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Rettende Roboter

Sie agieren überall dort, wo es für Menschen zu gefährlich ist: in Gebäuden, die nach Erdbeben oder Terroranschlägen eingestürzt sind, in giftgasverseuchten Fabriken und in brennenden, verqualmten Häusern. Bei all diesen Katastrophen helfen Rettungsroboter, Überlebende zu finden und zu retten. Noch aber ist das nur eine schöne Vision.

Von Frank Grotelüschen | 30.05.2010
    "Da werden noch letzte Arbeiten an der Arena durchgeführt. Deswegen finden die ersten Läufe erst heute Nachmittag statt."

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    Die Messehallen von Magdeburg, Donnerstagmorgen, 15. April. Der Ingenieur Dirk Fischer steht am Rand der Arena – ein Labyrinth aus meterhohen Spanplatten. Skeptisch streift sein Blick über das unübersichtliche Areal. Dann hellt sich seine Miene auf.

    "Ich hatte mit Schlimmerem gerechnet. Der größte Unterschied zum letzten Jahr ist, dass der Bereich wesentlich größer geworden ist. Sodass wir schneller nach den Opfern suchen müssen. Sonst kommen wir gerade mal halb durch und haben noch nicht alles abgesucht."

    Fischer kommt von der Uni Paderborn. Er leitet eines der Teams, die in den kommenden Tagen in Magdeburg gegeneinander antreten werden. Oder genauer gesagt: die ihre Roboter gegeneinander antreten lassen. Robocup Rescue, so heißt das Turnier. Eine Spielwiese für eine künftige Robotergeneration: Maschinen, die dort agieren sollen, wo es für Menschen zu gefährlich ist: in Gebäuden, die nach Erdbeben oder Terroranschlägen eingestürzt sind. In havarierten Fabriken, wo giftige Gase ausströmen. In brennenden Häusern, in denen es zu verqualmt ist für Feuerwehrleute. Bei all diesen Katastrophen sollen Rettungsroboter eine Mission erfüllen: Überlebende aufspüren, Verschüttete, Verletzte, Bewusstlose.

    Das Turnier in Magdeburg ist ein Test. Ein Test für neue technische Konzepte und Ideen. Die Maschinen sind Prototypen, sie sollen keine richtigen Opfer finden, sondern nur Dummys, Puppen aus dem Spielzeuggeschäft. Dafür müssen sie einen Hindernisparcours bewältigen – die Arena.

    "Also das ist die Arena."

    Johannes Pellenz, Universität Koblenz. Mitorganisator und Schiedsrichter beim Robocup Rescue.

    "Aufgabe des Wettbewerbs ist, einem Roboter beizubringen, selbstständig oder ferngesteuert ein Gebäude zu erkunden, ob da noch Überlebende nach einem Erdbeben drin sind. Und eine Karte des Gebäudes zu erstellen, und diese Karte rauszufunken. Diese Karte kann dann von den Rettungskräften verwendet werden, um den weiteren Einsatz zu planen."

    Ein Labyrinth aus Holzplatten, 14 Meter lang, zehn Meter breit. In den Gängen die verschiedensten Hindernisse: Rampen, Schrägen, Treppen, Säulen. In einer der Ecken auf dem Fußboden ein Pfeil aus Klebeband. Pellenz:

    "Der Roboter startet hier. Hier müssen die Roboter abgesetzt werden."

    Dann, sagt Pellenz, läuft die Uhr. 20 Minuten hat ein Roboter Zeit, um die Arena zu erkunden – keine Sekunde länger.

    "Der Roboter fährt jetzt los und weiß noch nichts von seiner Welt. Er nutzt seine Sensoren, das ist meist ein Laser-Entfernungsmesser, der ihm sagt: Wo ist das nächste Hindernis? Diesen Sensor nutzt der Roboter, um eine Karte zu erstellen von dem Gebiet und in der Karte zu vermerken: Wo habe ich schon nach Überlebenden gesucht?"

    Pellenz balanciert durch die Gänge, über jene Rampen und Schrägen, die den Robotern das Leben schwer machen sollen. Dann bleibt er stehen, vor sich ein Loch in der Holzwand.

