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Revolutionen
Zwischen Befreiung, Gewalt und Sozialromantik

Die Zeit der Revolutionen ist längst nicht vorbei. Das hat die Arabellion gezeigt. Aber auch für die Zukunft erwartet Gero von Randow weitere Revolten, auch wenn sie nicht das beste Mittel für Veränderungen seien. Mit einem Schuss Sozialromantik wagt er eine Gesamtschau zum Phänomen Revolution.

Von Anne-Kathrin Weber | 13.03.2017
    Tunesier beklagen ihre Verwandten, die während des sogenannten Arabischen Frühlings ums Leben kamen.
    Tunesier beklagen ihre Verwandten, die während des sogenannten Arabischen Frühlings ums Leben kamen. (Mohamed Messara, dpa picture-alliance)
    Ende 2010 begann sie, die tunesischen Revolution. Mit dabei war Gero von Randow. Der Journalist erinnert sich an eine Szene in einer Seitenstraße in der Hauptstadt Tunis:
    "Ein halbes Dutzend Jugendlicher stimmt die Nationalhymne an, woraufhin die Motorradpolizei heranrast, absitzt und knüppelschwingend auf die Gruppe zu rennt. Ich stehe in einem Hauseingang, ein alter Mann schaut aus der Tür hervor und sagt nur: 'Révolution, Monsieur'."
    "Revolution, mein Herr" – damit begann nicht nur der Aufstand in Tunesien, sondern auch der sogenannte "Arabische Frühling". In seinem Buch "Wenn das Volk sich erhebt" berichtet Gero von Randow aber nicht nur über seine aufregenden Erinnerungen an Tunesien im revolutionären Ausnahmezustand. Er nimmt auch andere Revolutionen wie beispielsweise diejenigen in Frankreich, Amerika, Nicaragua, Algerien und Russland in den Fokus seiner Analyse – also Revolutionen, die in verschiedenen Jahrhunderten und unter unterschiedlichen politischen Voraussetzungen geführt wurden.
    Elend ist selten der einzige Auslöser einer Revolution
    Der Autor sucht nach Definitionen, nach Strukturen und Mustern, nach dem, was diese Revolutionen unterscheidet und was sie eint. Allen gemein sei vor allem die Intensität und Dramatik dieser spezifischen Form politischen Widerstandes:
    "Revolutionen sind herrlich, schrecklich, sind groß im Guten wie im Bösen."
    "Herrlich" sind sie in den Augen des Autors als Befreiungskampf aus unwürdigen Verhältnissen. So seien denn auch Moral und Mitgefühl oft die vorherrschenden Motive einer Revolution, aber eben auch das Streben nach Macht. Großes Elend jedoch sei selten der alleinige Auslöser für revolutionäre Aufwallungen, schreibt der Autor:
    "Revolutionen entstehen nicht vorwiegend aus Verzweiflung, sondern meistenteils aus enttäuschter Erwartung. Genügte Elend als auslösender Faktor für die Revolution, dann wäre die Welt permanent in Aufruhr. Im Grunde ist es sogar umgekehrt: Wo nichts als Elend ist, da gibt es auch keine Revolution."
    Denn Elend koste sowohl Zeit als auch die nötige revolutionäre Kraft.
    Sozialromantik und eigene Erinnerungen des Autors
    Von Randow beschäftigt sich auch mit den Persönlichkeiten, die revolutionäre Ziele in die Praxis umsetzen – wie beispielsweise Che Guevara, die französische Anarchistin Louise Michel, die tunesische Bloggerin Olfa Riahi oder der deutsche Schriftsteller Erich Mühsam. In von Randows kurzen Charakterstudien über Revolutionäre wird vor allem ein allumfassender und radikaler Handlungsimpuls deutlich:
    "Vor, während und nach jeder Revolution treten leidenschaftliche Charaktere auf, die gemeinsam handeln und miteinander streiten [...]."
