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Restauratoren in Kambodscha
Die Tempeldoktoren von Angkor Wat

Die Tempelstadt Angkor Wat aus dem zwölften Jahrhundert ist mit einzigartigen Reliefs bedeckt. Doch der Zahn der Zeit zerfrisst den Stein. Zwei Kölner Geowissenschaftler arbeiten seit mehr als 20 Jahren mit Spezialmörtel und Restauratoren-Expertise gegen den Verfall an.

Von Lena Bodewein | 13.02.2018
    Irgendwann gäbe es in der Tempelstadt Angkor Wat keine Reliefs mehr zu fotografieren, wenn nicht zahlreiche Restauratoren gegen den Verfall ankämpfen würden. An vielen Stellen fällt die Steinoberfläche in großen Stücken ab.
    An vielen Tempeln in und um Angkor Wat fällt die Steinoberfläche in großen Stücken ab (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Betörende Wesen, Nymphen, die auf Lotosblüten schweben, Reihen von Halbgöttinnen, die begleitet von grazilen Armbewegungen zu tanzen scheinen – Apsaras genannt – dazu Götter, Kämpfer und Schöpfungsmythen wie das Quirlen des Milchmeeres – das alles schmückt das berühmteste Bauwerk Kambodschas: Angkor Wat, die Tempelstadt.
    Einzigartig mit ihren Reliefs, den Miniaturen, den Verzierungen und Bemalungen selbst noch in entferntesten Ecken und unwichtigsten Türpfosten, ziert sie mit ihren markanten fünf Türmen sogar die Flagge des Landes. Aber ein so einzigartiges Bauwerk aus dem zwölften Jahrhundert lockt nicht nur Millionen von Touristen an, sondern macht viel Arbeit.
    Seit zwanzig Jahren leiten Professor Hans Leisen und Esther von Plehwe-Leisen ein Team von Restauratoren. Sie sind hier wegen der Nymphen, der Apsaras, auf die sie Mitte der Neunziger zum ersten Mal trafen:
    "Um einfach zu sehen, was ist in diesen Galerien an diesen berühmten Reliefs los; das war eigentlich sehr schnell klar, dass das etwas ist, das dringend gemacht werden muss. Wir haben hier natürlich diese wunderbaren Apsaras, und die sind äußerst gefährdet, und darum haben wir damals entschieden, eben hier die bestimmten Arbeiten an den Apsaras zu beginnen."
    Restaurations-Expertise wird weitergegeben
    Die beiden Leisens gelten als Tempeldoktoren. Sie haben schon in Tempelanlagen in Borobodur in Indonesien gearbeitet, in Ayutthaya in Thailand, jetzt in Bagan in Myanmar. Hier sollen die Geowissenschaftler die Tempel von Angkor vor dem weiteren Zerfall bewahren – gesund wird der Patient nie mehr, aber sie können sein Ende kunstvoll hinauszögern: Sie beseitigen die Schäden, die durch Salzbelastung oder Mikroorganismen entstanden sind, durch Fledermaus-Ausscheidungen oder durch eingedrungenes Regenwasser.
    Seit 20 Jahren wird das Ganze gefördert von der Bundesrepublik. Aber das ist nicht alles, wie Renate Reichardt vom Auswärtigen Amt erklärt:
    "Meistens haben eben diese Projekte, wo es geht, eine Ausbildungskomponente dabei, das heißt unsere Experten arbeiten immer mit lokalen Leuten zusammen; in vielen Ländern gibt es so was wie Konservierungswissenschaft, Restauratoren, diese Ausbildung gar nicht, da kommen dann unsere Experten, bilden die Leute aus, schaffen dadurch dann idealerweise Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten für die Leute. So, hier ist ja das beste Beispiel, ich glaube, momentan sind hier 25 Mitarbeiter in dem Projekt von Professor Leisen und seiner Frau."
    Unbehandelt drohen die Reliefs sich abzulösen
    Das German Apsara Conservation Project hat fast nur kambodschanische Mitarbeiter, geschult in den aktuellen Methoden. Und so sitzt eine Handvoll Männer auf einem Gerüst hoch oben an einem der Türme, sie klopfen Steine wie Puzzlestücke zurecht, stellen verwitterte Reliefs wieder her, sichern andere Stellen vor dem Auseinanderbrechen.
