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Revolutionär und Bankräuber

Die Journalistin und Autorin Lisa St. Aubin hat mit "Deckname Otto" die Lebensgeschichte des venezolanischen Soziologen, Publizisten, Philosophen und Guerillero Oswaldo Barreto Miliani zu einem spannenden Roman verarbeitet. Anfang der 70er Jahre hatte sie ihn in London kennen gelernt, wo er nach einem Bankraub in Venezuela mit ein paar Freunden untergetaucht war; darunter war auch der künftige Ehemann der Autorin. Als Oswaldo Barreto Miliani Anfang der 90er Jahre an Krebs erkrankt war, hat er ihr seine bewegte Lebensgeschichte erzählt, die Lisa St. Aubin de Terán später als Rohmaterial für den Roman diente.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 06.06.2007
    " Das war eine besondere, ja eine einzigartige Erfahrung, die Lektüre dieses Buches, denn es ist ja eine Fiktion, ein Roman und doch hat der fiktive Otto viel zu tun mit dem, was ich erlebt habe, allerdings erlebt er das als echte Romanfigur, als Romanheld und da war er ganz anders als ich: ich bin ein normaler Mensch, ruhig und nicht auf Heldentum aus. Was Lisa daraus gemacht hat, ist ein Wunder. Ich erkenne Oswaldo Barreto in jeder einzelnen Episode des Buches wieder. Ich war in Chile, in Algerien (...) Ihr gelingt es, ohne Verrat das zu gestalten, was ich damals erlebt habe. "

    In der Tat, der Roman ist flott geschrieben. Im Gegensatz zu den Guerilleroromanen der achtziger Jahre wie Fernando Gabeiras DIE GUERILLEROS SIND MÜDE oder Omar Cabezas DIE ERDE DREHT SICH ZÄRTLICH COMPANEROS, wo die Guerillabewegungen Brasiliens und Nikaraguas direkt und unmittelbar zu Wort kommen, wird hier Rückschau gehalten, mit großer Empathie erzählt und ein beachtliche Materialfülle ausgebreitet, deren roter Faden das bewegte Leben des Oswaldo Barreto Miliani ist. Der träumte davon, ein Mann des Geistes zu werden und ging Anfang der 50er Jahre zum Studium nach Europa - Salamanca, Paris, Tübingen.

    " Ich war nur ein paar Monate in Spanien, gleichsam zur Rechtfertigung gegenüber meiner Familie, ging dann nach Frankreich, allerdings immer noch wegen der Literatur, der Philosophie. Und dort sind die Intellektuellen sehr politisiert und ein Intellektueller zu sein, war damals gleichbedeutend mit links zu sein. (...) Ein venezolanischer Mathematiker, Vicente Ortiz - er war jung und intelligent - fragte mich damals, was ich außer dem Studium an der Sorbonne sonst noch vorhatte und ich entgegnete ihm, dass ich vorhätte, nach Deutschland zu gehen, um Heidegger zu studieren. Und er fragte ironisch: "Du interessierst dich also für die Nazis? Und da hörte ich zum ersten Mal von der Kollaboration Heideggers (...) Seitdem verband ich mich viel stärker mit der Politik, bis mich die Politik mitriss. Ich dachte schon ganz konsequent mit Marx, dass man die Gesellschaft verändern müsste, wenn man die Philosophie verändern wollte und hatte vor, mich der Revolution zu widmen. Ich kehrte nach Venezuela zurück, war Professor - die Partei hatte mir empfohlen, mich diesem Beruf zu widmen - und da ging der bewaffnete Kampf los und ich war einer der ersten Intellektuellen, der dem bewaffneten Kampf anhing. Ich war fünf Jahre aktives Mitglied der französischen KP und nach meiner Rückkehr nach Venezuela trat ich sofort der Partei bei, bis ich wegen meiner Beziehungen zu Kuba aus der Partei ausgeschlossen wurde. "

    Rückblickend muss man konstatieren, dass das politische Engagement von Oswaldo Barreto Miliani voller Brüche und Neuanfänge ist. Er distanziert sich von der französischen KP, dem Kommunismus der Ostblockländer und der damaligen Sowjetunion.

