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Rhens im Oberen Mittelrheintal
Romantische Landschaft mit Geschichte

Die Rheinlandschaft zwischen Bingen und Koblenz zählt zum Unesco-Weltkulturerbe. Mittendrin in dieser Region liegt Rhens. Die Stadt war im 14. Jahrhundert das Konferenzzentrum von vier rheinischen Kurfürsten. Und auch der große französische Schriftsteller Victor Hugo widmet diesem historischen Konferenzort gute fünf Seiten.

Von Franz Nussbaum | 11.09.2016
    Das Kirchtor der Stadt Rhens, im Hintergrund ist das alte Rathaus zu sehen.
    Das Kirchtor der Stadt Rhens, im Hintergrund ist das alte Rathaus zu sehen. (imago/ Sascha Ditscher)
    Und beginnen wir gleich mit den Groschen, die nach Meinung von Victor Hugo dem arglosen Besucher am Rhein aus der Nase gezogen werden. Er notiert:
    "Für so gewitzte Leute ist der Reisende nur ein wandernder Geldsack, den es so schnell wie möglich auszuleeren gilt."
    Immerhin kann sich der Wandersmann oder der Radler in Rhens umsonst aus einem Zapfhahn an Rhenser Sprudel laben und seine Trinkflasche nachfüllen.
    So beginnen wir in Rhens am alten Rathaus. Mit rot-gestrichenen Fachwerkbalken steht es mitten in den verwinkelten Gässchen. Parterre war das Rathaus auch der Tanzsaal für die Bauernpolka, war auch Ort für Gerichtsverhandlungen. Rhens hatte ab dem Rathausbau sogar einen Scharfrichter. Der also schärfer jemandem an den Kragen gehen durfte. Schärfer als der trinkfeste Dorfrichter Adam, der für zerbrochene Krüge mit Seitensprung verantwortlich war. Wer hat denn damals dem kleinen Rhens ein solches Rathaus oder eine dicke Stadtmauer finanziert?
    "Im 15. Jahrhundert nach der Stadtrechtsverleihung durch den Landesherrn, den Kölner Kurfürsten und Erzbischof, ist das Rathaus hier errichtet worden. Die Bürger mussten selbst die Steine besorgen. Das war also ein Tauschgeschäft, dass die Bürger das Material besorgen mussten, mit ihrem eigenen Ochsenkarren aus den nahe umliegenden Steinbrüchen. Dafür bekamen sie Nachlass in Steuern und Zollfreiheiten für ihr Marktrecht. Das war eine repräsentative Überlegung des Kurfürsten. Er, als Gastgeber für vier rheinische Kurfürsten, wollte kein Dorfgastgeber sein", sagt Franz-Josef Schmillen.
    Und wenn wir jetzt noch als Gag drauf setzen, dass die vier Kurfürsten sich doch wahrhaftig in den Kopf gesetzt hatten, unterstützt von Karl IV., dass Rhens der großen und mächtigen freien Reichsstadt Frankfurt den Job der Königswahl stibitzen wollte.
    "Dieser Ort war bereits schon hundert Jahre vorher der Versammlungsort, der Besprechungsort der Kurfürsten. Allerdings muss man sagen, dass der Kaiser Karl IV. als einziger in Rhens diese Tradition der Königswahl beginnen lassen wollte", sagt Franz-Josef Schmillen.
    Mächtige Kurfürsten und das Obere Mittelrheintal
    Vier mächtige Kurfürsten haben sich also in das lukrative Obere Mittelrheintal zwischen Bingen und Koblenz eingekauft. Der Kurfürst von der Pfalz, das war Heidelberg und es sind drei Kurfürst-Erzbischöfe aus Mainz, Trier und Köln. Ihre großen Ländereien waren ein weit verstreuter Flickenteppich. Und darin hatten sie dann auch einige Orte am Mittelrhein vom König als Lehen erhalten. Oder es war den Kurfürsten vom Herrscher gewissermaßen als Flaschenpfand für Gefälligkeiten aus den einst großen königlichen Krondomänen im Rheintal verpfändet worden. Wir lesen zusammengefasst:
    "So kommen die würdigen und auch machtgierigen Politiker, die alle bis drei zählen können, auch zu der Erkenntnis, wenn der deutsche König von sieben Kurfürsten gewählt wird, und wenn die Vier vom Rhein einstimmig einen Stimmblock der vier Rhein-Länder liefern, dann können die drei restlichen Kurfürsten das Quartett vom Rhein nie aushebeln. Und diesen hochkarätigen Stimmenblock lassen sich die Herren vom Rhein von den Wahlkandidaten kurfürstlich entlohnen."