    Viele Skulpturen- und Gebäudeteile hängen am seidenen Faden. Die so genannte Schalenbildung ist ein Problem: Unter der festen Oberfläche entsteht durch Hitze, Wasser oder Wind eine weiche Schicht zwischen Außenschale und dem festen Rest des Steines, sie schwindet immer weiter und am Ende löst sich die feste Oberfläche wie eine Schale ab. Das versuchen die Tempeldoktoren zu verhindern:
    "Wir fixieren zum Teil große Steinteile oder Schalen mit Glasfaserstäben oder Glasfaserstiften."
    Spezielle Mörtelmischung zum Festigen
    Den glasfaserverstärkten Kunststoff dafür bringen sie aus Europa mit, ebenso wie andere Zutaten, denn sie injizieren zur Festigung anderer Teile des Bauwerks eine extra entwickelte Mörtelmischung in den Sandstein.
    "Das basiert auf einem Bindemittel und einem Zuschlag, so wie auch ein Kalkmörtel; als Bindemittel nehmen wir aber, weil der Kalk nicht zum Sandstein passt, ein Produkt, das nennt sich Kieselsäure-Ester. Einfach ausgedrückt, wenn das reagiert ist, bleibt amorphes SeO2 übrig."
    Um es vielleicht noch einfacher zu sagen: Das, was übrig bleibt, ist chemisch identisch mit Quarz, dem Hauptbestandteil des Sandsteins.
    Am Anfang wurde noch analog dokumentiert
    Die Wassergräben, die die Tempelanlage umgeben, und die zahlreichen Kanäle, die sie durchziehen, wurden wahrscheinlich im zwölften Jahrhundert genutzt, um die großen Sandsteinblöcke zu transportieren. Sie wurden so bearbeitet und aufeinandergesetzt, dass nur bei ganz genauem Hinsehen eine Fuge zu erkennen ist. Dann erst wurden die Riesenblöcke so behauen, dass die wunderbaren Reliefs zum Beispiel mit den Apsaras entstanden.
    Hans Leisen deutet auf drei Frauenfiguren, die zu schunkeln scheinen – Tanzmariechen, nennt er sie. Gut, das muss er, schließlich kommen er und seine Frau von der Technischen Hochschule Köln. Deren Vizepräsident Professor Klaus Becker ist zur Feier des 20-jährigen Engagements in Angkor Wat auch da:
    "Für uns ist es eben ein wunderbares Beispiel, wie eben Technik und Kultur zusammenkommen; vor 20 Jahren haben die Kollegen hier in der langen Halle mit den Flachreliefs mit einer Schlittenkameraaufnahme die Flachreliefs aufgenommen und dokumentiert, damals noch mit Analogtechnik, heute würde man das digital machen, und seitdem ist man eben auch dabei, mit innovativen Techniken erhaltend dieses Kulturgut für die Menschheit zu bewahren."
    Manchmal "wissen wir anfangs gar nicht, was man tun soll"
    Für die Technische Hochschule passt die Mission mit ihrer Kombination aus Technik und gesellschaftlichem Einsatz perfekt. Aber egal, wie modern die Möglichkeiten sind – hier kommt alles zum Einsatz, was passt, ob Drohne oder Butterbrotpapier, erzählt Hans Leisen. Das Wichtigste ist ihm und seiner Frau, die Situation erst einmal genau unter die Lupe zu nehmen.
    Und manche Tempelteile sind in so schlechtem Zustand, so Hans Leisen, "da wissen wir am Anfang gar nicht, was man da tun soll. Wo man sich langsam annähern muss, wie man so eine Situation stabilisieren kann. Und das kann man ganz bestimmt nicht, wenn man am Anfang mit einem fertigen Rezept hierherkommt und das über den Tempel rüberstülpt, gleich wie er aussieht.
    Esther und Hans Leisen, die begeisterten Geowissenschaftler, leisten handfeste Arbeit, in T-Shirt und blauer Latzhose. 100 Reliefs, ein kompletter Turm und Pavillons sind schon restauriert, 25 verschiedene Tempel werden bearbeitet – Angkor Wat ist nur eine Tempelanlage von vielen rund um die Stadt Siem Reap. Im Lauf von 20 Jahren sind auch viele tanzende Nymphen gerettet worden. Und während unten weiter die Touristen das Bauwerk bewundern, geht die Arbeit auf dem Turm immer weiter.