Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Rhea McCauley, die Nichte von Rosa Parks
"Die USA lieben uns nicht zurück"

Rhea McCauley, die Nichte von Rosa Parks, spricht über die Bedeutung ihres Elternhauses, das der Künstler Ryan Mendoza nach Berlin geholt hat, wie sie damals darin lebten und welche Rolle das Haus für die Bürgerrechtsbewegung damals und heute hat. Angesichts der politischen Lage in den USA sei sie froh, das Haus derzeit in Berlin zu wissen, sagte McCauley im DLF.

Rhea McCauley im Corsogespräch mit Michael Meyer | 10.04.2017
    Die Nichte der amerikanischen Bürgerrechtsikone Rosa Parks, Rhea McCauley, steht vor der in Berlin wieder aufgebauten Hütte von Parks.
    Die Nichte der amerikanischen Bürgerrechtsikone Rosa Parks, Rhea McCauley, steht vor der in Berlin wieder aufgebauten Hütte von Parks. (dpa-Bildfunk / AP / Markus Schreiber)
    Seit diesem Wochenende ist in Berlin das Haus von Rosa Parks zu besichtigen. Mit viel Mühe hat der amerikanische Künstler Ryan Mendoza das Holzhaus nach Berlin geschafft. Am Wochenende gab es ein kleines Festival rund um das Haus mit Licht- und Klanginstallationen. Doch wie es sich damals angefühlt hat, darin zu leben, ist für die Besucher nur schwer greifbar. Wofür steht dieses Haus, in dem die McCauley-Familie des Bruders von Rosa Parks mit 13 Kindern ihr ganzes Leben verbracht hat? Darüber sprach Corso-Autor Michael Meyer mit Rhea McCauley, der Nichte von Rosa Parks. Viele Erinnerungen verbinden sich mit dem Haus - sowohl gute, wie schlechte. Doch wie war das Leben damals, in den 50er-Jahren? Das hat uns Rhea McCauley im heutigen Corsogespräch erzählt. Rhea McCauley war fünf Jahre alt, als ihre Tante ins Haus zog:
    Rhea McCauley: Es war sehr anders als heute, es war eine andere Zeit. Es gab keinen Klimawandel, wir machten Eiscreme aus dem Schnee, der vom Himmel fiel. Versuchen Sie das mal heute, dann wachen Sie auf mit drei Augäpfeln. Ich vergleiche die Zeit immer mit der Fernsehserie "Die Waltons". Wir waren eine Familie, die sehr eng zusammenstand. Auch wenn wir nicht viel hatten, wir teilten uns den engen Raum. Als meine Großmutter, mein Onkel und Tante Rosa zu uns zogen, haben wir Platz geschaffen. Mein Großvater sagte immer: Wenn Sie jemanden lieben, dann gibt es immer genügend Platz. Eine Frage, die mir der Künstler Ryan Mendoza immer gestellt hat, war: Wo hat Tante Rosa eigentlich geschlafen? Meine ältere Schwester hat es mir erzählt: Meine Eltern haben ihren Raum im oberen Stockwerk aufgegeben, da wohnten dann mein Onkel und Tante Rosa drin, meine Großmutter schlief auf der Couch im Erdgeschoss, genauso wie meine Eltern.
    Wir haben noch länger mit Rhea McCauley gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Michael Meyer: Rosa Parks gilt ja als sehr kämpferische, selbstbewusste Frau. So wird sie in den Geschichtsbüchern dargestellt, wie war sie wirklich, im alltäglichen Leben?
    McCauley: Ganz so würde ich sie nicht beschreiben, so habe ich sie nicht gesehen. Ich weiß, in den Geschichtsbüchern wird sie so porträtiert, aber es war eher so, dass Tante Rosa ein starkes Gefühl für Moral und Gerechtigkeit hatte. Sie kam aus ganz einfachen Verhältnissen. Ich weiß nicht, ob Sie mit den Bürgerrechtlern Booker T. Washington und W.E.B. Du Bois vertraut sind. Damals, direkt nach der Abschaffung der Sklaverei, haben sich viele Leute mit nur einem von beiden identifiziert, was viele Konflikte heraufbeschwor. Ich glaube, das hat die Ehe meiner Großeltern auseinandergebracht. Ich glaube mein Opa war für Du Bois, und meine Oma eher für Booker T. Das nur mal, um ihren Hintergrund zu beschreiben: Meine Tante war sehr direkt und geradeaus: Wenn man zum Beispiel faul war, glauben Sie mir, dann sah sie einen an, dass man auf einmal sehr klein wurde. Sie hat da nicht herumdiskutiert, sie meinte es ernst.
    "Tante Rosa sollte in Europa bleiben, bis die Vereinigten Staaten wieder vernünftig werden"
    Meyer: Was denken Sie davon, dass das Haus heute hier ist in Berlin?
    McCauley: Oh, ich bin sehr glücklich darüber, dass das Haus heute in Berlin ist. Und ich sage Ihnen auch warum: Andere Länder sind viel älter als die Vereinigten Staaten … Und dennoch haben die Amerikaner ein so riesiges Ego, dass sie durch keine Tür passen. Amerikaner sollten viel mehr über Geschichte lesen, etwa darüber, wie Deutschland mit seiner Geschichte, dem Faschismus und all dem umgegangen ist, um mal zu sehen, wohin unser Land driftet. Ja, ich denke, Tante Rosa sollte in Europa bleiben, solange bis die Vereinigten Staaten wieder vernünftig werden. Oder wie ich immer sage: bis sie erwachsen werden. Wenn man so etwas Historisches hat, muss man es bewahren. Aber was wir jetzt erleben, ist leider, dass unsere Regierung alle möglichen Bereiche, die etwas mit Geschichte zu tun haben, beschneidet.
