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"Rheinland-Pfalz ist ja wirklich zu Rheinland-Filz geworden"

Julia Klöckner geht als rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin für die CDU ins Rennen. und will am 27. März Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) ablösen. Im Deutschlandfunk redet Sie über Verbraucherschutz, den CDU-Finanzskandal in Rheinland-Pfalz und kritisiert den Umgang der Landesregierung mit muslimischen Schülern im Unterricht.

Julia Klöckner im Gespräch mit Ludger Fittkau | 06.02.2011
    Ludger Fittkau: Wir treffen Julia Klöckner in ihrer Heimat in Bad Kreuznach, wo sie 1972 geboren wurde. Auf ihre Homepage hat sie ein Bild gestellt, das sie als Kleinkind auf dem Acker im Nahetal zeigt. Landwirtschaft, Weinbau, Ernährung leitet sie bis heute auch beruflich, vor allem in Berlin. Doch in wenigen Tagen, am 15. Februar, hat sie ihren letzten Arbeitstag in der Bundeshauptstadt als Staatssekretärin für Verbraucherschutz. Dann wird sie sich ganz auf ihre Heimat konzentrieren - als Landesvorsitzende und vor allem aktuell als Spitzenkandidatin der Union in Rheinland-Pfalz für die Landtagswahl am 27. März. Julia Klöckner, nun also wieder Local Hero statt Bundespolitik, Gelände in Rheinland-Pfalz statt Glimmer in Berlin. Gibt's da Abschiedsschmerz?

    Julia Klöckner: Ja, sonst wäre es nicht gut gewesen. Ich werde zum 15. mein Amt als parlamentarische Staatssekretärin zur Verfügung stellen - freiwillig zur Verfügung stellen -, weil ich der Meinung bin, dass man klare Entscheidungen treffen muss, für halbe Sachen war ich noch nie zu haben. Und ich werde auch für den Landtag kandidieren in Rheinland-Pfalz, so oder so werde ich Mitglied des rheinland-pfälzischen Landtages werden und dann auch Abschied aus dem Bundestag nehmen.

    Fittkau: Ein Riesenschritt. Was spürt man da?

    Klöckner: Das ist ein Schritt. Ich bin neun Jahre als Bundestagsabgeordnete in Berlin gewesen, gependelt auch zwischen Rheinland-Pfalz und Berlin. Man hat viele Kollegen, die man mag, es sind auch einige wenige Freundschaften entstanden. Und auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine spannende Geschichte, in der Bundesregierung zu sitzen. Aber halbe Sachen - ich glaube, das würde in Zukunft nicht gut gehen. Deshalb habe ich mich klar entschieden: Vorfahrt für Rheinland-Pfalz und Vorfahrt für die Heimat.

    Fittkau: Sie nehmen ja das Thema "Verbraucherschutz" auch mit nach Rheinland-Pfalz, es ist in Ihrem Wahlprogramm. Sie kritisieren auch die SPD-Landesregierung dafür, dass sie Defizite bei der Lebensmittelsicherheit hat. Wo genau sind diese Defizite?

    Klöckner: Die Frage ist, wo man Personal einsetzt und wie man es einsetzt. Und bei der Frage um den Verbraucherschutz oder auch jetzt speziell um die Dioxin-Problematik haben wir eines festgestellt, dass die Länder sich alle zurückgelehnt haben, mit dem Finger nach Berlin gezeigt haben - und das waren vor allem die SPD-regierten Länder. Die haben ganz schnell nach Berlin gezeigt. Aber bei der Länderministerkonferenz, als es um vorbeugenden Verbraucherschutz ging, dass zum Beispiel auch Kompetenzen beziehungsweise auch Einblicke nach Berlin stärker abgegeben werden, da haben sich dann just gerade auch die Rheinland-Pfälzer geziert. Also kurzum: Es gibt keine Ländergrenzen, wenn es um Verbraucherschutz geht. Dann müssen die Länder enger zusammenarbeiten und auch enger mit dem Bund zusammenarbeiten.

    Fittkau: Ist das vor allen Dingen ein Mangel an Zusammenarbeit, oder gibt es da auch einen Mangel an Struktur, an Labors, an Technik?