    "Jetzt ist hier in der Wand eine Kiste eingelassen. In dieser Kiste sitzt eine Puppe, die aussieht wie ein Mensch."

    Das Opfer. Vielleicht ein Kind, das nach einem Erdbeben in seinem Zimmer verschüttet wurde und nun zusammengekauert in einem Hohlraum hockt.
    "Um die Körperwärme zu simulieren, haben wir um die Puppe eine Wärmedecke gelegt, die 37 oder 40 Grad hat. Sodass die Wärmekamera auf dem Roboter diese Wärmequelle detektieren kann. Motiviert ist das übrigens dadurch, dass Kinder, wenn ein Erdbeben ist, sich irgendwo verstecken, in einem Schrank oder unter einem Bett. Das wird durch diese Kiste hier simuliert."

    Zwölf Puppen sind in der Arena versteckt. Manche von ihnen bewegen sich, andere strömen CO2 aus wie ein atmender Mensch. Und eine macht sogar Töne.

    "Hier werden Ziffern auf Englisch vorgelesen. Und der Bediener des Roboters muss uns sagen, welche Ziffern er gehört hat."

    Ein Hörtest für den Roboter. An anderen Stellen muss er, ähnlich wie beim Augenarzt, eine Sehtest-Tafel ablesen – eine Prüfung für die Güte der Kamera. Noch steht Pellenz im gelben Bereich der Arena. Gelb heißt: wenige Hindernisse, nicht allzu schwierig. Das Terrain vor allem für die autonomen Roboter. Die nämlich sind zwar eigenständig und intelligent, dafür aber weniger geländegängig als die zweite Klasse der Roboter, die ferngesteuerten Maschinen.

    Jetzt geht Johannes Pellenz zum Bereich orange. Die Rampen werden höher, an manchen Stellen sind sie gegeneinander versetzt.

    "Das heißt, es gibt keinen durchgehenden Bereich, auf dem die Roboter bequem fahren können. Sondern man muss sehr präzise navigieren, um von einer Rampe auf die nächste Rampe zu gelangen. Stolpergefahr hoch drei!"

    Dann kommt rot, der schwierigste Teil der Arena. Pellenz zeigt auf eine Ecke vollgestellt mit Holzklötzchen. Dicht an dicht, unterschiedlich hoch und ziemlich wackelig.

    "Eine klassische Situation: Ein Roboter möchte über einen Schutthaufen fahren. Das kann hier präzise nachgestellt werden."

    Zum Schluss der Höhepunkt der Arena – ein Podest, knapp einen Meter hoch, mit zwei Opfern. Pellenz:

    "Nur die Roboter, die wirklich sehr mobil sind, können da rauffahren. Der Roboter kann entweder diese Rampe nutzen. Oder direkt daneben ist eine kleine Treppe mit fünf Stufen. Der Roboter muss dann Stufe für Stufe nehmen, um auf dieses Podest zu gelangen."

    Rückblende: Mittwoch, 7. April, Universität Paderborn. In ihrem Labor sind Dirk Fischer und sein Team in die Vorbereitungen für den Robocup vertieft. Zwölf Nachwuchsingenieure, die meisten von ihnen studieren noch. Sie hocken vor Flachbildschirmen und basteln an der Software. Fischer dagegen schraubt an dem Roboter herum, der mit nach Magdeburg soll. Getbot, so heißt er.

    "Unser Fachgebiet heißt Grundlagen Elektrotechnik, daher die ersten drei Buchstaben. Und bot von Roboter. Einfach zusammengesetzt halt. Getbot ist ein vierrädriger Roboter mit einem quadratischen Aufbau. Länge circa 60 Zentimeter, Breite gut 50 Zentimeter."

    Das Ding sieht aus, als stamme es aus einem Technikbaukasten für Fortgeschrittene, zusammengebaut von einem ambitionierten Hobbybastler. Doch der erste Blick täuscht. Näher betrachtet steckt Getbot voller Kameras, Sensoren und Elektronik. Fischer:

    "Zum einen eine ganz normale Kamera, um Videobilder aufzuzeichnen. Wichtig ist eine Thermokamera, um auch Wärmebilder aufzeichnen zu können, was für die Suche dringend benötigt wird. Dann viele Sensoren, um den Roboter durch die Gegend steuern zu können, wie 3D-Lagesensor. Ein Laserscanner, um Abstände zu den Hindernissen feststellen zu können."

