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Retrospektive Amelie von Wulffen
Meist verwirrend, manchmal verstörend, mitunter lustig

Die Münchner Pinakothek der Moderne zeigt eine Retrospektive des Werkes von Amelie von Wulffen von 2000 bis 2015. Wahrscheinlich der zentrale Punkt aller ihrer Werke ist die Dialektik, dass im Schönen immer das Hässliche steckt - und umgekehrt.

Von Julian Ignatowitsch | 26.10.2015
    Die Malerin Amelie von Wulffen.
    Die Malerin Amelie von Wulffen. (picture alliance / dpa / XAMAX)
    Ein Raum, vier Wände und völlig unterschiedliche Bilder – im Stil, der Motiv- und Materialwahl. Nur eine Künstlerin: Amelie von Wulffen. Sie überschreitet gerne Grenzen, vermischt, überrascht und provoziert.
    Schon die Hängung - an einer Seite sind die Gemälde bis unter die Decke dicht aneinandergereiht: Petersburg. Bei moderner Kunst sieht man das doch eher selten in deutschen Museen.
    Jetzt sitzt von Wulffen in ihrer Ausstellung, schlichtes Kleid, ruhiger Gesichtsausdruck. Als Retrospektive ist die Schau betitelt, naja eher eine 1/3-Retrospektive sei das, sagt sie. Bilder aus den Jahren 2000 bis 2015.
    "Es ist unheimlich, weil man diesen Aspekt von gelebter Zeit um sich herum hat und sich fragt, wie viel Zeit kommt noch dazu. Es ist eigenartig, aber auch ganz schön."
    In einer Ecke hängt ein schwarzes Spinnennetz, man denkt sofort an Louise Bourgeois. Darunter krümmen sich kleine Spielzeugfiguren:
    "Das Spinnennetz hatte ich auch in meinem Jugendzimmer. Es ist ja überhaupt fast ein bisschen peinlich, wie viel eins zu eins aus meinem Leben oder aus meiner Vergangenheit kommt."
    So zum Beispiel der Comic, als Film in Bildsequenzen gezeigt, von Wulffen erzählt in karikaturartigen Bleistiftzeichnungen von skurrilen Situationen und Träumen, sie selbst in der Hauptrolle: ein Treffen mit Goya, narzisstische Künstlerkollegen und deren pseudo-intellektuelles Geschwafel, Oralsex.
    "Im Comic gibt es Momente, die mir peinlich sind, aber nur, wenn ich direkt daneben stehe. Weil es ja so explizit sexuelle Szenen gibt und weil es Selbstporträts sind."
    Abwechslungsreiche Bilder
    Wären es nur solche kurzweiligen Spielereien allein, dann wäre die Ausstellung schnell zu Ende erzählt, aber Triviales wechselt sich hier mit Außergewöhnlichem ab: Da ist das krakenartige Monster - expressiv, fast schon abstrakt - das mit seinen Tentakeln die Tasten eines Klaviers bespielt und sehr düstere Gefühle heraufbeschwört.
    Oder eine impressionistische Küstenszenerie, der Himmel schimmert rot, auf dem Wasser treiben Segelboote und im Vordergrund posiert übergroß Max Beckmann mit Jackett und Zigarette im Mund.
    Es sind diese anspielungsreichen Bilder, die das Werk von Wulffen prägen. Sie sind meist verwirrend, manchmal verstörend, mitunter lustig. Dieses Zerlegen, dieses Dekonstruieren ist so typisch für sie.
    Eine Collage zeigt den Schauspieler John Travolta vor einem kleinen Bergdorf im Winter und kombiniert nicht nur Fotografie mit Acrylfarbe, sondern auch ein klassisches Bildmotiv mit einer Ikone der Popkultur.
    "Die Fragmente, die Fotos, die eigenen Vorstellungen zusammenzubringen: Ich habe eine Zeit lang wirklich gedacht, wie kann ich einen Raum, wie er im Denken konstruiert ist, auf ein Bild bringen."
    Damit folgt von Wulffen den Ansichten eines philosophischen Konstruktivismus. Realität existiert nicht als feststehende Größe, sondern ist ein soziales, kulturelles Konstrukt. Man könnte sie wohl als postmoderne Künstlerin bezeichnen: Fragmentierung, Identitätssuche, Intertextualität - das alles sind Merkmale ihrer Kunst. Sowieso ist eigentlich alles erlaubt - von Wulffen zitiert, kopiert und manchmal dilettiert sie sogar.
    Wie auf einigen Selbstporträt, die mal eben schnell aufs Papier gekritzelt und eher aus Zufall entstanden sind:
    "Und die ersten dieser Porträts waren eigentlich eher nicht ernst gemeinte Nebenprodukte, die ich in einem langweiligen Sommer produziert habe. Und dann hatten sich einige gesammelt und ich fand das lustig, altmodisch und blödsinnig."
    Nachdenklich sieht sie auf diesen Zeichnungen aus, der Blick mehr nach innen als nach außen gerichtet. In ihrem Comic hat von Wulffen an einer Stelle "den schönsten Platz der Welt gefunden", wie es heißt, ein kleines Haus im Wald, sie hat es selbst gebaut - und plötzlich brechen um sie herum Bäume zusammen.
    Diese ständige Verunsicherung, die Dialektik, dass im Schönen immer das Hässliche steckt und umgekehrt. Wahrscheinlich ist das der zentrale Punkt aller ihrer Werke.
    Ausstellungsinfos:
    "Amelie von Wulfen. Bilder 2000–2015" vom 23.10.2015 - 21.02.2016 in der Pinakothek der Moderne, München