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Revier ohne Vielfalt

Die "Westfälische Rundschau" ist ab dem 1. Februar 2013 ein Blatt ohne Journalisten und ohne Lokalredaktionen. Mit der Auflösung wird de facto eine ganze Zeitung abgewickelt – obwohl sie pro forma weiter erscheint. Fast 120 Redakteure und 180 freie Mitarbeiter sind nun ohne Arbeit.

Von Brigitte Baetz | 01.02.2013
    "Wir brauchen Zeitungsvielfalt, weil wir Meinungsvielfalt in einer Demokratie benötigen."

    Dortmund, am 19. Januar. Rund 1200 Menschen haben sich auf dem Alten Markt versammelt, um gegen einen bundesweit bislang einmaligen Vorgang zu protestieren: die Auflösung der gesamten Redaktion einer Zeitung – der "Westfälischen Rundschau" – die gleichwohl weiter erscheinen wird. Die Inhalte werden ab Anfang Februar von der Konzernmutter "WAZ" und der lokalen Konkurrenz zugeliefert. Eine Zeitung mit einer verkauften Auflage von 115.000 Exemplaren – hergestellt ohne eigene Mitarbeiter.

    Unter den Rednern der Protestkundgebung sind zwei nordrhein-westfälische Landesminister, Angelica Schwall-Düren und Guntram Schneider von der SPD. Der Arbeits- und Sozialminister Schneider ist auch Landtagsabgeordneter für Dortmund, dem Standort der "Westfälischen Rundschau".

    "Es kann nicht sein, dass Zeitungen gehandelt werden wie Zitronen oder Blumenkohl hier auf dem Wochenmarkt. Der wird immer, wenn der Markt zu Ende geht, billiger. Das wollen wir bei Presseorganen nicht."

    Die Solidarität der SPD mit der "Westfälischen Rundschau" hat auch historische Gründe. 1946 war die Zeitung von drei Sozialdemokraten gegründet worden. Als sie 1975 in wirtschaftliche Bedrängnis geriet, wurde das Parteiblatt, das gleichwohl für sich in Anspruch nahm, alle gesellschaftlichen Positionen abzubilden, an die "WAZ" verkauft.

    Eine durchaus sinnvolle Verbindung. Auch die "WAZ" in Essen – die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" - war wie die Rundschau federführend von einem Sozialdemokraten gegründet worden. Erich Brost hatte gemeinsam mit dem konservativen Kaufmann Jakob Funke 1948 die Lizenz der Briten für die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" erhalten und zum führenden Medienunternehmen im Westen der Bundesrepublik gemacht.

    Die "WAZ" ist die größte Regionalzeitung Deutschlands und gilt bis heute als eine Art grauer Riese – wirtschaftlich potent, publizistisch unauffällig. "Die Dame, die den Pelz nach innen trägt", so wurde sie einmal genannt. Nicht nur das Mutterblatt, sondern auch die Mitte der 70er-Jahre hinzugekauften Blätter – neben der Rundschau auch die "Neue Ruhr/Rheinzeitung" und die christlich-konservativ ausgerichtete "Westfalenpost" - setzen weniger auf publizistische Edelfedern als auf bodenständige Informationen aus der Heimat. Die wenigsten ihrer Journalisten wurden überregional bekannt. Alfons Pieper hat die meiste Zeit seines beruflichen Lebens im Dienste der "WAZ" verbracht – zuletzt als stellvertretender Chefredakteur und Chefkorrespondent in Berlin. Nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus der Redaktion hat er mit anderen das Blog "Wir in NRW" gegründet:

    "Die 'WAZ' war immer die Zeitung des Reviers. Wir waren das Sprachrohr der Leute, gerade vor Ort. Bei uns war es nie besonders beliebt, Fremdwörter zu benutzen. Weil man sagte: Nicht jeder hat Abitur und hat studiert, im Gegenteil. Im Ruhrgebiet, da war der sogenannte kleine Mann, das war der beherrschende auf der Straße und auf dem Markt und überhaupt, und wir waren das Organ, und wir gaben dieser Gruppe die Stimme. Wir sorgten dafür und haben uns um sie gekümmert."

    Neben seiner sozialen Ausrichtung galt der "WAZ"-Konzern bis vor wenigen Jahren auch als Garant für die Meinungsvielfalt im Revier – trotz seiner wirtschaftlichen Monopolstellung. Der Grund: das sogenannte "WAZ"-Modell.