    Klöckner: Technik haben wir hier sehr gute, wir haben gute Leute, gut ausgebildete Leute. Es geht darum: Wie setzen wir in den einzelnen Regionen auch Lebensmittelkontrolleure ein. Zum Teil gibt es zu viel Betriebe für Kontrolleure. Denn ich bin der Meinung, dass wir Verbraucherberatung noch mehr in Fläche von Rheinland-Pfalz bringen müssen, nicht nur an einzelnen Städten oder in der Landeshauptstadt, das muss man zusammen sehen. Und wenn man Verbraucherpolitik ernst nimmt, dann setzt man auf eine gute Wirtschaftspolitik von der Nachfrageseite.

    Fittkau: Es gibt auch in der Union eine Diskussion, ob es sich beim Dioxin-Skandal um kriminelle Machenschaften handelt oder ob es ein strukturelles Problem ist - Stichwort "Massentierhaltung". Wo stehen Sie in dieser Debatte?

    Klöckner: Ich stehe auf der Seite der Fakten, und ich stehe auf der Seite derer, die sich ordentlich verhalten. Und das ist die Mehrheit der Landwirte, das ist die Mehrheit derer, die Nahrungsmittel produzieren und auch anbieten. Denn eines ist klar: Jeder Produzent ist selbst auch Konsument. Und wir stellen fest, dass diejenigen, die in einer schnellen Zeit durch kriminelle Machenschaften Geld machen wollen, Reibach machen wollen - das haben wir auch gesehen beim "Gammelfleisch-Skandal" -, dass das Leute sind, denen egal ist, wie es anderen damit geht. Die müssen hart bestraft werden, und ich bin der Meinung, sogar mit einem Berufsverbot belegt werden. Denn was sind 50.000 Euro, die sie mal an Strafe dann zahlen müssen, das ist einkalkuliert und eingepreist. Wir stellen eben nur fest, dass in einer globalisierten Welt, wo es auch eine differenzierte Aufgabenteilung gibt, das nur einer ganz schnell zu einem kompletten Brunnenvergifter werden kann. Und wir haben das sogar gesehen in der Bio-Landwirtschaft. Selbst die sind betroffen davon, dass wir einen Dioxin-Skandal bei Bio-Eiern hatten. Das zeigt also: Das Thema Vertrauen und Kontrolle und vorbeugender Verbraucherschutz wird in einer globalisierten Welt immer mehr an Bedeutung gewinnen.

    Fittkau: Sie haben vor wenigen Tagen ein Zukunftsprogramm verabschiedet, Bildung ist ein Schlüsselthema. Ein Thema, mit dem Sie Schlagzeilen auch gemacht haben, ist, dass Sie 40 Millionen, die Eltern für Nachhilfeunterricht in Rheinland-Pfalz ausgeben, aus dem Landeshaushalt finanzieren wollen. Ist das ein Ersatz für eine Ganztagsschule, oder was soll das bedeuten?

    Klöckner: Ich möchte die Schlagzeile auch ein bisschen differenzieren, denn für Schlagzeilen sind wir ja nicht zuständig, wie sie dann aussehen. 40 Millionen geben Eltern hier in Rheinland-Pfalz deshalb aus, weil dreieinhalb Wochen pro Schüler pro Jahr an Unterricht ausfallen. Das macht in einem kompletten Schülerleben fast ein ganzes Jahr aus. Und Unterricht, der nicht gehalten wird: Dieses Wissen fehlt dann auch. Deshalb müssen zum Beispiel Eltern, bei deren Kindern sechs Wochen am Stück Mathe-Unterricht ausfällt, Nachhilfe privat finanzieren. So, und diesen Betrag von 40 Millionen können Sie schon alleine dadurch reduzieren, dass wir Unterricht halten, der gehalten werden muss. Das ist das Eine. Und der zweite Punkt ist, dass wir flächendeckend Schritt für Schritt Hausaufgabenbetreuung und -hilfe anbieten müssen. Auf der einen Seite werden Ganztagsschulen nachgefragt. Das ist eine Option, da bin ich absolut offen, wo sie nachgefragt werden. Aber ich möchte keine Zwangsbeglückung - alles einheitlich für alle. Das sieht im ländlichen Raum anders aus als zum Beispiel in der Stadt.

    Fittkau: Das heißt aber, im Prinzip sind Sie schon offen für mehr Ganztagsschulen und wollen nicht jetzt die Hausaufgabenhilfe als Ersatz für eine Ganztagsschule bekommen ... .