    Nicht nur in diesem Politikideal scheint eine gewisse romantische Note durch, die der Autor Revolutionen zuschreibt. Deutlich wird sie vor allem, wenn von Randow von seinen eigenen Revolutionserlebnissen berichtet. Über seinen ersten Kontakt mit Tränengas schreibt er beispielsweise:
    "In kleiner Dosierung wirkt es sogar belebend. Es ist das Parfüm der Revolte. Ich habe es seit 1968 oft gerochen."
    Der Autor legt seinen persönlichen Zugang zum Gegenstand seines Buches sehr offen. Als Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei, der er sich als Jugendlicher angeschlossen habe, seien ihm sowohl theoretische Revolutionsgelüste als auch direkte Aktion wohlvertraut gewesen.
    Selektive Empathie als Nebenwirkung des revolutionären Geists
    In seinem ehemaligen politischen Umfeld habe sich dabei nicht nur der Traum von einer besseren Welt, sondern auch das enorme Gewaltpotenzial von Revolutionen entladen:
    "Vielleicht trug dieser Gegensatz zwischen einer Theorie der erdrückenden Allmacht des Falschen auf der einen Seite und der Erfahrung des handelnden Selbst auf der anderen dazu bei, dass einige von uns an die Notwendigkeit und Möglichkeit glaubten, die gesellschaftliche Wirklichkeit im Wortsinn aufzusprengen, in die Luft zu jagen."
    Selbstkritisch blickt von Randow in seinem Buch immer wieder auf sein kommunistisches Engagement zurück – und auf dessen Abgründe, insbesondere die, Zitat, "linksradikalen Gewaltfantasien", mit deren Hilfe er und seine Genossen reales Leid ausblendeten:
    "Wir fühlten mit den Völkern, deren gerechte Kämpfe die Parteilinie uns nahelegte. Wir betrauerten ihre Opfer. Alles andere Leid war bloß Kollateralschaden. Zur revolutionären Tugend gehört auch diese Kaltherzigkeit, die selektive Empathie."
    Leider streift der Autor die Verbindung zwischen Emotionen und Revolutionen nur an der Oberfläche. Das ist zwar schade, ergibt sich aber notwendigerweise aus den Vorgaben eines populären Sachbuchs – es ist schon ein ziemlich waghalsiges Unterfangen, ein nur knapp 300 Seiten umfassendes Buch über Revolutionen vorzulegen. Und dennoch gelingt es dem Autor spielend, eine spannende, lebendig geschriebene Studie vorzulegen, die nicht nur von eigener Beobachtung von und Teilnahme an Revolutionen zeugt, sondern auch von tiefem theoretischen Wissen. So bettet von Randow seine Analyse mühelos in einschlägige wissenschaftliche Forschung, insbesondere aus der Politischen Theorie, ein.
    Sind Revolutionen noch zeitgemäß?
    Der Autor hat nicht nur die Vergangenheit im Blick, sondern wagt auch eine vorsichtige Prognose für das revolutionäre Potenzial der Zukunft. Die aktuellen Fluchtbewegungen könnten, so der Autor, ein solches Potenzial darstellen. Die Geflüchteten seien ein, Zitat, "historisches Subjekt", Handelnde, die in die Geschichte eingriffen, und eben nicht nur, Zitat, "Importeure von Problemen oder Empfänger von Hilfeleistungen". Und auch die jüngeren Demonstrationen, wie beispielsweise in Kiew, in Kairo oder in Athen, sind für den Journalisten Anzeichen dafür, dass eine Form der Politisierung nach ihrem Inhalt suche. Eine Revolution sei zwar wahrscheinlich nicht die beste Lösung, schreibt von Randow:
    "Man muss sich schon fragen, ob es angesichts des unglücklichen Weltzustandes nicht heilsamer wäre, sich auf Rettung und Reparatur zu konzentrieren, anstatt auf den Versuch eines totalen Neubeginns."
    Und doch: So ganz kommen wir in der Zukunft um Revolutionen wohl nicht herum, lautet die Prognose des Autors. Denn:
    "Wäre die Welt so beschaffen, dass sie Revolutionen überflüssig machte, sie wäre glücklicher. Doch sie ist schreiend ungerecht."
    Gero von Randow: "Wenn das Volk sich erhebt. Schönheit und Schrecken der Revolution"
    Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 22 Euro.