    Fast noch wichtiger aber als Fahrwerk, Kameras und Sensoren ist die Software, die den Roboter steuert. Quasi die Intelligenz.

    "Für einen Menschen scheint es einfach zu sein: Man geht los, man sieht etwas, man geht dahin. Man weiß, wo man gewesen ist, wo man hin will. Es geht hier darum, das dem Roboter beizubringen. Und so einfach wie es für den Menschen klingt, ist es in der Tat nicht."

    Jetzt rollt Dirk Fischer den Roboter auf einem Wagen zum Fahrstuhl. Ein Test steht an, und der Übungsparcours ist im Keller. Die Übungsarena ist kaum größer als ein Schlafzimmer. Doch mit ihren Rampen und Schrägen ähnelt sie dem richtigen Parcours in Magdeburg. Fischer tippt ein paar Befehle in den Laptop, der oben auf dem Roboter befestigt ist. Zuerst bewegen sich die Kameras, dann setzt sich Getbot in Bewegung. Trotz der Rampen findet er den Weg durchs Labyrinth. Fischer:

    "Er versucht, sich in der Mitte von dieser labyrinthartigen Struktur zu halten und fährt jetzt erstmal einmal das Labyrinth ab, um eine Karte zu erstellen. Die Karte benutzt er dann auch, um die Opfer nachher zu suchen."

    Doch zufrieden ist Fischer nicht. Die Software macht noch Kopfzerbrechen. Sie besteht aus verschiedenen Teilen, eines für die Navigation, eines für die Kartenerstellung, ein drittes für die Opfersuche. Jedes dieser Teile funktioniert für sich gesehen zwar ganz gut. Nur: Das Zusammenspiel will noch nicht so recht klappen.

    "Jetzt geht es darum, die einzelnen Teile gut zusammen zu kriegen, dass sie miteinander harmonieren. Das sind im Moment die wesentlichen Arbeiten, die laufen."

    Eine Menge Arbeit bis zum Robocup in Magdeburg.

    Eine Woche später, Donnerstag Nachmittag in Magdeburg. Langsam wird es ernst. Noch eine Stunde, dann beginnt der erste Lauf. Auch die anderen Teams stehen in den Startlöchern. Die Konkurrenz.

    "Das ist unser teleoperierter Robot. Er hat hier seitlich einen panzerartigen Kettenantrieb."

    Alexa Starovic. Ein Österreicher in Diensten der Universität Warwick unweit von Birmingham.

    "Er kann über unebene Oberflächen mit Leichtigkeit rüberfahren. Steigungen und Treppen sind für uns kein Problem."

    Der Roboter aus Warwick wird ferngesteuert, und zwar mit einem Controller ähnlich wie bei einer Spielkonsole. Er ist mobil und geländegängig, dafür nicht sehr intelligent.

    "Wir haben einen ferngesteuerten Monster-Truck aufgerüstet. Das einzige, woran man noch erkennt, dass das einmal ein ferngesteuerter Monster-Truck war, sind die Räder."

    Karen Petersen, Technische Universität Darmstadt. Auf das Spielzeuggestell von Hector, so heißt ein weiterer Konkurrent von Getbot aus Paderborn, sind zwei Metallboxen montiert, darin die Rechner. Petersen:

    "Oben drauf sitzt ein Kamerakopf. Darauf haben wir eine normale Kamera für normale Bilder und eine Wärmekamera, mit der wir nach diesem Wärmedecken suchen, die bei den Opfern dabei liegen."

    Ein ähnliches Konzept wie Getbot, allerdings kleiner und leichter. Insgesamt sechs Teams treten in Magdeburg an. Einige der Roboter sind ferngesteuert, andere autonom, unter ihnen Hector und Getbot. Ein ausgefeiltes Regelwerk soll dafür sorgen, dass alle dieselben Chancen haben.

    "Wenn etwas kommt, dann kommt halt alles zusammen!"

    Bei Dirk Fischer kommt plötzlich Hektik auf.

