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Reykjaviks Bürgermeister
"Wir sind immer noch happy"

Jón Gnarr war zu Beginn seiner Amtszeit eine große Sensation: Der Komiker und Musiker wurde Bürgermeister von Islands Hauptstadt Reykjavik. Nun verlässt er das Rathaus – "ohne Nervenzusammenbruch und posttraumatische Belastungsstörung", wie er im Corsogespräch erzählt, aber dafür mit überraschenden neuen Plänen.

Jón Gnarr im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 13.06.2014
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    Jon Gnarr, Bürgermeister von Islands Hauptstadt Reykjavik (picture alliance / dpa / Julia Wäschenbach)
    Jessica Sturmberg: Ich habe mehrere Leute gefragt, wie sie die vier Jahre von Jón Gnarr als Bürgermeister von Reykjavík bewerten. Sind Sie traurig, dass es zu Ende ist, wie haben sie die Amtszeit empfunden. Eine Frau sagte mir, dass sie die Fahrradwege sehr schätzen würde und dass sie überhaupt den Eindruck habe, dass die Menschen mehr rausgehen.
    Jón Gnarr: Ja, absolut. Die Mentalität der Reykjavíker hatte sich zu einer postmodernen autofixierten Pendler-Stadt entwickelt. Und wir haben versucht, dem etwas entgegen zu setzen. Eine lebendige Stadt, in der Menschen viel mehr Zeit draußen verbringen. Wir haben dazu einige Projekte ins Leben gerufen, die die Bürger ermutigen, auszugehen und sich auch mal ohne Auto fortzubewegen.
    Oder das mit den Hunden. Ich habe nie richtig verstanden, wo ich mit meinem Hund spazieren gehen kann und wo nicht. Man ist da nie sicher. Dann kommt jemand und sagt: Hey, hier darfst Du aber nicht mit dem Hund lang. - Oh nein, das wusste ich nicht, sorry.
    Aber mit dem Auto kann man überall hin. Man kann es auf dem Gehweg im Stadtzentrum abstellen. Einen riesigen Geländewagen und Behinderte oder Eltern mit Kinderwagen müssen auf die Straße ausweichen, um vorbei zu kommen. Die Stadt hat sich ganz auf die Bedürfnisse von autovernarrten Männern eingestellt. Es gab zwar schon ein paar Projekte, sodass man sagen konnte, ja, wir haben Radwege. Irgendwo da im Osten der Stadt. Für mich ist es das Kernstück unserer Arbeit, dass wir den unterschiedlichen Interessen gerechter werden, eine Balance herstellen.
    Sturmberg: Kommen wir auf die Leistungen ihrer Amtszeit. Mit welchen sind Sie zufrieden oder worauf sind Sie stolz?
    Gnarr: Langfristig wird man sich bewusst werden, dass ich, dass wir etwas Einzigartiges geschaffen haben, dass es bisher so noch nie irgendwo gab. Wir haben eine Protestpartei zu einer politischen Alternative gemacht, die nicht mit negativen Gefühlen spielt, sondern im Gegenteil: positiven. Auf Zufriedenheit. Und wir haben das eine ganze Amtszeit durchgehalten ohne Nervenzusammenbruch oder posttraumatische Belastungsstörung oder irgendwas anderes. Wir sind immer noch happy.
    "Es war nie meine Intention, Karriere in der Politik zu machen"
    Sturmberg: Sie haben schon zu Beginn gesagt, dass Sie keine zweite Amtszeit anstreben...
    Gnarr: Es war nie meine Intention, Karriere in der Politik zu machen. Ich wollte nur zeigen, dass diese Idee funktioniert und man es ohne größere Anstrengung einfach machen kann. Da ist kein Copyright drauf. Jeder kann eine Beste Partei gründen, das muss nicht ich sein. Ich habe keine speziellen Kenntnisse, die andere nicht haben. Aber Ich wollte es zu Ende bringen, damit es wie ein Statement da steht.
    Sturmberg: Als Projekt?
    Gnarr: Ja, als Projekt und als Produkt und die Beste Partei ist quasi ein Projekt mit dem Anspruch von Bescheidenheit, Freundlichkeit und gewaltfreier Kommunikation.
    Sturmberg: Sie haben gerade gesagt, dass sie noch immer happy sind. Wie unterscheidet sich dieses Glücksgefühl von heute zu damals, als Sie ins Amt gekommen sind?
    Gnarr: Ich bin sehr gereift und ich habe dazugelernt. Am Anfang war es vor allem Begeisterung über den Wahlerfolg. Es war wie Nervenkitzel. Jetzt ist es - es ist mehr ausgereift. Ich sehe aber jetzt auch mehr den Wert, den das Ganze hat. Ich schließe das Kapitel ab und jetzt will ich Wissenschaftler werden. Alle sagen natürlich: ja klar, viel Glück dabei. Aber ich werde Wissenschaftler!
    Sturmberg: In was?
