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Rettung durch Musik

Gustavo Dudamel mit seinem furiosen Jugendorchester begeisterte die Zuhörer bei den Salzburgern Festspielen. Die gute Resonanz beim Publikum war in allen Altersstufen vorhanden. Die Begeisterung des Orchesters übertrug sich mühelos in den Saal. Selbst der Radetzkymarsch kam lateinamerikanisch daher.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch mit Beatrix Novy | 30.08.2008
    Beatrix Novy: Kann schon sein, dass die Erfolge, die Gustavo Dudamel mit seinem furiosen Jugendorchester bei den Salzburgern Festspielen einheimst, daheim in Venezuela für die politische Imagepflege ausgeschlachtet werden. Die venezolanische Flagge wurde jedenfalls gehisst, als der Gründer des Orchesters in Salzburg gefeiert wurde. Gestern noch hat diese Formation mit 180 jungen Musikern, die früher so gar nicht in die Heiligen Hallen von Salzburg gepasst hätte, die Zuhörer begeistert. Sie waren ein Teil des Konzertprogramms der Festspiele, über die auch sonst noch einiges zu sagen ist. Jörn Florian Fuchs in Salzburg, wie sah denn das aus?

    Jörn Florian Fuchs: Es gab mehrere Programmlinien. Eines waren die Schubert-Szenen. Das waren sehr klug konzipierte Konzerte, und da wurde versucht, Schubert zu kontrastieren oder auch in Resonanz zu bringen mit Leuten aus dem Umfeld von Schubert, aber auch mit Neutönern etwa wie Wolfgang Rihm oder Luigi Nono. Und die andere Programmschiene war der Kontinent Sciarrino, wo man diesen italienischen Klangtüftler Salvatore Sciarrino vorgestellt hat in neun Veranstaltungen. Und auch dort gab es Resonanzen, etwa mit Isabel Mundry, mit Bet Furrer und nochmals mit Nono. Und Sciarrino wurde auch gewürdigt in Form von zwei musiktheatralen Projekten, nämlich der "Tödlichen Blume", eine Oper, bei der es um Gesualdo geht. Und diese Thematik wurde auch noch mal in ein Puppentheater übertragen.

    Novy: Sind diese Modernen und ist die Mischung vor allem mit Schubert im ersten Teil, von dem Sie gerade erzählt haben, gut angekommen beim Publikum?

    Fuchs: Ja, das Erstaunliche ist, dass auch die etwas sperrigeren Konzerte restlos ausverkauft waren. Das ist eine Mischung gewesen aus jungen Leuten bis hin zu dem berühmten "Silbersee", der ja in Salzburg doch verstärkt auftritt, wirklich alle Altersstufen. Und die Resonanz beim Publikum war auch extrem gut.

    Novy: Ganz sicher kein Problem mit der Akzeptanz wird man gehabt haben, als man Gustavo Dudamel gehört hat, Gustavo Dudamel mit seinem Simón-Bolívar- Jugendorchester.

    Fuchs: Das war erwartungsgemäß ein Riesenerfolg beim Publikum. Das Konzept war ja nicht, dass man die einfach einlädt zu zwei, drei Konzerten, sondern dass man die umfassend als Residenzorchester hier einführt. Und so gab es zum Beispiel einen ganzen Tag mit dem Bolívar-Orchester, mit sehr viel Kammermusik, was über viele, viele Stunden ging. Da gab es auch das romantische Repertoire, aber dann auch sehr viele Lateinamerikaner. Und es wurde veranstaltet zwei Nachmittage lang eine Schule des Hörens. Da war es ganz phänomenal, wie man Nikolaus Harnoncourt erlebte, wie er in einer Mischung aus Deutsch, Österreichisch und Englisch den jungen Musikern versucht hat, zu erklären, wie eigentlich Beethovens "Fünfte Sinfonie" funktioniert, und warum sie sie bis jetzt immer falsch gespielt haben. Und nach diesen Erklärungen von Harnoncourt war eben das völlig plausibel.

    Und auf der anderen Seite, in den Konzerten selber gab es etwa gestern noch Martha Argerich und die Capucon-Brüder mit dem "Tripelkonzert" von Beethoven, danach gleich "Bilder einer Ausstellung". Alles sehr groß besetzt in diesem Orchester, sehr, sehr präzise dirigiert, aber aus einer inneren Energie heraus angelegt. Es wird einem keine Sekunde langweilig, natürlich auch nicht bei den lateinamerikanischen Stücken. Wobei wir gestern sogar den "Radetzkymarsch" noch erlebt haben, der dann auf etwas Lateinamerikanisch hochgepeppt war und das Publikum wirklich auf den Stühlen war und mitgeklatscht hat. Jetzt müssen wir aber unbedingt ein Beispiel mal hören und eines dieser lateinamerikanischen Stücke hören wir jetzt.

    Fuchs: Dieses Orchester, das sind ja die besten Musiker aus Venezuela, wo es dieses berühmte Sistema gibt. Das heißt schon, dass die ganz jungen Kinder herangeführt werden an Instrumente, an Musikschulen, fast jeder spielt dort ein Instrument in diesem Land, gerade aus der jüngeren Generation. Und drei Viertel der Musiker kommen eben aus den Slums. Und es geht um diese Utopie der Rettung durch Musik.

    Novy: So viel zum Konzertprogramm in diesem Jahr. Nun weiß man ja schon, was im nächsten Jahr geplant ist in Salzburg.
    Fuchs: Ja, Markus Hinterhäuser plant einen Kontinent Varèse, um diesen Komponist wird es gehen. Das Ganze wird verbunden mit dem späten Liszt, was ziemlich interessant und einfach wichtig ist. Denn der späte Liszt, da löst sich die Tonalität ja schon völlig auf, wenn Sie diese Musik hören und es nicht zuordnen wissen, indem Sie es wissen, würden Sie sagen, das ist vielleicht ja zum Teil 30er-, 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts. Um diese Entdeckung wird es gehen. Und was das Opernprogramm betrifft, da wissen wir schon, dass es eine Nono-Oper gibt szenisch und ansonsten relativ viel Wiederaufnahmen. Ein bisschen hat man den Eindruck, dass unter Jürgen Flimm die Salzburger Festspiele so eine Art Semistation im Prinzip bekommen. Der "Othello" zum Beispiel kommt wieder aus diesem Jahr, auch "Romeo et Juliet" wird in den nächsten Jahren öfters zu sehen sein. Ein bisschen viel Reprisen für meinen Geschmack in der Opernsparte.

    Novy: Die Salzburger Festspiele in diesem und auch schon der Ausblick zum nächsten Jahr. Das war Jörn Florian Fuchs.