    "Gerade haben wir einen Hardware-Fehler: Da ist eine Festplatte abgeraucht an dem PC, den wir für den Roboter brauchen. Da suchen wir jetzt noch händeringend nach Ersatz."

    Fieberhaft basteln die Paderborner in ihrer Werkstatt. Vier Tische vollgepackt mit Computern und Elektronikteilen – eine Boxengasse für Roboter. Aber: Eine neue Festplatte ist nicht aufzutreiben. Fischer muss den Laptop auf dem Roboter gegen einen anderen austauschen. Der Ingenieur bleibt gelassen.

    "Gut, es ist ja nun kein richtiges Erdbeben-Szenario. Es ist ein Wettbewerb. Es ist natürlich schade, dass es jetzt nicht klappt. Aber das muss man halt auch ein bisschen sportlich sehen."

    Dann, um halb fünf, ist es soweit: Vorsichtig rollen die Forscher ihren Roboter in die Arena. Das Startsignal. Eine Weile passiert nichts. Dann setzt sich Getbot in Bewegung und bleibt gleich an der Seitenwand hängen. Dirk Fischer:

    "Er ist seitwärts weggerutscht. Ob er zu schnell gefahren war, die Drehgeschwindigkeit zu hoch gewesen ist? Es wird wahrscheinlich das Gleiche passieren, befürchte ich."

    Das Problem: Der Roboter muss auf einer 15-Grad-Schrägen starten und sich erst einmal um die eigene Achse drehen. Dabei rutscht er ab – und zwar ein ums andere Mal. Gnadenlos tickt die Uhr. Dann endlich fährt Getbot ein paar Meter, um nach zwei Kurven schon wieder an der Wand hängenzubleiben. Diesmal war während der Fahrt der Deckel des Laptops zugeklappt und hatte den Computer auf Stand-by gestellt. Eine blöde Panne. Der Lauf ist vorbei, Getbot hat nur ein paar Meter geschafft – null Punkte.

    "Ich kenne das vom letzten Jahr. Der erste Lauf war ähnlich schlecht. Und wir haben uns im Laufe der Woche gesteigert. Ich hoffe, dass das dieses Jahr auch wieder klappt."

    Roboter haben sich bislang vor allem in der Industrie bewährt. Dort sind die Bedingungen exakt definiert. Die Maschinen haben ganz bestimmte Aufgaben zu erledigen: immer die gleiche Schweißnaht, immer die gleiche Schraube an immer derselben Stelle.

    Anders bei Katastrophen – bei Feuersbrünsten, Terroranschlägen, Erdbeben, Zugunglücken. Gebäude fallen in sich zusammen, Häuser stehen in Flammen, Giftgas tritt aus, Zugwaggons brennen. Verletzte liegen eingekeilt in Autowracks oder verschüttet unter eingestürzten Mauern.

    "Einen Roboter für solche Extremsituationen zu bauen, ist sehr schwierig. Dazu braucht es eine extreme Geländegängigkeit, widerstandsfähige Sensoren und eine künstliche Intelligenz, die sich in einer ungeordneten und chaotischen Umgebung zurechtfindet. Im Moment hapert es bei den Robotern noch an allem."

    Adam Jacoff, Robotikexperte am National Institute of Standards and Technology in den USA, kurz NIST. Einer der weltweit führenden Experten in Sachen Rettungsroboter.

    ""Bislang hat man Roboter in Katastrophenfällen nur sporadisch eingesetzt. Aber es gibt durchaus Einsatzmöglichkeiten: und zwar in Ecken und Winkeln, die zu klein sind, als dass menschliche Rettungskräfte da hinein passen könnten."