    Unter diesem Schlagwort durfte die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" in den 70er-Jahren überhaupt erst die "Westfälische Rundschau", aber auch die "Neue Ruhr/Rheinzeitung" und die "Westfalenpost" kaufen. "Publizistische Vielfalt unter einem betriebswirtschaftlichen Dach", so hieß die Devise.

    Die einzelnen Blätter blieben redaktionell unabhängig, wurden allerdings gemeinsam verwaltet und produziert. Ein erfolgreiches Konzept: Die Zeitungsgruppe beherrscht seitdem den Werbemarkt an der Ruhr und bekam keine Probleme mit dem Bundeskartellamt. Bis zu 30 Prozent Rendite wurden zwischenzeitlich erwirtschaftet. Der ehemalige "WAZ"-Mann Alfons Pieper erinnert sich:

    "Das Modell 'WAZ' sorgte ja expressis verbis dafür, dass neben der 'WAZ' die 'Rundschau', die 'NRZ' und die 'Westfalenpost', die ja eine eher konservativ ausgerichtete Zeitung war, bestehen bleiben sollten, mit einer eigenen Zentralredaktion, mit eigenen Leuten in Düsseldorf, als Landeskorrespondenten, mit eigenen Leuten in Bonn und später in Berlin. Im Wesentlichen wurden auch die Lokalredaktionen beibehalten, sodass Sie in manchen Städten zwei, ja drei Wettbewerber hatten."

    Doch damit scheint es nun vorbei. Mit der Auflösung der Rundschau-Redaktion wird de facto eine ganze Zeitung abgewickelt – obwohl sie pro forma weiter erscheint. Fast 120 Redakteure und 180 freie Mitarbeiter sind nun ohne Arbeit. Während ihnen im November noch versichert wurde, die von Auflagenrückgang geplagte Zeitung sei auf einem guten Weg, erhielten sie vor knapp zwei Wochen die Nachricht, dass die "Westfälische Rundschau" ab Februar ohne sie auskommen wird.

    "Es ist, als wenn ein Mensch gestorben ist. Es geht ein Stück Lebensinhalt, der 25 Jahre da war, kaputt."

    In ihrer Pressemeldung vom 15. Januar schrieb die "WAZ"-Mediengruppe:

    Unser Ziel ist es, die Westfälische Rundschau zu erhalten und damit die Medienvielfalt in dem Verbreitungsgebiet sicherzustellen.

    Ein Satz, der nicht nur vielen Betroffenen und Gewerkschaftsvertretern wie Hohn vorkommt. Der Zeitungsforscher und Chef des Dortmunder Formatt-Instituts Horst Röper:

    "Pressevielfalt heißt eben unterschiedliche redaktionelle Leistungen. Hier werden ja gerade redaktionelle Leistungen vereinheitlicht. Man hat zwar noch zwei Verpackungen, aber da drin steckt dieselbe lokale Information. Das ist das Gegenteil von Vielfalt, nämlich Einheitsbrei."

    Künftig wird ein großer Teil der Lokalberichterstattung der "Westfälischen Rundschau" von der konservativen Schwester "Westfalenpost" übernommen. In Dortmund, dem Sitz der "Westfälischen Rundschau" soll der Lokalteil künftig vom Konkurrenten, den konservativen "Ruhr Nachrichten" aus dem Verlag Lensing-Wolf zugeliefert werden. Für den Zeitungsexperten Horst Röper, selbst langjähriger Abonnent der Rundschau, ein Unding, das der Leser auf Dauer nicht akzeptieren werde:

    "Im Volksmund heißt die Zeitung hier die Schwarze Paula. Das kommt nicht von ungefähr. Jetzt versucht man also, eine rote Zeitung mit einem schwarzen Lokalteil zu bestücken. Das kann nicht gut gehen."

    Der Zeitungsforscher rechnet damit, dass viele Leser ihre Abonnements kündigen werden. Die achtgrößte Stadt Deutschlands wird nun – wie weite Teile des Reviers - im Lokalen ein Meinungsmonopol bekommen. Ein Verlust an Urbanität, schreibt die "FAZ". Kommunalpolitiker mehrerer westfälischer Städte protestieren. Franz-Josef Vogel, Bürgermeister in Arnsberg, schreibt in einem offenen Brief von einer Schwächung der örtlichen Bürgergesellschaft. Während die "WAZ"-Medienholding durch die Weiterführung des Titels "Westfälische Rundschau" ihre Anzeigenkunden behält, sehen Künstler wie der Kabarettist Martin Kaysh das kulturelle wie politische Biotop ihrer Heimat bedroht. Auf der Kundgebung am 19. Januar in Dortmund sagte er:

    "Clausthaler hat erfunden das Bier ohne Alkohol, Schalke den Fußball ohne Meisterschaft, und die 'WAZ' erfindet gerade die Zeitung ohne Redaktion. Und hier wird öffentliches Leben zerstört, wird Gemeinschaft, Gesellschaft zerstört. Ein Gemeinwesen, eine Kommune lebt von Beteiligung, und das lebt von Wissen und Information, und die müssen aus verschiedenen Quellen stammen."