    Bei einer dieser Wahlen sollen zehn Tonnen Silber die Seite gewechselt haben. Ein Jahrhundert später werden sogar 60 Zentner Gold von Karl V. unter fünf Kurfürsten aufgeteilt. Da ist also etwas mehr als nur der Groschen gefallen.
    Und so treten wir durch das Rheintor an die Rheinfront von Rhens und erleben einen Fünf-Sterne-Blick, der majestätische Fluss und auch gegenüber liegend geht unser Blick auf die trutzige Marksburg. Lassen wir uns doch den Rhein von Victor Hugo vor 175 Jahren beschreiben.
    "Der Rhein ist der Fluss, von dem alle Welt spricht und den niemand erforscht,
    den jeder besucht und den keiner kennt,
    den man im Vorübergehen wahrnimmt und den man schnell vergisst,
    den jeder Blick streift und der von niemandem geistig durchdrungen wird."
    Victor Hugo über Rhens
    An dieser sehr fein beobachteten Analyse von Victor Hugo hat sich bis heute nichts geändert. Auch nicht mit dem Aufkleber "Weltkulturerbe". Hugo ist damals 38 Jahre alt. Er ist in Frankreich unter anderem durch seine dramatische Geschichte vom "Glöckner von Notre Dame" bekannt. Vom gemobbten, vom unglücklich verliebten, vom einsamen, buckligen Glocken-Monster. Hugo gilt auch als vorzüglicher Reiseschriftsteller. Er ist dabei ja auch sein eigener Unternehmer. Zwei Monate ist er 1840 hier am Rhein unterwegs, teilweise zu Fuß auf Recherche. Zwei Jahre später kommt sein "Rhein-Reiseführer" in Frankreich heraus, gleichzeitig mit einer deutschen Übersetzung. Was schreibt er über Rhens?
    Victor Hugo in einer zeitgenössischen Darstellung
    Victor Hugo in einer zeitgenössischen Darstellung (picture-alliance / dpa)
    "Rhens gehörte dem Kurfürsten von Köln, er sieht auf der linken Rheinseite nach Kapellen, das dem Kurfürsten von Trier gehört, und auf dem rechten Ufer nach Oberlahnstein, das dem Kurfürsten von Mainz gehört. Und dann weiter nach Braubach, das dem Kurfürsten der Pfalz gehört. In einer Stunde konnte jeder Kurfürst von Rhens wieder zu Hause sein."
    Zu Hause sein heißt, die Herrn Kurfürsten und ihre Berater und ihre Bodyguards sind nach Ende einer solchen Besprechung in Rhens in kurzer Zeit zurück auf ihren eigenen Burgen, die wir von hier sehen. Die Markusburg für den Kurfürsten bei Rhein aus Heidelberg, das sind die Wittelsbacher. Der Trierische, zwei Kilometer rheinabwärts auf seine stolze Feste Stolzenfels. Der Mainzer auf seine Martinsburg in Oberlahnstein. Und der Kölner hat sein Bollwerk hier direkt am Rhein, neben dem Runden Turm der Stadtmauer. Und Sicherheit wurde damals, in wirren Zeiten, großgeschrieben. Auch der in Rhens bekannte römisch-deutsche König Wenzel wurde in seiner Regierungszeit zweimal gekidnappt.
    Zurück zu Victor Hugo. Er widmet diesem historischen Konferenzort Rhens und dem hier erbauten Königsstuhl gute fünf Seiten, gespickt mit historischen Details. Und er schildert uns auch eine Königswahl auf dem Königsstuhl von 1346.