    New York, 11. September 2001, Ground Zero. Der erste dokumentierte Einsatz eines Rettungsroboters. Eine geländegängige Kamera, ferngesteuert per Kabel, sucht in den eingestürzten Twin Towers Spalten und Winkel ab, die zu eng sind für die Feuerwehrleute. Das, glaubt Adam Jacoff, war nur der Anfang. Künftig sollen Roboter in Katastrophengebieten systematisch nach Überlebenden suchen und die Rettungskräfte tatkräftig unterstützen. Dazu aber müssen die Maschinen drei Anforderungen erfüllen, jede für sich höchst anspruchsvoll. Erstens: Rettungsroboter müssen extrem geländegängig sein, müssen über Schutthaufen manövrieren und sich zwischen Mauerresten und umgestürzten Möbeln bewegen. Adam Jacoff:

    "Manche Roboter sind sehr klein, kaum größer als ein Spielzeug. Mit ihnen lassen sich kleinste Lücken auskundschaften. Andere sind so groß, dass sie kaum von einer Person hochgehoben werden können. Sie sind dazu bestimmt, ganze Straßenblocks abzusuchen. Es gibt Roboter, die Treppen steigen können, entweder mit einer Art Raupenantrieb, oder indem sie sich um sich selbst drehen. Andere haben ganz normale Räder."

    Manche Roboter haben sechs Räder, jedes befestigt an einem spinnenartigen Bein. Sie können abwechselnd rollen und über Hindernisse hinweg staksen. Andere Maschinen besitzen ein eingebautes Katapult. Steht ein Hindernis im Weg, hüpfen sie einfach drüber hinweg.

    Zweitens: Rettungsroboter müssen mit den unterschiedlichsten Sensoren bestückt sein: Kameras für Videoaufnahmen. Infrarotsensoren für Wärmebilder. Mikrofone, um Hilferufe zu hören. Gassensoren, um Giftgas aufzuspüren. Thermometer, um Temperaturen zu messen. Laserscanner, um Entfernungen zu erfassen. Adam Jacoff:

    "Ein Laserscanner kann sehr genau messen, wie weit die Gegenstände von einem Roboter entfernt sind und wie groß der Raum oder der Gang ist, in dem er sich gerade befindet. Ist zum Beispiel ein Hohlraum in einem eingestürzten Gebäude groß genug, damit sich dort ein Katastrophenhelfer reinwagen kann, um ein Opfer zu bergen? Dafür kann ein Laserscanner extrem nützlich sein."

    Drittens: Rettungsroboter sollten nicht nur ferngesteuert funktionieren, sondern auch autonom, also von selbst ihren Weg finden können. Nicht selten nämlich bricht in einem Katastrophenszenario die Funkverbindung zusammen. Dann ist die Maschine auf sich allein gestellt. Adam Jacoff:

    "Wenn die Funkverbindung zusammenbricht, wäre es äußerst hilfreich, wenn der Roboter genug Intelligenz besäße, um von selbst hinter die nächsten Ecken zu schauen und danach autonom zum Ausgang zurückzufinden, weil er sich seinen Weg gemerkt hat."

    Extreme technische Anforderungen für einen Roboter. Und die Ingenieure schaffen es nur allmählich, ihnen gerecht zu werden.

    Magdeburg, Samstag Nachmittag. Ein Blick in die Gesichter von Dirk Fischer und seinen Leuten: blass, Ringe unter den Augen, immer wieder ein unterdrücktes Gähnen.

    "Ich will jetzt nicht gerade von Lagerkoller sprechen. Aber es ist schon ein bisschen anstrengend für alle Beteiligten. Ich denke, wenn die Woche um ist, wird erst mal ein paar Tage viel Schlaf nachgeholt."

    Bis tief in die Nacht hatte das Getbot-Team am Donnerstag versucht, den Roboter zu reparieren. Und tatsächlich: Am Freitag gab’s einen ersten Erfolg.

    "Wir haben die Software vom letzten Jahr, wo die Anfahrt besser funktioniert hat, integriert. Und beim ersten Lauf haben wir zumindest ein Opfer finden können."

    Dennoch: Am Freitag Abend entschließen sich die Forscher zu einem radikalen Schritt. Sie wollen eine komplett neue Programm-Architektur einsetzen. Diese soll dafür sorgen, dass die einzelnen Software-Teile besser miteinander harmonieren. Doch die Zeit ist zu knapp. Gleich, um halb fünf, soll der nächste Lauf starten – und die Software ist noch nicht fertig. Fischer zieht die Notbremse.