    Gnarr: Ich habe keine Ahnung. Irgendwas Geisteswissenschaftliches. Ich würde gerne Menschen studieren und verstehen, warum sie tun, was sie tun, wonach sie streben, was ihre Werte sind, warum sie sind, wie sie sind. Das hat vielleicht mit meinen Erfahrungen als Bürgermeister zu tun. Ich war immer jemand aus dem Fußvolk oder der mittleren Ebene, aber ich habe nie von oben darauf geschaut. Ich war nie derjenige, der in der Verantwortung stand und jetzt habe ich die Erfahrung gemacht und kann sagen, ich habe beide Seiten kennengelernt.
    Sturmberg: Wie hat es sich angefühlt oben zu sein, statt jemand aus dem Fußvolk?
    Gnarr: Manchmal war es gut und manchmal grauenvoll. Es ist wie Elterndasein. Der Moment, in dem man sein Kind zum ersten Mal im Arm hält, ist magisch, und dann kommen alle möglichen Komplikationen auf einen zu, mit denen man nicht gerechnet hat: Mittelohrentzündungen und so was. Und dann schreit das Kind und schreit und schreit und man bekommt tagelang keinen Schlaf. Aber so hat man sich das nicht vorgestellt, es sollte doch magisch sein, wunderschön - und plötzlich muss man Regeln aufstellen, worauf man gar nicht eingestellt war: es wäre eigentlich schön, wenn man seinen Kindern immer Pudding und Süßigkeiten geben könnte.
    Aber nein, das geht ja nicht. Wir kochen stattdessen Fisch. Ganz langweilig. Aber warum können wir nicht Pudding haben? Nein, das geht nicht. Das ist nicht gut. Das verstehen die aber nicht. Genauso war ich manchmal in der Position, dass Leute sich bei mir beschwert haben über etwas, bei dem sie dachten, dass sei ihr Recht. Und ich weiß, das ist es nicht.
    Aber irgendwann sind sie hungrig, und dann essen sie den Fisch. Und haben den Pudding vergessen.
    "Ich sorge mich ein bisschen darum, wie wir mit der Erde umgehen"
    Sturmberg: Haben Sie die Politik mehr verändert als die Politik Sie verändert hat?
    Gnarr: Ich habe die Politik für eine Weile vollkommen revolutioniert. Zumindest hier in Island. Aber man kann schlecht voraussagen, wie sich das weiter entwickeln wird. Ich gebe ein Beispiel: Die Republikaner in den USA, die standen mal für Liberalismus und Freiheit. Aber mit der Zeit haben sie sich zu einer rechts stehenden christlich-konservativen Partei entwickelt. Das ist wirklich merkwürdig, weil es das totale Gegenteil von Liberalismus ist.
    Sturmberg: Glauben Sie, dass die Politik anders funktionierte bevor Sie kamen und sie verändert haben?
    Gnarr: Wir hatten gerade die letzte Stadtratssitzung und Karl Sigurðsson, Ratsmitglied von der Besten Partei, erzählte mir, wie er zur Besten Partei gekommen ist. Ich hatte damals auf Facebook geschrieben: Hi! Ich habe eine Partei gegründet. Wer macht mit? Und er schrieb: Ich weiß nicht. Ist es zeitaufwändig? Nein, überhaupt nicht, sagte ich. Ist eigentlich nur Dein Name und ein Foto. Und er sagte: Ok, ich mach mit. Soll ich Dir ein Foto schicken oder nimmst Du einfach eins aus dem Internet? – Ich nehme eins von Deiner Facebook-Seite. – Das war im Grunde völlig albern. – Und jetzt auf der letzten Sitzung sagte er: Ich kann das kaum glauben, wenn ich das heute sehe, das ist ja verrückt.
    Er saß vier Jahre im Stadtrat. Und beim Bier haben wir uns nochmal dran erinnert, wie das eigentlich zustande kam.
    Sturmberg: Mal abgesehen davon, dass Sie Wissenschaftler werden wollen: Was ist ihr Plan für die Zukunft?
    Gnarr: Ich sorge mich ein bisschen darum, wie wir mit der Erde umgehen. Immer, wenn ich darüber nachdenke, bin ich beunruhigt. Das Thema Umwelt – ja, vielleicht werde ich Umweltwissenschaftler.
    Sturmberg: Der nächste Schritt ist also nicht mehr, nur die Stadt Reykjavík zu retten, sondern die ganze Welt?
    Gnarr: Ich finde das immer unheimlich, wenn Leute die Welt retten wollen. Ich will keiner von denen sein. Ich will ein bisschen helfen, die Natur zu schützen und ich will dabei das Richtige tun. Es ist falsch, all die fossilen Energieträger zu verbrennen. Jeder weiß es, aber trotzdem machen wir es. Es ist wie mit dem Pudding. Wir sind so daran gewöhnt, aber es ist nicht gut für uns. – Ja, ich weiß, es ist nicht gut für mich, aber ich liebe mein Auto und so weiter. Viele Leute müssen begreifen, dass es Zeit ist für Fisch.