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Rezension "Gita Press and the Making of Hindu India"
Schreiben für den Hindu-Nationalismus

Die Religionsfreiheit ist in Indien eingeschränkt. Seit die neue hindu-nationalistische Regierung an der Macht ist umso mehr. Mit seinem Buch "Gita Press and the Making of Hindu India" skizziert der Journalist Akshaya Mukul die Geschichte des Verlagshauses Gita Press - der Verlag war eben gerade sehr erfolgreich bei der Vermischung von Religion und Politik.

Von Sonja Ernst | 11.01.2016
    Eine Kuh geht am 21.07.2004 über eine Straße in Chennai, dem früheren Madras, Indien.
    Kuh in Chennai: Die Kühe gelten vielen Hindus als heilig. (picture alliance / dpa / Peer Grimm)
    Toleranz. Darüber wird in Indien seit Monaten heftig diskutiert. Wie groß ist die religiöse Toleranz im Land? Wie prägend soll der Hinduismus sein? Dieser Streit ist nicht neu. Er war immer da, genauer seit Beginn der indischen Unabhängigkeitsbewegung.
    Das zeigt das Buch "Gita Press and the Making of Hindu India". Und genau das macht die Lektüre interessant. Autor ist der indische Journalist Akshaya Mukul. Im Fokus steht Gita Press – ein Verlag für hinduistische Publikationen. Eigentlich. Doch Religion und Politik vermischen sich hier – das macht das Buch deutlich.
    1923 gegründet, ist Gita Press eines der erfolgreichsten Verlagshäuser Indiens – bis heute. Dennoch: Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Phänomen Gita Press fehlte bislang. Erstaunlich, fand Akshaya Mukul.
    "Genau das hat mich fasziniert. Denn in den vergangenen 25 Jahren wurde viel Arbeit darauf verwendet, welche Rolle Print bei der Schaffung des Hindu-Nationalismus spielte. Gita Press findet sich in diesen Büchern, aber immer nur in den Fußnoten, im Anhang. Aber das war es dann auch."
    Fünf Jahre Recherche für das Buch
    Mukul stürzte sich in die Recherche. Fünf Jahre hat er an dem Buch gearbeitet. Er durchforstete Bibliotheken und Archive und fand bislang unveröffentlichte Schriftwechsel. Diese lässt Mukul in sein Buch einfließen. Auf 550 Seiten beschreibt er aber nicht nur Gita Press – die Entstehung, die Macher, die Geldgeber –, er stellt auch den historischen Kontext her.
    Der Verlag wurde gegründet, als Indien noch britische Kolonie war. Eine Massenbewegung entstand; der Subkontinent forderte seine Unabhängigkeit. Aber wie sollte ein unabhängiges Indien aussehen? Welche Rolle sollte Religion spielen; welche die religiösen Minderheiten?
    Akshaya Mukul skizziert akribisch die Positionen von Gita Press und seinen Machern. Die waren anti-muslimisch und anti-säkular. Man propagierte einen Hindu-Nationalismus und die Verwirklichung des Sanatan Dharma, der ewigen Ordnung – so nennen vor allem Traditionalisten den Hinduismus. Mukul schreibt:
    "Durch die Kraft des Gedruckten versuchte Gita Press die Politik und die Initiativen eines freien Indiens zu beeinflussen. Dafür unterstützte der Verlag unterschiedliche Bewegungen, Ideologien und Organisationen, die die Hindu-Identität und -Kultur förderten. Zugleich ging man gegen jene vor, die als Gefahr des Sanatan Dharma gesehen wurden."
    Gita Press produzierte fortan religiöse Schriften in Massen – günstig, aber von guter Qualität. Dazu zählen Epen wie das Ramayana oder Mahabharata, die Bhagavad Gita und andere Publikationen. Die Bhagavad Gita zum Beispiel wurde bis heute über 72 Millionen Mal gedruckt, die Leserschaft liegt weit höher.
    Zu den Veröffentlichungen gehört auch das Monatsmagazin "Kalyan". Es enthält unter anderem Tipps, wie man sich als Hindu richtig verhält, was man isst, wie man sich kleidet. Vor allem, wie Frau sich kleidet. Dieses moralische Diktum hat teils noch immer Bestand, schreibt Mukul:
    "Gita Press hat sich einen ungetrübten Standpunkt bewahrt, wenn es um die Heiligkeit der Kuh geht, dass Frauen nach Hause gehören und die Angst, dass eines Tages die Muslime in Indien die Hindus zahlenmäßig übertreffen werden. Dieses moralische Universum ist immun geblieben gegenüber größeren Veränderungen der Gesellschaft der Hindus."
    Schüren von religiösen Vorurteilen
    Diese Immunität sorgt immer wieder für gesellschaftliche Diskussionen. Zum Beispiel die Forderung nach einem nationalen Schlachtverbot für Rinder. Die Warnungen, dass sich Inderinnen zu westlich kleideten. Solche Auseinandersetzungen haben seit 2014 an Fahrt gewonnen. Seitdem ist in Delhi Ministerpräsident Narendra Modi an der Macht und mit ihm seine hindu-nationalistische Partei BJP. Das hat auch radikale Hindu-Kräfte bestärkt: Sie schüren religiöse Vorurteile und schrecken zum Teil vor Gewalt nicht zurück.
    "Jetzt ist es total verrückt geworden. Es gibt keine Debatte mehr; es gibt nur noch Gebrüll. Es ist das Versagen des Staates, mit diesen strittigen Themen umzugehen. Das ist ein altes Problem. Keines, das allein die jetzige Regierung kreiert hat. Es war ein massives Versagen des Staates, für das wir jetzt bezahlen."
    Akshaya Mukul wurde für sein Buch in den englischsprachigen, meist liberalen Medien Indiens durchweg gelobt. Auch, weil es in die aktuelle Debatte passt. Die hindisprachigen Medien, die im Allgemeinen konservativer sind, haben es meist ignoriert. In den sozialen Medien hingegen wurde Mukul heftig attackiert.
    Der Journalist hat ein lesenswertes Buch geschrieben, eben weil es wichtige Hintergründe liefert und damit ein besseres Verständnis des Hindu-Nationalismus, der gesellschaftlichen Konfliktlinien, auch des komplexen Kastensystems. Dabei geht Mukul sehr akribisch vor, was die Lektüre für den westlichen Leser teils mühsam macht. Viele der diversen Personen und Gruppierungen, die im Buch auftauchen, sind dem Publikum im Westen vermutlich unbekannt. Aber dafür erhält der Leser Einblick in die komplexe Gemengelage. Einfach ist es eben nicht.
    Buchinfos:
    Akshaya Mukul: "Gita Press and the Making of Hindu India", Verlag HarperCollins Publishers India, 552 Seiten, ISBN: 978-9351772309, Preis: 24,32 Euro