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Revolutionär auf philosophischem Gebiet

Der britische Philosoph John Locke wurde durch seine Briefe über die Toleranz und Abhandlungen über die Regierungen zum Urahn der Aufklärung. Den höchsten Bekanntheitsgrad erreichte er allerdings als prominentester Vertreter des Empirismus, einer neuen Lehre in der Erkenntnistheorie.

Von Pascal Fischer | 29.08.2007
    Im englischen Wrington wird John Locke am 29. August 1632 geboren. Als Kind eines puritanischen Elternhauses erhält der fleißige Locke ein Stipendium für die Westminster Schule in London, studiert schließlich in Oxford alte Sprachen und Logik und wird schnell Dozent am Christ Church College. Dort meinen die Philosophen noch, Erkenntnisse nur in gelehrten Büchern finden zu können. Doch Locke bezweifelt das. Professor Markus Willaschek, Spezialist für neuzeitliche Erkenntnistheorie an der Universität Frankfurt am Main:

    "Locke stand unter dem Einfluss der beginnenden empirischen Wissenschaften und glaubte, dass man nur durch den experimentellen Umgang mit der Natur Wissen gewinnen kann."
    Mit Folgen: Als erster Philosoph der Neuzeit untersucht Locke systematisch die menschliche Erkenntnis in seinem Hauptwerk "An essay concerning human understanding", "Versuch über den menschlichen Verstand" von 1689. Sein Grundgedanke ist revolutionär: Die Ideen im menschlichen Geist seien nicht, wie man damals annimmt, angeboren. Stattdessen sei der menschliche Verstand so unbeschrieben wie ein weißes Blatt Papier:

    "Die wichtige Quelle der meisten unserer Ideen, die ganz und gar von unseren Sinnen abhängen und durch sie dem Verstand zugeleitet werden, nenne ich Sensation."

    Sinneswahrnehmungen liefern ein Rohmaterial, das der Verstand lediglich kombiniert. Dazu sind auf einer höheren Ebene Begriffe nötig – Locke geht auf, wie wichtig die Sprache für die menschliche Erkenntnis ist. Die Vernunft urteilt über die Stimmigkeit von Ideen. Damit erscheint die Lehre von den angeborenen Ideen in einem ganz anderen Licht:

    "Auch verleiht es einem Menschen keine geringe Macht über den andern, wenn er die Autorität besitzt, Prinzipien zu diktieren und unantastbare Wahrheiten zu lehren und einem andern das als eingeborenes Prinzip aufzuzwingen, was den eigenen Zwecken des Lehrers dienlich sein kann."

    Ohne angeborene Ideen jedoch, so fürchten die Zeitgenossen, ließe sich keinerlei gesellschaftliche Ordnung begründen. Locke konzipiert dagegen das so genannte Naturgesetz, eine feststehende, vernünftige sittliche Norm. Faktisch sind es die Moralsätze des Christentums, offenbart durch Gott:

    "Andererseits ist klar, dass Offenbarung als Erkenntnisquelle nicht ausreichen kann, sondern sie muss durch rationale Argumente und Erfahrung unterstützt werden."
    Widersprüchliches kann nicht von Gott kommen – die Vernunft entscheidet, was Offenbarung und was die Ausgeburt religiöser Schwärmer, Fanatiker oder streitlustiger Theologen ist. Vor allem aber darf der Staat keinem Bürger einen bestimmten Glauben aufzwingen,

    "weil alles, was zur Verehrung Gottes verrichtet wird, nur so weit vertretbar ist, als die, von denen es verrichtet wird, an seine Annehmbarkeit für ihn glauben. Was ohne diese Glaubensbürgschaft getan wird, ist weder an sich selbst gut, noch kann es für Gott annehmbar sein."

    Alles andere wäre also Sünde! Und wie kann ein Staat schon sicher sein, der rechten Lehre anzuhängen? Am besten toleriert das Gemeinwesen alle Kulthandlungen, solange sie nicht die bürgerlichen Rechte der anderen beeinträchtigen.

    Zu diesen Rechten zählen Leben, Freiheit – und: persönlicher Besitz. Was immer jemand nämlich durch eigene Arbeit erschafft, ist sein "Eigen"-tum. Locke wird damit zum Theoretiker des Kapitalismus, aber auch des Liberalismus: Der Staat muss Leben, Freiheit und Besitz schützen. Und das bedeutet:

    "Überall da, wo der Staat versucht, die Grundlagen meiner eigenen Selbsterhaltung in Frage zu stellen, bin ich zum Widerstand berechtigt!"

    Menschen sind nicht als Untertanen einer Regierung geboren, sondern werden nur durch ihre Zustimmung Staatsbürger. Locke hat repressive Regierungen und politische Wirren in England selbst erlebt. Zweimal verlässt er das Land sogar aus Angst vor Verfolgung. Er weiß, dass die Monarchie den Bürger nicht vor staatlicher Willkür schützen kann, also plädiert er für die Gewaltenteilung.
    Locke stirbt am 28. Oktober 1704. Sein Nachruhm ist gewaltig: Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die französische Erklärung der Bürger- und Menschenrechte folgen seinen Ideen. Die katholische Kirche indes setzt seine Schriften auf den Index der verbotenen Bücher. Markus Willaschek:
    "Locke ist eine entscheidende Gestalt auf dem Weg zu dem Zustand, den Immanuel Kant dann den des aufgeklärten Jahrhunderts genannt hat."