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Richard Wagner: "Die Walküre"

Heute geht es um ein berühmtes Werk der Operngeschichte – um "Die Walküre" aus Richard Wagners kolossaler Tetralogie "Der Ring des Nibelungen". Vorstellen möchte ich einen bei Farao Classics erschienenen Live-Mitschnitt aus dem Nationaltheater München, aufgenommen bei den Münchner Opernfestspielen im Juli 2002; es spielt das Bayerische Staatsorchester unter seinem Chefdirigenten Zubin Metha.

Egbert Hiller | 19.01.2003
    Nun besteht auf dem CD-Markt nicht gerade ein "Walküren"-Mangel. Lohnt es also, den derzeit knapp 20 verfügbaren Gesamtaufnahmen eine weitere hinzuzufügen? Erste Aufschlüsse darüber mag, als eine Art Visitenkarte, das Vorspiel zum ersten Aufzug geben. * Musikbeispiel: Richard Wagner - aus: "Die Walküre" "Stürmisch" lautet die Vortragsanweisung, diffuse Getriebenheit und aufblitzende Fulminanz sprechen gleichermaßen aus dieser Eröffnung – und die Intensität, die die Interpreten sogleich erzielen, zieht mit erheblicher Sogwirkung in das Werk hinein. Eines derartigen Sogs bedarf es aber auch, denn schließlich folgen noch, verteilt auf vier CDs, gut dreieinhalb Stunden Musik. Die Handlung der "Walküre" ist im Kern eher unspektakulär. Zentrales Moment ist denn auch die allegorische Überhöhung des Inhaltlichen. Wagners Figuren sind der Kategorie von gut und böse weitgehend enthoben; ihr Schicksal entfaltet sich in mythischer Unerbittlichkeit, ohne dass sie ihre allzu menschlichen Dimensionen einbüßen würden: im Durchleben von Liebe, Leid und Tod ebenso wie in der finalen, breiten Raum einnehmenden Strafaktion des beleidigten Göttervaters Wotan, der seiner ungehorsamen Tochter Brünnhilde grollt. Die fruchtbare Ambivalenz zwischen großem pessimistischen Weltentwurf und allzu menschlichen Belangen stand schon bei der Komposition Pate. So verweist das Motiv der unerfüllbaren und an gesellschaftlichen Normen scheiternden Liebe auf Persönliches im Leben Wagners: nämlich auf seine Beziehung zu Mathilde Wesendonck, der Gattin eines wichtigen Gönners.

    In der "Walküre" ist es die Liebe des Geschwisterpaares Siegmund und Sieglinde, die die Gemüter erhitzt und unter den Vorzeichen eingeengter Entscheidungsspielräume zum Spielball unterschiedlicher Machtinteressen gerät. Der starke Eindruck, den bereits das Vorspiel dieser Neuaufnahme hinterlässt, setzt sich mit den Stimmen von Peter Seiffert als Siegmund und Waltraud Meier als Sieglinde nahtlos fort. Und Kurt Rydl formiert als Hunding mit düsterem Bass eine brisante Dreieckskonstellation. * Musikbeispiel: Richard Wagner - aus: "Die Walküre" Brünhilde und Wotan sind mit Gabriele Schnaut und John Tomlinson ebenfalls aus der allerersten Riege der Wagner-Interpreten besetzt. Schnaut glänzt mit furioser Strahlkraft ihres Soprans, was vor allem den heftigen Gefühlswallungen Brünnhildes zugute kommt. Und Tomlinson, der zur Zeit wohl begehrteste Wotan, zeigt noch kaum Anzeichen von Müdigkeit. In der niedergedrückten, vom Orchester sensibel intonierten Stimmung der zweiten Szene des zweiten Aufzugs werfen beide ihre enorme Wandlungsfähigkeit im Ausdruck in die Waagschale. * Musikbeispiel: Richard Wagner - aus: "Die Walküre" Eine tragende Rolle im Geschehen nimmt auch Fricka ein. Auf Machterhalt und Normbefriedigung ausgerichtet, stellt sie den Gegenpol zur hitzigen Brünnhilde dar. Die bereits Bayreuth-geprüfte japanische Mezzosopranistin Mihoko Fujimura, die für diese Produktion kurzfristig eingesprungen ist, gestaltet die Partie als wahren Ohrenschmaus. Gegenüber ihrem Göttergatten Wotan vertritt Fricka ihr Anliegen als Hüterin der Ehe mit einer subtilen Gratwanderung zwischen emotionalem Nachdruck und kühler Berechnung. * Musikbeispiel: Richard Wagner - aus: "Die Walküre" Hörenswert sind ebenfalls die Walküren, jene Götterbotinnen der germanischen Mythologie, die im Walkürenritt ihren fulminanten Auftritt haben. Doch trotz wühlender Bässe und schneidender Blechbläser bleibt auch in diesem Sturm das Element des Schleierhaften und Schwebenden untergründig erhalten. Selbst eine Paradenummer wie den Walkürenritt stilisieren die Interpreten eben nicht zum isolierten, künstlichen Höhepunkt, sondern fügen ihn homogen ins Gesamtgewebe ein. * Musikbeispiel: Richard Wagner - aus: "Die Walküre" Zubin Metha und das Bayerische Staatsorchester präsentieren "Die Walküre" aus einem Guss. Sie erzeugen eine Klanglichkeit, in der das Drama der Figuren gleichsam in einer elektrisierenden Atmosphäre des Fließens und der Auflösung aufgeht. Darin liegt, neben der durchweg überzeugenden orchestralen Klangkultur und den gesanglichen Spitzenleistungen, der Hauptgrund, warum diese Aufnahme trotz der üppigen Konkurrenz bereits vorliegender Einspielungen unbedingt lohnt; zumal der Live-Mitschnitt dank perfektionierter Tontechnik in puncto Klangqualität mühelos mit jeder Studioproduktion mithalten kann. Der besonderen Verpflichtung der Bayerischen Staatsoper gegenüber Wagners "Walküre", die im Juni 1870 in München uraufgeführt wurde, sind die Interpreten also in jeder Hinsicht gerecht geworden. Wer diese Neuaufnahme gleichsam bebildert erleben will – in der Inszenierung des im vergangenen Jahr verstorbenen Regisseurs und Bühnenbildners Herbert Wernicke –, dem sei die ebenfalls bei Farao Classics erschienene DVD empfohlen.

    Hören Sie nun noch die abschließende Anrufung des Feuergottes Loge, der Brünnhilde auf Wotans Geheiß mit einem vermeintlich undurchdringlichen Flammenring umgibt. * Musikbeispiel: Richard Wagner - aus: "Die Walküre"