    Klöckner: Als Ersatz auf gar keinen Fall, weil das ja ganz unterschiedliche Strukturen sind. Die Hausaufgabenbetreuung wird auch kein Unterricht sein, die Hausaufgabenbetreuung ist ein Zusatzangebot, wo wir übrigens auf Freiwillige auch zurückgreifen müssen. Es gibt zum Beispiel in Mainz- Bretzenheim ein wunderbares Projekt, das prima an der Schule klappt. Es sind ja viele Eltern zu Hause, die vielleicht mit den Leistungskursaufgaben in Mathematik ihrer Kinder gar nicht mitkommen und so auch gar nicht zur Seite stehen können. Und es gibt Eltern, die könnten das, aber die sind den ganzen Tag am arbeiten - beide Elternteile. Und wenn die nach Hause kommen, dann möchten sie Zeit mit ihren Kindern verbringen, aber nicht unbedingt über den Mathe-Hausaufgaben. Und das, was in der Familie sonst möglich ist, wenn Freiraum da ist, das kann auch in der Schule möglich sein, indem wir auf Ältere zurückgreifen, die gerne auch gefragt werden wollen, so dass wir eine Art freiwillige Arbeit, auch unterstützt durch den einen oder anderen Lehrer, der das koordiniert, dass wir das einführen Schritt für Schritt. Und da haben wir wunderbare Modellprojekte aus anderen Ländern. Das möchten wir anbieten. Und die Rückmeldung von Lehrern, die Rückmeldung von Eltern auf unseren Vorschlag, der ist grandios.

    Fittkau: G 8, G 9 - ein großes Thema, viel diskutiert. Hier gibt es Experimente mit G 8 - Doris Ahnen. Sie gehen da offen ran, wollen beides ermöglichen - G 8 und G 9?

    Klöckner: Ich halte wenig von halben Dingen. Hier in Rheinland-Pfalz gibt es zwölfeinhalb Jahre - statt zwölf oder 13 Jahre. Man muss sich da ein bisschen stärker entscheiden: Was will man? Es gibt die Möglichkeit - G 8 -, einen Stoff durchzunehmen in einer schnelleren Zeit. Aber dann ist natürlich die Frage da: Schaffen wir das in der bisherigen Form. Kinder sind ja nicht einfach nur Festplatten, die man einfach nur beladen kann mit Informationen. Und deshalb ist es möglich, G 8 dort, wo auch andere Strukturen da sind, zum Beispiel Ganztagsschulen. Aber dann muss das auch ein Schulangebot sein, ein Unterrichtsangebot sein. Und wo Kinder vielleicht etwas länger brauchen, wo auch Eltern sagen: Nein, wir möchten einen anderen Rhythmus dabei haben, da ist auch G 9 möglich.

    Fittkau: Das klingt aber ganz so wie das, was Doris Ahnen als Bildungsministerin bisher macht. Da sind Sie ganz nahe bei Frau Ahnen.

    Klöckner: Ich bin in ganz wenigen Punkten bei Frau Ahnen. Ansonsten finde ich,
    wissen ist besser als ahnen. Denn wir sehen ja, dass die jetzige Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz keine klaren Richtungsentscheidungen gibt und dabei ist, Differenzierungen - das heißt das Angebot, die Auswahl zu minimieren. Es werden Fächer immer mehr auch zusammengelegt. Es wird auch das Gymnasium Schritt für Schritt ausgehöhlt und es wird eine Schulform bevorzugt. Und aus diesem Grund setzte ich ganz klar auf den freien Willen der Eltern, setzte ich auf eine Begabten gerechte Förderung, das heißt nicht für jeden Schüler das Gleiche, sondern für jeden das Beste.

    Fittkau: Stichwort: Förderung von Migrantenkindern in den Schulen und auch schon in den Kindergärten. Sie haben bei der Kindergartenpädagogik gefordert, einen Sprachtest für alle Kinder ab vier Jahren einzuführen. Das ist auch in anderen Bundesländern aufgegriffen worden. Die Regierung wehrt sich dagegen. Was spricht für diesen Test mit vier Jahren?