    " Ich war ein ganz normaler, orthodoxer Kommunist, bis ich in der Tschechoslowakei lebte. Dort habe ich den aufgezwungenen Sozialismus erlebt (...) 243 Ich ging zu den Kubanern - Algerien kannte ich ja schon - und wie sich die Kubaner verhielten und wie sie eine trikontinentale Organisation gründen wollten, um die Revolution zu machen, erfüllte mich mit Hoffnung, die wollten tatsächlich den Sozialismus verwirklichen. Die wollten nicht um jeden Preis an der Macht bleiben wie das bei den Sowjets der Fall war. "

    Allerdings überwirft sich Oswaldo Barreto Miliani 1967 mit Fidel Castro und will wie sein Freund Che Guevara die Guerillabewegungen in Lateinamerika verbreiten. Wenngleich sich der nunmehr dreiundsiebzigjährige Soziologieprofessor und Publizist trotz all der Brüche und Enttäuschungen immer noch zum Sozialismus bekennt, hat er im Vergleich zu früher seine Erwartungen heruntergeschraubt. Sein sozialistisches Minimalcredo formuliert Lisan St. Aubin de Terán so:

    " Ich bin völlig einverstanden mit Otto, mit Otto Barreto, wenn er sagt, dass eine Regierung, egal, ob sozialistisch oder nicht, die Leute die Wahl haben müssen und ihnen nichts aufgezwungen werden darf., weder die Ideen noch die Regierungsform. Das ist das Allerwichtigste, was mir Ottos Leben vor Augen führt. (...) Jeder soll die freie Wahl haben. "

    Oswaldo Barreto Miliani ist weit mehr als ein gesellschaftskritischer Soziologe! Praktisch veranlagt wie er ist, erkennt er im Osten Venezuelas rasch, dass gute Absichten allein rein gar nichts am Elend der Fischer ändern und beschließt, die Royal Bank of Canada in Caracas zu überfallen.

    " Ich gehörte zu einer Gruppe, die merkte, dass sie, wenn sie sich tatsächlich in das Dorf eingliedern und nicht herumkommandieren wollte, eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit benötigte und wir eine Zeitung gründen sollten. (...) Da, wo wir mit der Guerilla anfingen, bei den Fischern des Ostens - das sind die Opfer der Fischgroßhändler - und diese Fischer hatten keine Kühlhäuser, und wir wollten mit denen ein Netzwerk aufbauen, Kühlschränke beschaffen, damit sich die Fischer von den Fischgroßhändlern unabhängig machen konnten. Wir brauchten folglich Geld, das uns weder die Sowjets noch die Chinesen geben würden. Die Banken hatten Geld und ich habe nie diesen Generälen geglaubt, die sagten, bewaffnen wir uns und fahren aus. Ich gehörte zu der Gruppe, die den Überfall machte (...) Wir unterstützten damit die Befreiungsbewegungen Mittelamerikas mit mehr oder weniger Erfolg. "

    Doch bevor Oswaldo Barreto Milani hinter Gitter wanderte, setzte er sich mit ein paar Freunden nach London ab. Als er in den 90er Jahren in Venezuela wegen dieses Banküberfalls gerichtlich belangt werden sollte, hatte er so viele einflussreiche Fürsprecher, allen voran den Schriftsteller Miguel Otero Silva, mit dessen Tochter Mariana er damals liiert war, dass das Gerichtsverfahren vorzeitig eingestellt wurde. Schade, dass die Autorin nicht näher auf die soziologischen Schriften von Otto Barreto Miliani eingegangen ist, wichtige Werke der algerischen Befreiungsbewegung oder der lateinamerikanischen Linken referierte. Da hätte der Roman politische Kontur gewonnen, was seinen Abenteuercharakter keineswegs geschmälert hätte.