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Richard Bolz: Großteil der Griechen unterstützt Reformprogamm

Die Reformen werden aus Griechenland mittelfristig ein modernes, wettbewerbsfähiges Mitglied der EU machen, sagt Richard Bolz, Leiter des Athener Goethe-Instituts. Der Unmut der Bevölkerung richte sich gegen die europäische Bevormundung, nicht gegen die Deutschen.

Richard Bolz im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 22.02.2012
    Sandra Schulz: Alle Beteiligten klopfen sich auf die Schulter, auch von US-Präsident Barack Obama kommt Lob nach der Einigung auf das zweite Hilfspaket für Griechenland mit Krediten und Garantien in Höhe von 130 Milliarden Euro und dem höchsten Schuldenschnitt aller Zeiten. Damit ist eine Pleite vorerst abgewendet. Aber Euphorie will sich bei den meisten Griechen nicht breitmachen, denn auch der griechische Preis ist hoch, mit Lohnkürzungen und Rentenkürzungen und drastischem Stellenabbau im öffentlichen Bereich. Darüber haben wir hier gestern Abend im Deutschlandfunk mit dem Leiter des Goethe-Instituts in Athen gesprochen, mit Rüdiger Bolz. Zuerst hat ihn mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann gefragt, ob die Verabredungen in Griechenland denn zumindest für ein wenig Erleichterung gesorgt hätten.

    Rüdiger Bolz: Es ist einerseits Erleichterung zu spüren, andererseits natürlich große, große Besorgnis bei denjenigen, die von den ziemlich drastischen weiteren Einsparungen unmittelbar betroffen sind.

    Dirk-Oliver Heckmann: Was ist denn da zu erwarten aus Ihrer Perspektive? Wer wird denn dort vor allem betroffen sein?

    Bolz: Es sind betroffen die Rentner, alle diejenigen, die steuerpflichtiges Einkommen beziehen, sind natürlich betroffen. Es sind betroffen, die um ihren Arbeitsplatz in der öffentlichen Verwaltung bangen.

    Heckmann: Viele sagen ja, dass die Reformmaßnahmen sozial nicht ausgewogen seien. Ist denn dann das aus Ihrer Sicht ein gerechtes Urteil? Denn wenn Sie gerade eben die Rentner ansprechen, da sind ja von Kürzungen nur Renten von über 1.300 Euro betroffen.

    Bolz: 1.300 Euro ist natürlich für griechische Verhältnisse schon auch eine sehr respektable Rente. Es sind Puffer da, das ist ganz klar, aber natürlich insbesondere junge Leute, wenn sie denn überhaupt einen Job finden und dann mit dem Mindesteinkommen vergütet wird, das jetzt wiederum abgesenkt wird, das ist bitter und das tut natürlich weh, aber bei 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit ist es natürlich noch mal fast das sekundäre Problem, das muss man auch wieder sagen.

    Heckmann: Immer wieder, Herr Bolz, sind Bilder zu sehen von brennenden deutschen Flaggen, Karikaturen mit Angela Merkel in SS-Uniform beispielsweise – gibt es eine wachsende Deutschenfeindlichkeit in Griechenland, spüren Sie das selber in Ihrer Arbeit auch?

    Bolz: Nein, wir spüren das überhaupt nicht. Also vielleicht kommt einmal im Monat eine dumme Mail, das ist aber wirklich alles. Die Nachfrage nach unseren Deutschkursen ist ungebrochen hoch, dass gleiche gilt für das Interesse an den Veranstaltungen. Gerade heute haben wir einen Workshop zwischen griechischen und deutschen Jugendlichen abgeschlossen, die gemeinsam Dokumentarfilme gemacht haben über ihr Leben eigentlich, das heißt "Fremdes Leben". Und wir spüren das nicht, ich behaupte ja ganz allgemein, dass es so was wie ein antideutsches Stereotyp oder Denkmuster gar nicht gibt, sondern der Unmut richtet sich gegen die Bevormundung, die Europäische Union als bevormundende Instanz, sage ich mal. Und da ist natürlich Deutschland als ökonomisch und politisch führendes Land dann am ehesten die Zielscheibe.

    Heckmann: Die Regierung, die amtierende Regierung Papademos, die hat sich auf ein Reformprogramm verpflichtet, das empfindliche Einschnitte vorsieht, wir haben gerade schon kurz darüber gesprochen. Denken Sie, dass er sich damit durchsetzen kann, auch gegen große Teile der Bevölkerung?

    Bolz: Die Frage ist, wie groß ist eigentlich der Teil der Bevölkerung, der diese Reform wirklich ablehnt. Wir sehen natürlich in den Medien gelegentlich Demonstrationen, auch große Demonstrationen, begleitet meistens dann auch noch von schwerer Randale, aber wenn man sich das genauer betrachtet, dann ist es eher ein kleinerer Teil der Bevölkerung, und das mediale Interesse richtet sich naturgemäß darauf. Wir haben …

    Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, dass die Mehrheit der Griechen diese Reformschritte mitgeht, und dass die Gefahr, dass die Regierung Papademos ihre Mehrheit verliert bei den anstehenden Wahlen, dass die gar nicht so groß ist.

    Bolz: Ich erwarte eigentlich von der bevorstehenden Wahl ein Zeichen für mehr Europa, und für Griechenland ein Zeichen, dass Griechenland in der Europäischen Union und auch beim Euro bleiben will und sogar ein aktiveres Mitglied wird, als es bisher war. Man kann das sehr schwer beziffern, weil die Umfragen, die ja auch von der Methodik her etwas anders stattfinden, als wir das in Mitteleuropa gewohnt sind. Aber wir registrieren den Unmut, das ist ganz klar. Ich behaupte, dass eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung weiß und auch überzeugt ist, dass Reformen unumgänglich sind, weil sie die Voraussetzung bilden für Investitionen und für Wirtschaftswachstum.

    Heckmann: Und diese Reformen sollen ja dazu führen, dass die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands ausgebaut werden soll, dass eine funktionierende und effiziente Bürokratie und auch ein gutes Steuersystem auch etabliert wird. Glauben Sie, zum Schluss gefragt, daran, dass es dazu kommen kann in Griechenland?

    Bolz: Ich glaube fest daran, und ich glaube auch, wenn man sich die letzten zwei Jahre ansieht, dass eben wirklich auch schon Schritte eingeleitet worden sind. Aber es gibt ein interkulturelles Missverständnis, und wir glauben halt in Deutschland oder auch in den großen Staaten der Europäischen Union, wenn ein Parlament etwas verabschiedet, dann beginnt sozusagen am nächsten Tag in den Ministerien das Räderwerk der Umsetzung. Und dieses ist hier keineswegs ein Automatismus und dauert viel länger, als wir das gewohnt sind und als wir das erwarten, und deswegen muss man angesichts des Zustands der öffentlichen Verwaltung in Griechenland einfach mehr Geduld haben als bisher.

    Heckmann: Und diese Geduld, die dürfte sich auch lohnen?

    Bolz: Die lohnt sich für alle Beteiligten, insbesondere für die Bevölkerung hier in Griechenland selber. Wenn in mittelfristig, ich sage jetzt mal in zehn, zwölf Jahren, ein heftig modernisiertes Land haben, wenn das Gesicht von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft grundlegend sich verändert hat und Griechenland wettbewerbsfähiges Mitglied der Europäischen Union ist, dann hat sich der Weg gelohnt.

    Schulz: Rüdiger Bolz, der Leiter des Goethe-Instituts in Athen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, die Fragen stellte mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.