    Klöckner: Für mich sprechen die Erfahrungen von Experten und deren Empfehlungen dafür. Grundschullehrer erzählen mir, dass sie sehr häufig an Sprachbarrieren erst mal hängenbleiben in der ersten Klasse und überhaupt nicht mit dem Stoff beginnen können, der für die erste Klasse vorgesehen ist. Und dann nehmen sie das auf der langen Bank immer weiter mit und hinten fehlt es dann. Sprachbarrieren haben nichts mit Intelligenz zu tun, die Kinder sind ja nicht dümmer oder schlauer als andere. Sondern es geht darum: Habe ich das Instrumentarium, um teilhaben zu können? Und in anderen Bundesländern, bei Nachbarbundesländern, werden vor der Einschulung, einige Zeit vor der Einschulung, sogar an die 200.000 Kinder getestet. In Rheinland-Pfalz sind es lediglich 197 gewesen in etwa - 2009. Und da wurden nur die getestet, die nicht im Kindergarten waren. Und dann bekamen sie ein Angebot, ob sie gefördert werden, und das ein Jahr vor der Einschulung. Das ist zu kurz gesprungen. Wir müssen schauen, dass wir, wenn wir Kinder fördern müssen - und das ist häufig der Fall, im übrigen nicht nur bei Migranten, sondern auch bei Kindern aus deutschen Familien, wo der Computer eher der Ansprechpartner als eine Person ist, die sich mit mir und meiner Sprachentwicklung beschäftigt. Dann müssen Sie die Zeit haben, vor der Grundschule, vor der Einschulung noch ordentlich kontinuierlich fördern zu können. Kurzum: Wir möchten für alle Vierjährigen einen Sprachtest einführen, eine Sprachbestandserhebung, um dort, wo wir Defizite festgestellt haben, auch fördern zu können, bevor sich das Sprachfenster geschlossen hat, damit kein Kind eingeschult wird, das nicht Deutsch versteht oder Deutsch spricht. Insofern sehe ich auch mit Wohlwollen in Richtung Berlin. Der Bildungssenator Zöllner, der übrigens Bildungsminister hier in Rheinland-Pfalz war, der will diese Sprachtests sogar ab drei Jahren einführen. Und deshalb kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass hier die Landesregierung nicht bereit ist, den Kindern von Anfang an Chancen zu geben.

    Fittkau: Weiteres strittiges Thema in Sachen Schüler, die einen Migrationshintergrund haben, ist Ihre Kritik an einem Faltblatt der Landesregierung, das eigentlich dazu dienen sollte, den Umgang mit Schülern aus Migrationsfamilien an Schulen empfehlungsmäßig zu gestalten. Dieses Papier haben Sie - ich sage mal etwas zugespitzt - als etwas "zu islamfreudig" bezeichnet. Wo liegt da Ihre Kritik?

    Klöckner: Nein, ich habe das als "frauenunfreundlich" bezeichnet, dieses Papier. Und es ist kein Angebot für alle Migranten, sondern nur für eine Gruppe von Migranten, die ein islamisches Frauenbild haben. Hier geht es ja überhaupt nicht um Religion, hier geht es um die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen. Und welcher Geist schwebt denn in diesem Faltblatt, in dem so genannten Orientierungsblatt? Aufhänger sind nicht die muslimischen Jungen, sondern die muslimischen Mädchen. Wenn Eltern, wenn Väter nicht wollen, dass ihre Töchter in den Schwimmunterricht gehen, im Sexualkundeunterricht gemeinsam unterrichtet werden oder mit auf Klassenfahrten gehen, dann sagt diese Landesregierung: Dann sollen Lehrer empfehlen, dass zum Beispiel die Mädchen in einer Ganzkörper-Schwimmburka in den Schwimmunterricht gehen, dass Sexualkundeunterricht getrennt unterrichtet wird, dass Sportunterricht wieder getrennt wird, dass auf Klassenfahrten ein Familienmitglied mitfährt, und da ist nicht an die Schwester gedacht, die in der Pubertät ist, sondern an den großen Bruder, der aufpasst, dass während des Ramadan keine anstrengenden Klassenfahrten oder Klassenarbeiten stattfinden. Und wenn zum Beispiel aus entwicklungspsychologischer Sicht ein getrennter Sexualkundeunterricht oder Sportunterricht in der Pubertät angebracht ist, dann müssen das Fachleute beurteilen. Dann bin ich da absolut offen für.