    Für diesen Samstag haben die Journalistengewerkschaften zu einem Trauermarsch in Dortmund aufgerufen, bei dem die "alte Westfälische Rundschau" symbolisch zu Grabe getragen wird. Die "WAZ" erklärt ihre radikale Entscheidung mit wirtschaftlichen Zwängen. Und tatsächlich: Die Traumrenditen der 70er- und auch noch der 90er-Jahre kann heute kein Zeitungsunternehmen mehr vorweisen. Seit der Jahrtausendwende befindet sich die Branche im Umbruch. Die Zahl der Leser geht zurück, und für das Internet konnten die Verlage noch kein Geschäftsmodell entwickeln, das die Verluste der gedruckten Zeitungen ausgleicht.

    Das gilt auch für die Revierzeitungen der "WAZ"-Gruppe, deren potenzielle Leserschaft in den vergangenen Jahrzehnten zudem stark an Kaufkraft verloren hat. Doch wie lässt sich publizistische Vielfalt im Revier erhalten, wenn sich eine Zeitung einfach nicht rechnet? Wie viel Quersubventionierung einzelner Unternehmensteile muss oder kann ein Medienkonzern leisten? Christian Nienhaus, Geschäftsführer der "WAZ", verteidigt jedenfalls das Vorgehen seines Hauses. Die Geschäftsführung habe sich mit der Entscheidung schwer getan. Bei der Westfälischen Rundschau habe man in den vergangenen fünf Jahren einen kumulierten Verlust von 50 Millionen Euro verbuchen müssen:

    "Wir haben diese 50 Millionen investiert, weil wir geglaubt haben, wir kriegen die 'Westfälische Rundschau' aus dem tiefen Tal der Verluste wieder heraus. Wir haben das durch eine Reihe von Sparmaßnahmen gemacht, wir haben das unter anderem dadurch gemacht, dass wir den WAZ-Content-Desk kreiert haben, der in den letzten drei Jahren 85 Prozent der Mantelredaktion der 'Westfälischen Rundschau' beliefert hat, und wir haben jetzt wegen der stark rückläufigen Anzeigen und einer weiterhin auch gerade bei der Rundschau stark rückläufigen Auflage für uns die Erkenntnis gehabt, dass wir keine Variante sehen, wo wir die Westfälische Rundschau in Zukunft wieder in die schwarzen Zahlen bringen, und da haben wir irgendwann gesagt: jetzt geben wir auf, jetzt muss eigentlich dann die Reißleine gezogen werden."

    Doch die Zahlen, mit denen die "WAZ" operiert, werden angezweifelt. Der Betriebsrat möchte sie mithilfe eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers kontrollieren lassen. Die "WAZ"-Gruppe mit ihren mehr als 140 Tochterfirmen weist die Zahlen der Rundschau nicht getrennt aus. Die SPD-eigene Mediengesellschaft ddvg, die mit 13,1 Prozent an der Rundschau beteiligt ist, legt Wert darauf, dass die Entscheidung zur Entlassung der Redaktion ohne ihre Zustimmung gefallen ist. SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks erklärte in einer Pressemeldung:

    Die Entscheidung der WAZ ist nicht plausibel nachvollziehbar und erweckt den Eindruck einer seelenlosen redaktionellen Klempnerei.

    Die ddvg lotet zurzeit rechtliche Schritte aus. "WAZ"-Geschäftsführer Christian Nienhaus hält dagegen, dass es in der Natur der Sache liege, wenn ein Minderheitengesellschafter überstimmt werde. Die Haltung der SPD hält er für "Wahlkampfgeklingel". Im Falle der Insolvenz der Frankfurter Rundschau, an der die SPD auch beteiligt ist, habe Schatzmeisterin Hendricks ganz klar gemacht, dass es für die ddvg keine wirtschaftliche Weiterführungsperspektive gegeben habe. Genauso verhalte es sich mit der "Westfälischen Rundschau".

