Samstag, 20. April 2024

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Rezension
Wahrscheinlich Mord

Wenn die Welt der Juristen auf die Mathematik trifft, dann wird es kompliziert. Da Juristen und Mathematiker das Leben aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und beide von der Relevanz ihrer Sichtweisen überzeugt sind, ist die Kommunikation äußerst schwierig. Da verwundert es nicht, dass Missverständnisse gelegentlich dazu führen, dass Beschuldigte wegen mathematischer Fehler unschuldig im Gefängnis landen.

Rezension: Michael Lange | 15.12.2013
    Vor allem der Umgang mit Wahrscheinlichkeiten führt vor Gericht zu haarsträubenden Fehlern. So geschieht es immer wieder, dass verschiedene Wahrscheinlichkeiten einfach miteinander multipliziert werden. Das ist aber nur dann richtig, wenn die einzelnen Wahrscheinlichkeiten unabhängig voneinander sind, wie die Würfe mit einem Würfel. Gibt es Wechselwirkungen zwischen Wahrscheinlichkeit 1 und Wahrscheinlichkeit 2, dann ist die Multiplikation unzulässig. Für Statistiker eine klare Sache, nicht aber vor Gericht. Auch der umgekehrte Fall kommt vor, wie bei einem brutalen Mord an einer englischen Studentin in Italien. Da ein DNA-Test mit zu kleinen Mengen nur ein unzuverlässiges Ergebnis lieferte, verweigerte das Gericht einen zweiten Test mit der Begründung: Zwei unzuverlässige Tests seien nicht aussagekräftiger als einer. Die Autorinnen begründen in ihrem Buch, warum diese Aussage falsch ist. Wenn die Tests unabhängig durchgeführt werden, erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit.
    Wahrscheinlich Mord - Mathematik im Zeugenstand Coralie Colmez und Leila Schneps Übersetzung: Klaus Fritz ISBN: 978-3-642-34762-7 Carl Hanser Verlag, 320 Seiten, 24,99 Euro
    Cover: Wahrscheinlich Mord - Mathematik im Zeugenstand (Carl Hanser Verlag)
    Geschichten um Mord und Totschlag, sowie die anschließenden Debatten vor Gericht sind von Natur aus spannend, und das gilt auch für diese Sammlung interessanter Episoden. Allerdings stammen die meisten Beispiele aus den USA und sind hierzulande oft unbekannt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Abläufe vor Gericht von Land zu Land erheblich unterscheiden. Das ist nicht immer leicht zu verstehen. Die Mathematik hingegen ist einfach und verständlich dargestellt. Kaum zu glauben, dass Richter und Anwälte sie so oft nicht verstanden haben. Das Buch ist daher vor allem ihnen zu empfehlen.