    Fittkau: Jetzt sagen aber Lehrer, auch aus Lehrerverbänden und Praktiker, genau mit diesem Papier könnte man vielleicht erreichen, dass die Eltern ihre Kinder dann doch in den Schwimmunterricht schicken. Sonst bleiben die vielleicht ganz weg.

    Klöckner: Sie könnten das unter folgenden Bedingungen erreichen, dass die Mädchen in einem Ganzkörperschwimmanzug dann kämen und sie könnten es erreichen, indem die Schulen wegen zwei muslimischer Mädchen, wo die Väter nicht wollen, dass die im Sportunterricht sind, dass plötzlich der Sportunterricht getrennt würde und die Schulstrukturen, zumindest die Unterrichtsstruktur, sich ändern müsste. Da frage ich mich natürlich, was gilt denn, was leitet uns denn hier? Es gibt auch andere Religionsgruppen, die eine andere Sichtweise haben. Auch da sagen wir, es gilt das Grundgesetz, es gilt die Schulordnung. Und meine Sorge ist ja folgende, dass dieser Gedanke, dass Frauen und Mädchen nicht gleichberechtigt sind mit Jungen und Männern, dass dieser Gedanke nicht in der 7. Klasse hängen bleibt, sondern weiter getragen wird und in unserer Gesellschaft weiter getragen wird. Und mir sagen Lehrer, auch hier aus der Region, damit hat die Landesregierung ihnen einen Bärendienst erwiesen.

    Fittkau: Jetzt sagen mir aber Lehrerverbände, das Thema ist wichtig, da haben Sie auch etwas angesprochen, nur dass Sie es zum Wahlkampfthema machen, das geht in Richtung Roland Koch und Schüren von Ressentiments.

    Klöckner: Gut. Das ist natürlich eine Argumentation der SPD-Landesregierung. Das sei ihr auch unbenommen. In einem Wahlkampf muss ich natürlich aktuelle Dinge ansprechen. Dieses Papier ist ja nicht seit drei Jahren draußen, dann hätte ich das Thema überhaupt nicht als Thema gehabt, sondern das Papier ist zu Ende des Jahres heraus gekommen und gilt jetzt für dieses Schuljahr. Und Lehrer kommen auf mich zu und sagen, jetzt sind muslimische Väter hier bei uns, die haben dieses Faltblatt in der Hand und fragen, ab wann gibt es denn getrennten Sexualkundeunterricht. Das ist ein Thema, das aktuell eine Rolle spielt. Und zu mir kommen - gerade hier in Bad Kreuznach, in Bad Kreuznach ist der Anteil von türkischen Mitbürgern sehr hoch - und zu mir kommen türkische Frauen, aufgeklärte Frauen, emanzipierte Frauen, die sagten, bitte helfen Sie uns, damit nicht von öffentlicher Seite uns in den Rücken gefallen wird, wir haben uns emanzipiert, dass wir uns eben nicht einem Männerbild unterwerfen, wie die Frau aufzutreten hat.

    Fittkau: Bleiben wir noch einen Augenblick in Bad Kreuznach, indem wir die Wirtschaftspolitik ansprechen. Wenn man nach Bad Kreuznach rein fährt morgens, dann sieht man unheimlich viele Pendler, die aus Bad Kreuznach, aus dem Nahetal Richtung Frankfurt fahren, die dort ihren Arbeitsplatz haben. Rheinland-Pfalz ist nach wie vor ein strukturschwaches Gebiet, hat nicht viele industrielle Arbeitsplätze. Kann man das ändern, oder ist man auf dieses Auspendeln in die starken Nachbarregionen angewiesen?

    Klöckner: Rheinland-Pfalz ist sehr unterschiedlich. Die Regionen von der Eifel über den Westerwald, Rhein-Hessen-Nahe oder unten in der Pfalz, die Pfalz ist auch sehr unterschiedlich, da kann man nicht eine einheitliche Antwort geben, sondern das muss man differenziert betrachten. Rheinland-Pfalz ist auch Industriestandort. Wir haben BASF, wir haben Böhringer-Ingelheim, wir haben die Schott AG, das sind große industrielle Arbeitgeber, auch mit Technologie der Zukunft. Andererseits, und da haben Sie absolut recht, haben wir einen ganz hohen Anteil der auspendelt aus Rheinland-Pfalz. Wir haben sicherlich auch Einpendler, aber wichtig ist ja, den Saldo zu betrachten. Und Auspendler jeden Tag sind etwa eine viertel Million Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer, die das auf sich nehmen. Meine Sorge ist, wenn Mobilität teurer wird, dann werden just diese Leute, und das sind die jungen Leute, zu ihrem Arbeitsplatz hin ziehen. Und dann wird sich die Struktur und der demografische Wandel noch viel mehr verschärfen.