    "Ich sehe das als Spielchen um Rechtspositionen, wo es letztendlich auch darum geht, welche Zahlungen an Dividende an die ddvg zu zahlen sind."

    Die Auflösung der Redaktion der "Westfälischen Rundschau" passt gleichwohl zum Wandel, den der "WAZ"-Konzern spätestens 2009 eingeläutet hat. Über 300 Stellen - das entspricht fast einem Drittel der Ruhr-Zeitungs-Belegschaft, wurden seit 2009 abgebaut, Redaktionen wurden ausgedünnt, ein zentraler Contentdesk für die vier Ruhr-Zeitungen eingerichtet, der für den sogenannten Mantel der Blätter zuständig ist. Die redaktionelle Unabhängigkeit der Blätter wurde damit schon teilweise aufgehoben. Die Vielfalt im lokalen Bereich leidet schon seit Langem, weil viele Lokal– und Stadtteilredaktionen dichtgemacht wurden. Und das, obwohl viele Mitarbeiter, Gewerkschafter, aber auch Beobachter, wie der Zeitungsforscher Horst Röper, meinen, dass die Unternehmensgruppe wirtschaftlich gut aufgestellt sei. Zeitweise war sie sogar als Käufer der "Süddeutschen Zeitung" im Gespräch.

    "Die 'WAZ' verdient insgesamt immer noch gutes Geld. Natürlich längst nicht mehr so wie in den 90er-Jahren, und offensichtlich will man wieder dahin zurück zu diesen satten Gewinnen. Das wird so sicherlich nicht gelingen. Aber man will sich zumindest diesen hohen Renditen wieder annähern."

    Nach Medienberichten liegt ein Grund für den streng betriebswirtschaftlichen Kurs des "WAZ"-Konzerns in der neuen Eigentümerstruktur. Die Tochter des "WAZ"-Mitbegründers Jakob Funke, Petra Grotkamp, hat vor zwei Jahren die Mehrheit des Unternehmens für 500 Millionen Euro von der Familie des ehemaligen Funke-Partners Brost übernommen. Sie müsse nun ihre Kredite tilgen, heißt es. Noch einmal Horst Röper:

    "Die Familie Brost stand immer hinter der Rundschau und hat vor allem auch immer dafür gesorgt, dass es solche betriebsbedingten Kündigungen eben nicht gibt. Nun sind die Brosts nicht mehr da, und kaum sind sie weg, wird eben von der Funke-Seite Tabula rasa gemacht, weil man eben das Gesamtunternehmen auf Rendite trimmen will."

    "WAZ"-Geschäftsführer Christian Nienhaus widerspricht dieser Interpretation.

    "Nein. Es ist ein Anspruch der Geschäftsführung, ich meine jedes vernünftigen Wirtschaftsunternehmens, dass Sie eine gewisse Kapitalverzinsung erbringen. Wenn Sie für das eingesetzte Kapital, es ist, egal, ob es Eigenkapital oder Fremdkapital ist, keine ordentliche Verzinsung mehr erbringen, dann verlieren Sie ihre Investitionsfähigkeit als Unternehmen, und damit verlieren Sie ihre Zukunftsfähigkeit."

    Doch ist eine Zeitung zukunftsfähig, die vor allem an ihren Redaktionen, also an ihren Inhalten spart? Mit einem Umsatz von über einer Milliarde Euro ist der "WAZ"-Konzern eines der größten Printunternehmen Europas. Neben den Ruhrgebietszeitungen besitzt er unter anderem die "Braunschweiger Zeitung" und die "Thüringer Allgemeine" und expandierte auch in Südosteuropa, allerdings mit mäßigem Erfolg. 175 Zeitschriften und 99 Anzeigenblätter komplettieren das Angebot. Mit der Internetplattform "Der Westen" und einer Bezahlschranke für den Netzauftritt der "Braunschweiger Zeitung" versucht die "WAZ", sich für die digitale Zukunft zu rüsten.

    Jedoch hat der Sparkurs, der seit 2009 in Essen gefahren wird, den Auflagenrückgang der gedruckten Blätter eher verschärft. Der ehemalige "WAZ"-Journalist Alfons Pieper glaubt, dass die Ruhrzeitungen durch den Abbau lokaler Kompetenz den Kontakt zu den Lesern vernachlässigt haben. Die Geschäftsführung der "WAZ" habe zudem nicht begriffen, dass auch die überregionale Berichterstattung für verschiedene Blätter nicht einfach vereinheitlicht werden könne. So verzichte die konservative "Westfalenpost" seit diesem Jahr auf ihren politischen Korrespondenten in Berlin.