    "Jetzt war schnell eine Entscheidung zu treffen, ob wir das, was wir gerade noch fertig kriegen wollten, nehmen. Das stockte aber bei den ersten Tests gerade. Jetzt wird noch mal eine Konfiguration von heute Morgen herausgekramt. Die müssen wir jetzt ganz schnell zum Laufen bringen."

    Fieberhaft tippt Fischer die letzten Befehle in den Rechner. Dann endlich:

    "Fährt."

    Doch schon ein paar Sekunden später wieder Hektik:

    "Reset!"

    "Stopp!"

    Getbot versucht, die Wand hochzufahren. Eine gefährliche Situation, der Roboter könnte kaputtgehen. Fischer:

    "Den Notaus! Einfach oben den Notaus."

    Auch dieser Lauf endet mit einer Enttäuschung. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt.

    "Man muss hier nur ein bisschen in die Runde gucken. Glücklich ist niemand."

    Die Hoffnungen ruhen auf dem letzten Lauf am Sonntag. Vielleicht, so hoffen die Ingenieure, lassen sich die Probleme ja doch noch über Nacht beseitigen.

    Texas, 50 Kilometer nordwestlich von Houston. Ein eigenwilliger Ort, eine Geisterstadt der besonderen Art: Disaster City. Adam Jacoff:

    "Es ist ein riesiges Trainingsgelände für Katastrophenhelfer. Hier gibt es Zugwaggons, die sich nach einem Crash ineinander verkeilt haben. Autowracks nach einer Massenkarambolage. Häuser in verschiedenen Stadien des Kollapses. Alles höchst realitätsgetreu, aber soweit gesichert, dass man sich gefahrlos darin bewegen kann. In diesem Szenario müssen sich die Rettungsroboter bewähren, und zwar unter den kritischen Augen von professionellen Katastrophenhelfern."

    März 2010. Für ein paar Tage hat Adam Jacoff die Vertreter zweier Welten zusammengetrommelt. Auf der einen Seite die Konstrukteure von Rettungsrobotern – Forscher und Ingenieure von Universitäten und Roboterherstellern. Auf der anderen Seite professionelle Katastrophenhelfer: Feuerwehrleute, Einsatzleiter, Sanitäter.

    "Hier versuchen wir, die Forschung aus dem Labor ein Stück weit in die Praxis zu holen. In einer Umgebung, in der man die neuesten Konzepte testen kann, um den Konstrukteuren Hinweise zu geben, ob sie überhaupt in die richtige Richtung arbeiten."

    Eine Nagelprobe für Rettungsroboter. Nur die besten der Welt dürfen an der Übung in Disaster City teilnehmen. Jacoff:

    "Die Katastrophenhelfer können mit den Robotern herumspielen und herausfinden, was funktioniert und was nicht. Diese Erfahrungen tauschen sie dann mit den Konstrukteuren aus, was natürlich sehr wertvoll ist. Dann wissen die Konstrukteure, was sie konkret verbessern müssen. Und die Einsatzkräfte bekommen einen Eindruck, welche neuen Möglichkeiten in Zukunft auf sie zukommen werden, zum Beispiel der Einsatz von Laserscannern."

    Dass ein Roboter mit dem Laserscanner eine 3D-Karte vom Inneren eines eingestürzten Gebäudes aufnehmen kann – das habe die Katastrophenhelfer tief beeindruckt, sagt Jacoff. Eine Technik, die in Zukunft zum Standard gehören könnte. Mittlerweile gibt es eine Handvoll Firmen, die ferngesteuerte Roboter anbieten: Telerob aus Deutschland, Bluebotics aus der Schweiz, iRobot aus den USA. Diese Firmen versuchen, die innovativen Ideen aus den Labors der Forschergruppen in robuste, zuverlässige Produkte umzusetzen. Für den Einsatz bei Katastrophen eignen sich die Roboter, die heute auf dem Markt sind, allerdings nur sehr bedingt. Um wirklich nützlich zu sein, müssen Rettungsroboter robuster werden, geländegängiger, zuverlässiger, eigenständiger. Und, sagt Adam Jacoff, vielleicht werden Rettungsroboter künftig im Team agieren.