    Fittkau: Können Ihre Berater etwas beisteuern? Sie haben ja sehr unterschiedliche, Heiner Geisler, Friedrich Merz, wirtschaftspolitische Fachleute, aber mit sehr unterschiedlichen Positionen, zwischen Attac und Neoliberalismus könnte man sagen, haben die Ideen für eine Wirtschaftspolitik in Rheinland-Pfalz?

    Klöckner: Friedrich Merz habe ich gebeten, mich in wirtschaftspolitischen Fragen zu beraten. Entscheiden muss ich dann natürlich, aber er ist derjenige, der den globalen Blick hat. Er erkennt, was in anderen Ländern gut gelaufen ist, die zum Beispiel strukturschwach waren, aber die Rheinland-Pfalz überholt haben. Und es geht auch darum, dass wir Netzwerke bilden, dass wir auch Unternehmen hier nach Rheinland-Pfalz bekommen, dass wir eine engere Verzahnung zwischen Universität und Anwendung haben. Und da ist Friedrich Merz wirklich ein hervorragender Berater, jemand, der authentisch auch Dinge sagt, ohne dass wir in irgendwelchen Zwängen sind. Und Heiner Geisler ist jemand . . .

    Fittkau: Bleiben wir noch kurz bei Friedrich Merz. Er kennt das Land nicht ... .

    Klöckner: Ja, wissen Sie, wenn wir immer nur auf Leute setzen, die hier aus unserem Land sind, dann finden wir uns übrigens auch damit ab, dass sich nichts verändern kann, wenn wir immer auf die setzen, die jetzt in der Landesregierung sind. Wissen Sie, es sind große Personen hier gerade von der CDU nach Rheinland-Pfalz geholt worden. Das war Heiner Geisler, das war ein Roman Herzog, das war ein Professor Töpfer, das war zum Beispiel auch ein Richard von Weizsäcker. Also, Qualität kommt aus dem Land, aber kann auch in dieses Land kommen.

    Fittkau: Welches Amt kriegt denn Friedrich Merz in Ihrer Regierung?

    Klöckner: Friedrich Merz ist Berater. Er berät mich seit längerem schon, und er ist auch dabei, wenn wir in der Regierungsverantwortung sind, mich weiterhin zu beraten. Es geht nicht um Posten, die verteilt werden. Es geht auch eben gerade darum, uneigennützig Sichtweisen weiter zu geben. Sie haben mich nach Heiner Geisler gefragt. Heiner Geisler ist auch wirklich ein väterlicher Freund, auch in Sichtweisen, in Diskussionen, und ich habe ihn gebeten, mit mir zusammen ein Papier zu entwickeln für mehr Bürgerbeteiligung. Und wenn nicht er, wer denn sonst hat da Erfahrungen und kann genau diese Erfahrungen übrigens von Baden-Württemberg aus dann mit nach Rheinland-Pfalz bringen.

    Fittkau: Wir müssen es ansprechen, nämlich die Rolle eines Ihrer Vorgänger Christoph Böhr im CDU Finanzskandal. Sie sind auf ihn nicht gut zu sprechen, das kann man sagen.

    Klöckner: Na ja, es gibt Vorsitzende, die haben ihren Job gemacht und es gibt Vorsitzende, die haben auch ihren Job gemacht, aber haben Dinge falsch gemacht.

    Fittkau: Er hat 2006 im Landtagswahlkampf Gelder aus der Fraktion in den Landtagswahlkampf der Partei fließen lassen. Das war illegal und ist auch lange verschwiegen worden. Hätten Sie nicht früher, auch schon, als Sie das Amt angetreten haben als Spitzenkandidatin, da auch etwas tun können, um das aufzuklären?