    "Die Kurfürsten stiegen hintereinander herschreitend die 14 Stufen auf die Plattform und nahmen Platz in ihren steinernen Lehnstühlen. Das Volk von Rhens, von den Reisigen in Ordnung gehalten, umgab von Ferne den königlichen Stuhl. Der Erzbischof von Mainz stand dann auf und sprach 'Sehr edle Fürsten, das heilige Reich ist frei'. Dann begann er den Wechselgesang Veni Sancti Spiritus. Wenn der Gesang beendet war, legten alle den Eid ab. Die weltlichen Kurfürsten mit der Hand auf dem Evangelium, die Geistlichen mit der Hand auf dem Herzen. Nach dem Schwur sah man sie im Kreise nieder sitzen und leise miteinander sprechen. Plötzlich erhob sich der Erzbischof von Mainz, streckte die Hand gegen den Himmel aus und warf dem Volke, das in der Ferne in Gebüschen und Wiesen verstreut war, den Namen des neuen Oberhauptes der Christenheit zu. Dann pflanzte der Reichsmarschall das königliche Banner auf und alles Volk rief Vivat, Rex."
    So mag es bei der Wahl des Marktgrafen Karl von Mähren, aus dem Hause Luxemburg abgelaufen sein, der sich dann Karl IV. nennt. Vor allem, Victor Hugo nennt uns auch die politischen Hintergründe und die Abgründe dieses Deals. Karl IV. ist von seinem Oheim, dem Kurfürsten Balduin von Trier lanciert worden, auch der Papst in Avignon hat seine Finger im deutschen Roulette mit im Spiel. Das heißt, es ist vorher in der Kurfürstenrunde über Wochen in Rhens diese Partie ausgehandelt worden. Am Wahltag sind aber von den sieben Kurfürsten nur fünf in Rhens anwesend. Zwei fehlen. Warum?
    Hätte es 1346 schon "Heute Journal" oder die "Tagesthemen" gegeben, dann wären natürlich die festlichen Bilder vom Königsstuhl gezeigt worden. Doch wären sie noch mit Berichten und Kommentaren aus Avignon und München ergänzt worden. Rufen wir uns die politische Mengenlehre in Erinnerung.
    "Es sind damals im Abendland apokalyptische Zeiten. Da ist einerseits der erbitterte Investitur-Streit um die weltliche und die geistliche Macht. Hat der Papst ein Mitspracherecht bei der Wahl von Königen? Umgekehrt, wie verhält es sich mit Adelsfamilien, die gerne den Papst aus eigenen Reihen und zu eigenen Gunsten wählen? In diesem Dauerstreit ist Papst Klemens von Rom nach Avignon ausgewichen, auch gedrängt worden. Zudem gibt es damals häufig zwei oder gar drei Heilige Väter, die sich gegenseitig exkommunizieren oder militärisch vom Hof jagen. Blicken wir in die deutschen Lande, da rivalisieren auch nebeneinander zwei gewählte Könige. Ludwig IV., den der Papst in Avignon nicht mit seinem Titel, sondern nur als 'Ludwig der Bayer' brüskiert und dessen Gegenkönig 'Friedrich der Schöne'. Und der rustikale Ludwig wird dann mit dem Kirchenbann belegt, setzt deswegen den Papst ab. Und nebenbei führen Frankreich und England einen hundertjährigen Krieg und möchten aber auch in Avignon oder auch in Rhens etwas mitmischen."
    Der Königsstuhls
    Ein Stück aus dem abendländischen Tollhaus. Oder ein Stück, wie man es mit Kasperle-Figuren in der Augsburger Puppenkiste aufführen könnte. Aber man führt es nicht in Augsburg auf. Hier in Rhens beraten intern die Vier vom Rhein, wem sie denn ihre teure Stimme zuschlagen? Dem volkstümlichen Bayern oder dem schönen Friedrich? Alleine dieses Kapitel ist in seinen Facetten spannender als jeder TV-Krimi vom Sonntag. So kommt es 1346 auf dem Königsstuhl zu einer Königswahl, bei der ein neuer "Gegenkönig" zum exkommunizierten Kaiser Ludwig aus Bayern gewählt wird. Und es fehlen deswegen zwei der Kurfürsten, weil sie zum exkommunizierten Ludwig halten und deswegen ebenfalls mit dem unerbittlichen Kirchenbann des Papstes belegt sind. Ist der Groschen in Rhens nun gefallen?
    Blich auf den Königsstuhl im rheinland-pfälzischen Rhens.