    "Eines Tages könnten Roboter koordiniert zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen, quasi als Schwarm. So wäre es interessant, wenn sich mehrere Roboter in einem Erdbebengebiet selbstständig positionieren könnten, um ein Funknetz aufzubauen. Das ist zwar im Prinzip schon heute machbar, funktioniert aber noch nicht zuverlässig. Doch in zehn Jahren wird das sicher möglich sein."

    Dirk Fischer:

    "Letzte Chance. Wir geben jetzt der gerade noch mal neu entwickelten Software eine Chance. Da sind gerade die letzten Codezeilen eingetippt worden. Das ist wieder ein Schuss ins Blaue. Mal sehen, was jetzt passiert."

    Sonntag Mittag, halb zwölf. Gleich startet Getbot zu seinem letzten Lauf. Schon wieder ist es reichlich eng.

    "Bis auf die letzte Millisekunde wird jetzt noch versucht, einen Fehler zu finden. Ich hoffe, er fährt gleich zumindest los. Das Startsignal ist schon gegeben worden, und wir sollten jetzt eigentlich losfahren."

    Und tatsächlich: Getbot setzt sich in Bewegung. Langsam, wie in Zeitlupe, sucht er sich seinen Weg durchs Labyrinth. Dirk Fischer ist erleichtert.

    "Zumindest ist er losgefahren. Das ist schon mal etwas. Wir sind auf jeden Fall schon mal weitergefahren wie gestern und noch nirgends angeeckt. Und es ist mit der komplett neuen Software, die jetzt gerade auf der letzten Sekunde fertig geworden ist."

    Dann nähert sich Getbot einem Opfer. Gebannt schauen de Forscher zu, aber im letzten Augenblick schlägt der kleine Roboter eine andere Richtung ein. Die Chance ist vertan. Und plötzlich bleibt er einfach stehen – wieder mal. Fischer:

    "Jetzt ist der Laptop-Akku leer. Wenn, dann kommt eines zum anderen. Dieses Jahr sind wir teilweise vom Pech verfolgt. Teilweise hängt das auch an der noch nicht ganz ausgereiften Software."

    Wahrscheinlich habe man zu spät mit dem Schreiben der neuen Software angefangen, sagt Fischer selbstkritisch. Im nächsten Jahr, nimmt er sich vor, soll’s früher losgehen. Und dann könnte Getbot wieder auf die Erfolgspur finden. Denn dass der Roboter aus Paderborn durchaus in der Lage ist, seinen Weg durch einen Hindernisparcours selbstständig zu finden, hatte er in Vergangenheit ja bewiesen.

    Eine Viertelstunde später. Hector ist im Parcours, der Roboter aus Darmstadt. Nach einer Weile bleibt der umgebaute Spielzeug-Truck vor einer der Puppen stehen. Ruckartig schwenkt er seine Kameras auf und ab. Dann gibt er Meldung.

    "Opfer, Opfer, Opfer!"

    "Jetzt haben wir ein Opfer gefunden! Und der Referee kommt und beurteilt jetzt, wie viel wir davon sehen."

    Mit seiner Wärmebildkamera hat Hector das Opfer gefunden. Die Ingenieure aus Darmstadt sind zufrieden. Für sie ist der Wettbewerb deutlich besser gelaufen als für Getbot aus Paderborn. Schiedsrichter Johannes Pellenz verkündet das Ergebnis.

    "Im Gesamtwettbewerb haben sich drei Teams herauskristallisiert, die recht viele Opfer gefunden haben. Auf dem dritten Platz ist das Team Resko aus Koblenz. Auf dem zweiten Platz ist das Team aus Darmstadt gelandet, das Team Hector. Und auf dem ersten Platz ist das Team aus Großbritannien von der Universität Warwick gekommen, die einen sehr mobilen Roboter haben, der auch Rampen und Treppen hochfahren kann, und von Menschen gesteuert. Das ist den autonomen Robotern immer noch tatsächlich überlegen."

    Aber: Bis ein Roboter tatsächlich einmal verschüttete Menschen in eingestürzten Häusern aufspüren kann, werden Jahre vergehen. Denn die Technik ist längst nicht ausgereift und vor allem noch viel zu unzuverlässig.


    Weiterer Link zum Thema:
    New Scientist, 21.04.08