    Meyer: Hätten Sie sich denn mehr Unterstützung gewünscht von der Obama-Regierung, der Obama-Administration?
    McCauley: Nicht wirklich, denn Präsident Obama konnte sich nicht um alles kümmern. Ich sitze im Vorstand der Benjamin-Banneker-Stiftung. Banneker war der erste afroamerikanische Wissenschaftler. Banneker war ein junger Mann, der die Stadt Washington, D.C. mit vermessen hat. Die Stiftung bekommt kaum Unterstützung, wir hatten in den letzten Tagen der Obama-Regierung noch versucht, Gelder zu beantragen. Ich kämpfe für ihn und für Tante Rosa.
    "Die Geschichtsbücher lehren kaum die Geschichte der Schwarzen"
    Rosa Parks sitzt ja als Statue in der "National Statuary Hall", aber sie verdient so viel mehr. Sie und andere Helden der US-Geschichte werden kaum gewürdigt. Ich war mehrere Male im Kapitol - da finden Sie kaum Schwarze! Tante Rosa und eine kleine Büste von Martin Luther King. Das ist nicht in Ordnung. Und wenn Sie die Geschichtsbücher durchblättern, dann lehren sie kaum die Geschichte der Schwarzen. Das ist so traurig in unserem Land. Ich kann nur beten für mein Land. Aber es ist schon schwer, ein Land zu lieben, das Dich nicht zurückliebt.
    Meyer: Nun gibt es ja seit Herbst letzten Jahres das "Nationalmuseum für afroamerikanische Geschichte und Kultur". Was halten Sie davon?
    McCauley: Ich war noch nicht da, es ist in Washington, D.C. Aber was mir meine Freunde erzählt haben, ist: Da geht es hauptsächlich um Entertainment, um Sport. Wie Sie wissen, gab es ja auch Mathematiker, Wissenschaftler, Historiker, von denen die Kinder überhaupt nichts wissen. Und wenn ich durch die Vereinigten Staaten reise, dann treffe ich auf Kids, die noch nicht mal wissen, wer Tante Rosa ist oder was sie gemacht hat. Daran sehen Sie, wo wir stehen. Da brauchen wir Hilfe.
    Rosa Parks in einem Bus in Montgomery
    Rosa Parks in einem Bus in Montgomery (AP)
    Meyer: Nun gibt es heute die "Black-Lives-Matter"-Bewegung in den USA. Glauben Sie, dass es Ähnlichkeiten gibt zu den 50er-Jahren, als sich Ihre Tante für mehr Bürgerrechte einsetzte?
    McCauley: Nein, die "Black-Lives-Matter"-Bewegung ist da in eine Bresche gesprungen. Ich bin auch sehr stolz auf die jungen Leute, es ist aber doch anders. Erstens: Sie haben sich ja nach dem Tod eines jungen Mannes, Freddie Gray in Baltimore organisiert. Sie haben gesagt: Schwarze Leben zählen, sollten es auch, denn Schwarze haben in allen Kriegen gekämpft, seit Jahrhunderten! Wir sind aber immer noch nicht frei, wir lieben zwar die Vereinigten Staaten, aber sie lieben uns einfach nicht zurück. Daher denke ich: "Black Lives Matter" sagt einfach nur: Wir zählen, hört auf mit dem Töten, der Lynchjustiz. Hört auf mit dem Morden, um anschließend einfach so davonzukommen. Wissen Sie, was es heißt, mit 16, 17 Jahren als Schwarzer vor dem Fernseher zu sitzen, und zu sehen, dass Freddie Gray in den Rücken geschossen wurde, aber der Täter wird von der Jury freigesprochen? Wie lange soll das noch so weitergehen? Es ist absurd. Sie verspüren keine Hoffnung mehr. Ich denke: Ryans Berliner Rosa-Park-Projekt spendet Hoffnung. Es sollte in der ganzen Welt gezeigt werden, aber vorerst nicht in den USA, wir bekommen da nie die gebührende Anerkennung.
    "Sie sollten sich daran erinnern, wie viele Opfer sie erbracht hat"
    Meyer: Wie sollten die Menschen denn das Haus betrachten, woran sollten sie sich erinnern, wenn sie das Haus sehen?
    McCauley: Ich denke, wenn die Menschen das Haus sehen, sollten sie sich daran erinnern, dass es für Tante Rosa wie ein Licht der Hoffnung war, in einer Welt der Dunkelheit. Sie kam ja damals direkt vom Montgomery-Bus-Boykott, und erhielt Todesdrohungen, Steine wurden durch ihr Fenster geworfen. Sie hatte keine Chance, sich dort unten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Als sie dann nach Detroit, South Deacon Street kam, konnte sie endlich ein bisschen freier atmen. Ich denke, wenn die Leute auf das Haus schauen, und auf Ryans Konzept dahinter, dann sollten sie sich daran erinnern, wie viele Opfer sie erbracht hat, wie viel sie aufgeben musste und leiden musste. Heute denke ich, wir alle brauchen mehr Mitgefühl. Unser Land ist sehr hart geworden, wir als Menschen sagen so viele unfreundliche Dinge. Ich hätte nie gedacht, wie rassistisch die kleine Gemeinde, in der ich lebe, sein kann. Aber nach der Wahl von Donald Trump kommen sie alle hinter dem Busch hervor. Sie sind da sehr offen. … daher denke ich: Das Haus ist unbezahlbar, es sollte erhalten werden, nicht nur für meine Generation, auch für die kommenden Generationen. Wenn die Vereinigten Staaten sich um das Vermächtnis von Tante Rosa bemühen, dann ja, dann sollte es zurückkehren. Aber bis dahin … bin ich froh, dass sie in Berlin ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.