    Klöckner: Verschwiegen worden ist es ja eben durch Herrn Böhr und durch Herrn Hebgen, den Fraktionsgeschäftsführer, der übrigens Geld in die eigene Tasche gesteckt hat, der die Fraktion selbst betrogen hat. Ihm ist ja nachgewiesen worden, dass er sich hier nicht ordentlich verhalten hat, sondern im Gegenteil gegen Gesetze verstoßen hat. Und da können Sie davon ausgehen, dass gerade Herr Hebgen nicht unbedingt an einer Aufklärung interessiert war. Und es war die CDU Landtagsfraktion, die bewusst den Rechnungshof eingeschaltet hat, die bewusst die Staatsanwaltschaft auch eingeschaltet hat, weil sie Aufklärung wollte. Und vor Weihnachten haben wir erstmalig Akteneinsicht bekommen in Akten, die vorher nicht vorlagen, sondern durch eine Hausdurchsuchung auch dann zutage getreten sind. Und da haben wir innerhalb von fünf Tagen klaren und reinen Tisch gemacht, weil klar wurde, hier war etwas nicht in Ordnung, Gelder sind falsch verwandt worden. Und deshalb ist mein Punkt genau der, zu sagen, wenn man Vorbild sein möchte oder zumindest an der Spitze eines Landes stehen möchte - denn wir sind ja auch nicht kurz vor der Heiligsprechung und Politiker sind nicht besser als die Wähler, die sie wählen, wir sind ja aus dem Volk - aber wenn man es ernst meint mit der Verantwortung, dann muss man auch dazu stehen. Und deshalb haben wir aufgeklärt im Gegensatz zur Landesregierung. Die sitzt es aus, Stichwort Nürburgring, Stichwort Schlosshotel, es gibt eine Schwiegersohn-Affäre und vieles andere auch. Und wo Menschen sind, da passieren Fehler. Aber wenn sie erkannt werden, muss man dazu stehen und sie nicht vertuschen.

    Fittkau: Mit was müssen Sie noch rechnen? Sie haben Markus Hebgen angesprochen, den ehemaligen Fraktionsgeschäftsführer, der ja auch Geld aus der Kasse genommen hat und damit ins Bordell gegangen ist mit anderen Landtagsabgeordneten, die wahrscheinlich noch im Parlament sitzen . . .

    Klöckner: Ja Moment, Moment, also da verwehre ich mich dagegen. Sie unterstellen etwas. Es gibt keine Beweise dafür und es gilt rechtlich die Unschuldsvermutung. Und dass ein Herr Hebgen, der wirklich auch überführt worden ist und dafür auch dementsprechend bestraft worden ist, dass er versucht, andere jetzt mit rein zu ziehen, das ist das eine. Aber dass seriöse Medien genau das dann übernehmen würden, das wäre dann das andere.

    Fittkau: Aber Sie müssen immer noch damit rechnen, dass noch etwas rauskommt?

    Klöckner: Das weiß ich nicht. Ich habe die Unterlagen nicht, ich war keine Fraktionsvorsitzende. Ich kann ab dem Moment, wo ich Landesvorsitzende wurde, für diese Zeit reden und auch sprechen. Wir haben all das, was vorliegt, auf den Tisch gelegt. Wir haben sogar dafür gesorgt, dass sogar Unterlagen veröffentlicht wurden, die vorher nicht zugänglich waren. Und das unterscheidet uns übrigens von der SPD-Landesregierung, die ja gerade im Nürburgring-Untersuchungsausschuss sogar Presseartikel als nicht öffentlich stempelt. Also, das ist der Punkt noch mal, wo Menschen sind gibt es Verfehlungen. Wir haben keine Schuld, die neue Fraktion- und Landesführung. Aber wir haben Verantwortung und die muss man übernehmen, ganz klar.

    Fittkau: Die Prognosen für die Landtagswahl sind spannend, ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ihnen und dem Amtsinhaber Kurt Beck. Sie haben gesagt, der kann nicht mit Frauen, halten sich aber die Option einer Koalition auch mit der SPD, habe ich gelesen, offen. Ist das realistisch, mit Kurt Beck eine Koalition zu machen?