    Die deutschen Kurfürsten kamen zu Verhandlungen über die Königswahlen hier zusammen. (imago/ Westend61)
    Setzen wir uns bürgerlich auf die Sitzbänke des Königsstuhls in Rhens. Und bei uns sitzt der Historiker Alexander Thon. Sie sind Buchautor über Rhens und haben Insiderwissen:
    "Es ist eine Entwicklung, die wir hier nachzeichnen müssen. Genauso wie sich im Hochmittelalter entwickelt wer überhaupt den König wählen darf. Es hat sich im Lauf der Zeit herausgestellt, dass es sieben Kurfürsten sein sollten. Genauso hat sich entwickelt, wo gewählt wird und wo nachher gekrönt wird? Das sind ja zwei verschiedene Akte, die aber zueinander gehören, damit der König als rechtmäßig, als legitim anerkannt werden kann. Und so war es dann gekommen, dass man normalerweise in Frankfurt die Wahl vorgenommen hat. Der neue Herrscher dann rheinabwärts bis nach Aachen reiste und dort dann gekrönt wurde. So war der normale Ablauf bis Karl IV. kam, der dann es versucht hat zu ändern, mit Blick auf seinen Sohn Wenzel, den er noch installieren wollte. Und er bringt dann auf Betreiben des trierischen Erzbischofs und des Kölners die Idee auf zu sagen, wir bauen bei Rhens ein Bauwerk und dort wird von jetzt ab der neue König gewählt. Sie können sich vorstellen, die Frankfurter waren überhaupt nicht begeistert darüber, sahen ihre Pfründe, ihren Einfluss schwinden."
    Also, damals steht anfangs in Rhens nur ein hölzernes Podest für die internen Konferenzen der vier rheinischen Kurfürsten. Und dann wird hier ein massiver stein-gemauerter Königsstuhl eingeweiht. Und grade fertig kommt es im Jahre 1400 zum Eklat, zu einer Art Staatsstreich von Rhens. Oder wie Konrad Adenauer gesagt hätte, ein Abgrund von Landesverrat.
    "Die Situation ist folgende. Wenzel, der Sohn von Karl IV. ist römisch-deutscher König, ganz rechtmäßig gewählt und auch gekrönt. Ist aber zugleich auch König in Böhmen. Selbstverständlich kümmert er sich auch um sein böhmisches Königreich. Was aber dazu führt, dass auf der anderen Seite natürlich auch die rheinischen Kurfürsten, der westliche Reichsteil hier am Mittelrhein sich etwas vernachlässigt fühlen. Er ist nie hier. Das mittelalterliche Königtum basiert darauf, dass der König umherzieht, sich im Lande zeigt, Gerichtsfälle löst, vor Ort mit den Leuten spricht. Und somit seine Herrschaft dokumentiert. Das tut Wenzel aber nicht. So kommt dann sehr schnell der Vorwurf auf, er wäre faul, er würde auch bisschen viel trinken. Das ganze eskaliert dann so, dass ihn die Kurfürsten zwingen, zu einem vereinbarten Besprechungstag zu kommen, was Wenzel aber nicht macht. Daraufhin treffen sich vier der sieben Kurfürsten, also die Mehrheit, vier von sieben und beschließen in Oberlahnstein den König abzusetzen. Das ist etwas Ungeheuerliches, ist auch gar nicht vorgesehen in der Goldenen Bulle, dem Reichsrecht ... wer den König wählt, ist nicht festgelegt, dass ein König überhaupt abgesetzt werden kann. Aber genau das passiert hier. Und genau einen Tag später wird gegenüber in Rhens auf dem Königsstuhl ein neuer Kandidat gewählt und auch erhoben. Und das ist dann Ruprecht von der Pfalz. Nun ist dieser Ruprecht allerdings zugleich auch einer der vier Kurfürsten, wählt sich also quasi selbst. Und da es vier Stimmen sind von sieben ist die Wahl gültig. Damit ist die Sache entschieden", sagt Alexander Thon.
    Und irgendwann kommt das lukrative Geschäft der Königserhebung wieder nach Frankfurt. Die Vier von Rhens bleiben weiter voll im Geschäft. Und es werden wie in der Fußball-Bundesliga, immer höhere Umsätze bei der Wahl verdient. Und das Königsgestühl von Rhens gerät langsam in Vergessenheit. Das Weltkulturerbe am oberen Mittelrhein ist aber nicht nur ein Geschäft mit Romantik und Andenkenhandel und lecker was essen. Das Kulturerbe ist auch diese leider wenig bekannte Geschichtsepisode von Rhens.