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Ressourcenstrategie
Weniger Sollbruchstellen und mehr Pfandflaschen

Es geht um nachhaltigen Konsum, bessere Qualität und Mehrwegsysteme: In einer "Bürgerwerkstatt" in Hameln diskutieren Interessierte über den Umgang mit Ressourcen. Ihre Ergebnisse werden in einem Bürgerratschlag Bundesumweltministerin Barbara Hendricks vorgelegt.

Alexander Budde | 29.06.2015
    Leere Grüne Flaschen
    Mehrewegsystem sind ressourcensparend und auch über Flaschen hinaus anwendbar. (imago/JOKER/AlexanderxStein)
    Der Zufall hat sie ausgewählt. In Hameln folgen gleich 40 interessierte Normalverbraucher dem Ruf der "Bürgerwerkstatt". Im Saal ein erstes zaghaftes Abtasten unter den Teilnehmern, die meisten sind im gesetzten Alter:
    "Ich hab mein schönes Tasten-Handy verloren - und da musste ich mir ein Smartphone kaufen, wo ich jetzt überhaupt nicht mit klar komme, weil es einfach zu sensibel ist!"
    Die Zahlen sind ernüchternd: Für die Herstellung eines jeden der geschätzt 140 Millionen Mobiltelefone bundesweit werden 1.300 Liter Wasser, 72 Quadratmeter Fläche und allein 30 Metalle wie Kupfer, Gold und Lithium verbraucht. In den meisten Produkten stecken weit mehr Ressourcen wie Land, Wasser, Rohstoffe, als auf den ersten Blick erkennbar ist, betont Kora Kristof vom Umweltbundesamt.
    "Wir sind alle stark abhängig von Ressourcen, aber wir sind in der Bevölkerung noch etwas blind für das Thema. Und wenn wir wirklich mit Politik Menschen erreichen wollen, müssen wir uns damit beschäftigen: Was erwärmt die Herzen und Bäuche dieser Menschen?"
    Das Neueste, das Beste muss es sein
    Ohne eine drastische Kurskorrektur werden wir Mitte des Jahrhunderts gleich drei Erden an natürlichen Ressourcen verbrauchen, sagt Klaus Wiesen vom Wuppertal-Institut:
    "Fakt ist aber, dass wir natürlich permanent in unserem gesamten Alltag dahingehend beeinflusst werden: Das Neueste, das Beste, dass das unser Ziel ist."
    Die sogenannte Obsoleszenz ist ein Thema, das viele Gemüter bewegt. Der Begriff beschreibt den geplanten Verschleiß eines Produktes, etwa durch den Einbau kurzlebiger Teile.
    "Wenn ich ein Auto habe, dann hatte ich früher zwei Lampen, Glühbirnen, als Rücklicht. Heute sind da ja zehn mal 20 LEDs drauf. Sobald davon eine ausfällt, kriege ich das Auto nicht mehr durch den TÜV. Wenn ich jetzt bei jeder so eine kleine Schwachstelle einbaue, kann ich mir sicher sein, dass das nach drei Jahren kaputt ist! - Das heißt: Ich muss öfter in die Werkstatt fahren? Das ist Wahnsinn, ist das!"
    Reparierbarkeit statt Sollbruchstellen
    Gesetzliche Standards zum Schutz vor der Täuschung fordern auch viele Teilnehmer, die ihre Debattenbeiträge im Internet unterbreiten. Produkte sollten wieder so gestaltet sein, dass sie repariert werden können, dass sie zerlegbar sind. Zahlreiche Vorschläge kreisen um das Thema Abfallvermeidung: Eine Pflichtabgabe auf Plastiktüten fordern Teilnehmer, andere wollen Läden fördern, die ihre Waren möglichst ohne jegliche Verpackung feilbieten, sodass der Kunde selbst über die benötigte Anzahl entscheiden kann. Die Hamelner diskutieren mit Leidenschaft. Klaus Wiesen, der Experte, lauscht mit wachsender Begeisterung:
    "Zum einen, weil viele Ideen nahe an unserer Forschung dran waren, zum Beispiel, dass man die Pfandsysteme, die wir bei Pfandflaschen im Mineralwasserbereich haben, ausweitet auch auf Einwegbesteck, auf andere Einwegprodukte. Und gerade das fand ich überraschend, weil das ja eigentlich was ist, was die Bürgerinnen und Bürger selbst so ein bisschen einschränkt. Es ist ja doch nervig für viele, diese Pfandflaschen zurückzubringen!"
    Umweltverbände wie der BUND fordern, die Menge an direkt oder indirekt für die Produktion genutzten Materialien müsste bis 2050 auf drei Tonnen pro Jahr und Person gesenkt werden. Der Bundesverband der deutschen Industrie sträubt sich indes vehement gegen konkrete Reduktionsziele des Gesetzgebers. ProgRess soll auch künftig vor allem auf Marktanreize und Forschung setzen.
    "Sicherlich hat das Ganze auch was von einem politischen Feigenblatt, man kann hinterher dann sagen, wenn man so was präsentiert als Politiker: Ja, und da sind auch ganz viele Ratschläge von Bürger drin!"
    Wenn sie im Herbst ihren "Bürgerratschlag" an Bundesumweltministerin Hendricks überreichen, wird das in den Verhandlungen um die Ressourcenstrategie kaum mehr als eine Fußnote sein, sagt Martin Helmholt am Ende eines langen Tages. Und fügt dann doch beschwingt hinzu:
    "Fast schon begeistern tut mich, zu merken, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die sich über ähnliche Dinge ärgern wie man selbst: Konsum ohne nachzudenken, von Massenproduktion, von Dingen, die man mit besserer Qualität viel effektiver herstellen könnte.