreis sinken - was in anderen Staaten, etwa China, nur zu höherem Verbrauch führe. Das klingt zwar einleuchtend, ist aber - wenn überhaupt - nur in der Theorie richtig, nur bei ansonsten konstanter Nachfrage und Angebot von Öl. Die aber gibt es nicht, zu viele Faktoren beeinflussen diesen Markt. Zudem ignoriert Sinn völlig die moralische Dimension: Er argumentiert wie ein Vielfraß, der gierig einen Apfelbaum kahlfrisst - und es damit begründet, dass alles, was er übrigließe, doch sowieso der hungrige Nachbar wegputzen würde.

    Als Lösung seines konstruierten Paradoxons fordert Sinn ein weltweites Klimaabkommen, das alle Verbraucherstaaten fossiler Energien umfasst. Ganz wohl scheint dem als marktliberal bekannten Professor bei dem Vorschlag nicht zu sein, wie seiner Wortwahl anzumerken ist:

    "Letztlich ist das Ganze ein Stück Kommunismus ... Es könnte sein, dass der Menschheit im Endeffekt nichts anderes übrigbleibt ... Die Politik hat die Wahl zwischen Scylla und Charybdis."

    Mit dramatischen Worten und nach falschen Argumenten kommt Hans-Werner Sinn zu einem richtigen Ergebnis - bloß mit fast 20 Jahren Verspätung. Denn die Idee eines weltweiten Klimaabkommens war schon 1992 auf der UN-Umweltkonferenz von Rio Konsens. Und das Kyoto-Protokoll ist dessen leider sehr unvollkommene Umsetzung.

    So zutreffend Sinns Kritik an manchem Aspekt der heutigen Klimapolitik ist, so sehr strotzt sein Buch vor Ressentiments und Halbwahrheiten. Was seinen Thesen widerspricht, lässt er gern außer acht. So warnt er vor einer "Stromlücke", die beim schnellen Umstieg auf erneuerbare Energien entstehe - und zitiert einzig ein Gutachten, das von der Stromwirtschaft mitbezahlt wurde. Gegenteilige Studien etwa im Auftrag des Umwelt- oder auch des Bundeswirtschaftsministeriums ignoriert Sinn. Seitenlang mokiert er sich über komplizierte und oft absurde Ausnahmeregeln bei der Ökosteuer - dabei kamen sie nur auf massiven Druck der Industrie zustande, der er selbst allzu oft zur Seite stand. Widersprüchlich ist Sinns Argumentation für die Atomkraft: Einerseits fordert er weltweit Hunderte neuer AKW. Andererseits berechnet er die vermeintlich große Reichweite der globalen Uranvorräte von der heutigen Zahl der Reaktoren aus. Völlig verkehrt wird es, wenn Sinn behauptet, der EU-Emissionshandel führe dazu, dass CO2-Einsparungen in Deutschland gar nicht der hiesigen Kyoto-Bilanz zugute kämen. Ein Anruf beim UN-Klimasekretariat in Bonn hätte ihn eines Besseren belehren können.

    Sinn versucht, die Klimapolitik quasi von rechts zu kritisieren - und verblüffenderweise deckt sich einiges davon mit dem, was der linke Schweizer Journalist Marcel Hänggi in seinem ebenfalls gerade erschienen Buch "Wir Schwätzer im Treibhaus" schreibt. So kritisieren beide den Hype um Agrotreibstoffe. Beide lehnen die sogenannte CCS-Technologie ab, mit der in Kohlekraftwerken das CO2 eingefangen und unterirdisch entsorgt werden soll. Der populäre Klima-Held Al Gore geht beiden auf die Nerven. Doch Hänggis Buch schürft tiefer, es rührt an den Kern des westlichen Wirtschafts- und Lebensstils:

    "Während wir weniger bräuchten - weniger Treibhausgase -, sprechen alle von mehr. Mehr 'Ökoautos'. Mehr Energieeffizienz. Mehr erneuerbare Energien. ... Politiker, Ökonomen, Wissenschaftler, selbst Umweltorganisationen scheinen das Wort 'weniger' mit einem Tabu belegt zu haben."

    Höhere Energieeffizienz, ein Mantra fast aller Klimaschützer, führt laut Hänggi nicht weit - denn relative Einsparungen würden stets vom absoluten Wachstum aufgefressen. Sparsame Lampen bringen dem Klima nichts, wenn es immer mehr davon gibt. Oder:

    "Wer dank besserer Isolation seines Hauses tausend Euro im Jahr für Heizöl spart, fliegt mit dem gesparten Geld vielleicht einmal mehr in die Ferien."

    Hänggi fordert, ein Wirtschaftssystem ohne Wachstumszwang aufzubauen. Doch er will keine Diktatur des Verzichts. Statt einer lustfeindlichen Spargesellschaft zeichnet er eine durchaus originelle Utopie: die einer insgesamt sehr bescheidenen Welt - in der trotzdem Raum für gelegentliche Ausschweifungen bleiben müsse.

    Aussichten auf eine Verwirklichung hat die Idee kaum, ebenso wenig wie Sinns Vorschlag eines globalen Abkommens über fossile Energien. Doch Hänggi stellt in seinem Buch Fragen, die wirklich unbequem sind - für die Politik, die überkommene Energiewirtschaft und auch die meisten Bürger und Verbraucher. Hans-Werner Sinn hingegen geriert sich bloß als unbequemer Kritiker. Sein Ruf nach einer anderen Klimapolitik scheint vor allem eines zu wollen: Das Wenige zu verhindern, was hierzulande bereits für den Klimaschutz getan wird. Es ist klar, welcher der beiden Autoren öfter in Talkshows sitzen wird.

    Hans-Werner Sinn: "Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik". Econ Verlag
    Marcel Hänggi: "Wir Schwätzer im Treibhaus. Warum die Klimapolitik versagt". Rotpunkt Verlag