    Klöckner: Ja, wenn er Lust hat, Juniorpartner zu werden. Er hat anscheinend wirklich ein Problem mit Frauen. Er hat ein Problem damit, dass ich als junge Kandidatin hier in den Ring trete. Er hat auch mit hoch angesehenen Staatsanwältinnen im Untersuchungsausschuss ein Problem und sagt: "Die junge Dame wollte mal ihren Auftritt haben". Das ist eine Staatsanwältin aus Frankfurt. Über einen Mann würde man das natürlich nicht sagen. Und er meinte, er würde mich behandeln wie einen Mann. Also, ich kann ihn beruhigen, ich werde ihn nicht wie eine Frau behandeln.

    Fittkau: Das klingt so, als ob Ihr Lieblingskoalitionspartner nicht gerade die SPD Kurt Becks ist.

    Klöckner: Nein, das ist sie natürlich nicht. Ich denke, nach 20 Jahren SPD-Herrschaft hier und auch einer mittelmäßigen Bräsigkeit, einer Selbstherrlichkeit - und Rheinland-Pfalz ist ja wirklich zu Rheinland-Filz geworden - ist es notwendig, dass frischer Wind, dass Erneuerung auch stattfindet in diesem Land. Und das geht nicht mit dieser SPD.

    Fittkau: Gucken wir mal, was Sie den Grünen anbieten können, die ja möglicherweise dann Zünglein an der Waage sein werden. Was bieten Sie den Grünen an? Ich nenne mal einige Punkte und Sie sagen möglichst ja oder nein. Verzicht auf den Hochmoselübergang, gegen den ja auch schon Joschka Fischer protestiert hat?

    Klöckner: Ich antworte darauf überhaupt nicht, aus folgendem Grund: Wir sind vor der Wahl und der Wähler hat das Wort. Und jetzt Posten oder Koalitionen zu verteilen, das ist anmaßend. Ein bisschen Demut gehört für Politiker auch dazu. Wir haben unser Wahlprogramm vorgelegt und wir werden nachher schauen, was überhaupt machbar ist. Wie die Koalitionsverhandlung läuft und die Koalitionsverhandlungen, ganz gleich welcher Art, die werde ich nicht im Radio führen.

    Fittkau: Okay. Es gibt aber ein paar Punkte, wo Sie sich auch positionieren könnten. Privatisierung des Nürburgrings?

    Klöckner: Das ist so eine geschlossene Frage. Ja oder nein wäre zu wenig. Der Nürburgring hat gezeigt, dass er gut für die Region ist, aber die Leute, die das machen und die, die es betreiben und die Landesregierung, sind schlecht für diese Region. Jetzt sind neue Unterlagen aufgetaucht, dass hier Steuergeld verschwendet wird und dass die Führung, die dort am Nürburgring ist, hätte längst ausgetauscht werden müssen. Wir werden als erstes alle Unterlagen auf den Tisch legen um dann endlich beurteilen zu können, was hier wirklich los ist. Wenn ein Kai Richter immer noch in Amt und Würden ist und die Landesregierung ihn nicht ablöst, dann scheint da etwas faul zu sein.

    Fittkau: Kai Richter ist einer der Betreiber.

    Klöckner: Genau.

    Fittkau: Keine Gentechnik in der rheinland-pfälzischen Landwirtschaft?

    Klöckner: Wir brauchen Gentechnik, zum Beispiel im Pflanzenschutz, da haben wir Gentechnik. Das wird übrigens auch von den Grünen als solches unterstützt. Wir haben Gentechnik in der Arzneimittelwirtschaft, auch Enzyme, die gentechnisch verändert sind, auch übrigens im Bio-Anbau. Insofern ist das Thema 'keine Gentechnik' a) arbeitsplatzfeindlich und b) gar nicht zukunftsweisend.

    Fittkau: Was könnten Sie den Grünen bieten? Ein paar Kisten guten Öko-Wein von der Nahe?

    Klöckner: Ich biete allen netten Menschen, die Spaß haben, mit mir rheinland-pfälzische Produkte zu probieren und vor allen Dingen für sie zu werben, hervorragende Weine von Öko-Winzern und von konventionell wirtschaftenden Winzern an. Rheinland-Pfalz hat viel zu bieten, zum Beispiel die "SoNahe-Marke" hier bei uns aus Bad Kreuznach. Daher gibt es viele Menschen, mit denen ich das gerne teilen möchte.

    Fittkau: Vielen Dank, Julia Klöckner, CDU-Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz und Spitzenkandidatin der Partei bei den Landtagswahlen 2011.