    "Der hat dafür gesorgt, dass die 'Westfalenpost' in ihrer Zeitung eben ihre eigene Farbe aus Berlin bekam. Jeder schreibt anders und jeder hat andere Themen, hat andere Kollegen, mit denen er sich unterhält, und hat da andere Herangehensweisen an ein Thema. Wenn wir uns das nicht mehr leisten können, wir wollen doch nicht eines Tages irgendeine Zeitung haben, die deutschlandweit nur noch ein Bild verbreitet. Das wäre furchtbar."

    Doch lässt sich der Trend zur Monopolisierung im Zeitungsbereich überhaupt aufhalten? "WAZ"-Geschäftsführer Christian Nienhaus hält dies ohnehin für illusorisch:

    "Ich bin sehr optimistisch, dass wir auch in zehn Jahren in allen deutschen Städten und Landkreisen auch eine regionale Tageszeitung haben werden. Ich bin aber pessimistisch, ob es noch eine sehr große Zahl gibt, wo man zwei Zeitungen hat. Die 'Westfälische Rundschau' hat in 22 von 24 Regionalausgaben den Status der zweiten oder dritten Zeitung. Das bedeutet, man hat gleich hohe Kosten wie der Marktführer, manchmal sogar höhere Kosten, als wenn man einfach ein Monopol hätte, weil man sich besonders anstrengen muss, weil man deswegen besonders viel Geld für die Werbung für Abos ausgeben muss, für Marketing ausgeben muss, auch für Redaktionen ausgeben muss. Und dem steht aber gegenüber ein weit unterdurchschnittlicher Anteil an Anzeigenerlösen."

    Das betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Denken von Verlagen wie der "WAZ" ist verständlich, da auch Zeitungsverlage Betriebe sind, die natürlich Gewinne erwirtschaften wollen. Doch mehren sich in Politik und Gesellschaft die Stimmen, die anmahnen, dass Meinungsvielfalt für eine Demokratie unverzichtbar sei.

    Die nordrhein-westfälische Landesregierung plant schon seit Längerem eine eigene Stiftung Partizipation und Vielfalt, um dem Lokaljournalismus im Bundesland zu helfen. Wie diese Stiftung aussehen könnte, ist noch offen, die Verleger sollten allerdings an der Ausgestaltung mitwirken. Wie "WAZ"-Geschäftsführer Christian Nienhaus jedoch dem Deutschlandfunk sagte, hält er von einer solchen Stiftung nichts. Aus dem Zeitungsgeschäft solle sich der Staat heraushalten.

    Horst Röper vom Formatt-Institut in Dortmund fürchtet, dass auch andere Zeitungen mit der Begründung - oder auch unter dem Vorwand, Kosten sparen zu müssen, dem Beispiel der "WAZ" folgen könnten:

    "Eine Zeitung herauszugeben ohne Redakteure, das heißt eben ohne Redaktionskosten, jedenfalls fast ohne Redaktionskosten, ist natürlich für alle Betriebswirte in den Verlagen lukrativ. Insofern kann ich mir schon vorstellen, dass der eine oder andere in den Verlagen sich dieses Modell sehr genau anschaut und da etwas Nachahmungswürdiges entdeckt und eben solche Entscheidungen auch für sein eigenes Blatt treffen könnte."

    Das Bundeskartellamt müsse bei einem solchen Vorgehen wie bei der "Westfälischen Rundschau" nicht eingeschaltet werden. Die Behörde sei in erster Linie für Fusionen und Übernahmen zuständig. Wenn die Konkurrenz das andere Blatt mit Inhalten beliefert, sei das kartellrechtlich nicht angreifbar. Hier entstehe eine Kontrolllücke, die von der Politik schnellstens geschlossen werden sollte, wie Röper meint, um einen weiteren Verlust der Meinungsvielfalt in Deutschland zu verhindern.

    Auffällig ist, dass nur wenige Zeitungen in Deutschland ausführlich über die De-facto-Abwicklung der "Westfälischen Rundschau" berichtet haben. Der ehemalige "WAZ"-Redakteur Alfons Pieper hat dafür eine Erklärung:

    "Soll ich es böse sagen? Weil die eine Krähe der anderen kein Auge aushackt. Denn sonst würde man darüber berichten. Sie müssen sich die Frage stellen: Wer ist der Nächste?"