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Grünen-Grundsatzprogramm
"Die Grünen wollen sich fit machen für eine Regierungsbeteiligung"

Das Grundsatzprogramm der Grünen sei prinzipiell in Richtung Schwarz-Grün offen, sagte Politologe Jürgen Falter. Die Partei werde sich aussuchen, was am besten für sie sei. "Wenn sie den Kanzler stellen können, werden sie selbstverständlich Grün-Rot-Rot machen", sagte er im Dlf.

Jürgen Falter im Gespräch mit Peter Sawicki | 27.06.2020
Auf dem Bundesparteitag der Grünen stimmen die Delegierten mit Stimmkarten ab.
Die Zeit der Grünen als Beiboot der Volksparteien soll vorbei sein, sie wollen nun selbst an die Spitze, sagte Politologe Jürgen Falter im Dlf. (dpa / picture alliance / Guido Kirchner)
Die CoronaKrise hat den Höhenflug der Grünen gestoppt. Nun wollen sie mit neuem Grundsatzprogramm wieder angreifen. Darin fordern sie autofreie Innenstädte, 100 Prozent erneuerbare Energien und neue Bündnisse. Die Grünen fordern in ihrem Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm den Schutz ein schnelles Handeln. So könne man kommenden Generationen ein Leben in Freiheit, Würde und Wohlstand ermöglichen, heißt es in dem Entwurf, den die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck vorstellten. Ausdrücklich wollen die Grünen ihr neues Programm auch als eine "Einladung für neue Bündnisse" verstehen, ohne dass diese genauer definiert werden. "Alleine schafft es niemand", heißt es in dem Text. "Wir verstehen es als unsere Aufgabe, gemeinsam die Umbrüche zu gestalten." Der Programmentwurf soll in den nächsten Monaten diskutiert und im Herbst von einem Parteitag beschlossen werden. Das bisherige Grundsatzprogramm stammt aus dem Jahr 2002.

Peter Sawicki: Herr Falter, führt an Schwarz-Grün ab dem kommenden Jahr überhaupt noch ein Weg vorbei?
Jürgen Falter: Ja, natürlich. Das Grundsatzprogramm, das ist ja ein Entwurf, der auch noch geändert werden wird. Das Grundsatzprogramm ist prinzipiell nach beiden Seiten hin offen, das heißt nach links wie nach rechts von den Grünen aus gesehen. Es enthält einige sozialdemokratische Grundsätze, und andererseits öffnet es sich stärker der Realität der Industriegesellschaft, der Technologie, das heißt, es kann nach beiden Seiten angeknüpft werden.
Die Grünen werden sich aussuchen, was am besten für sie ist. Wenn sie den Kanzler stellen können, werden sie selbstverständlich Grün-Rot-Rot machen.
"Das Grundsatzprogramm wendet sich an viele"
Sawicki: Trotzdem, wenn wir mal kurz auf die möglichen Gemeinsamkeiten eingehen, kann man trotzdem sagen, dass sich die CDU und Grüne oder Union und Grüne angenähert haben seit 2017?
Falter: Es ist leichter und wird leichter durch das Grundsatzprogramm, wenn alles so durchkommt, wie es im Augenblick da steht. Dass die Grünen beispielsweise in einem Grundsatzprogramm die Notwendigkeit der NATO explizit anerkennen, ist ja schon etwas, was man 1980 folgende niemals erwartet hätte.
Oder dass die Grünen prinzipiell technologieoffen sind, dass sie sagen, Technologien sind nicht an sich schlecht wie etwa die Gentechnologie, sondern man muss gucken, was rauskommt dabei. Das sind schon Öffnungen, die durchaus auch dann es ermöglichen, mit der CDU enger zusammenzugehen.
Sawicki: Und wenn wir uns dann mal ein bisschen genauer die Eckpunkte des Grundsatzprogramms anschauen – Sie haben jetzt schon ein paar aus Ihrer Sicht bemerkenswerte Akzente da genannt –, was sticht da trotzdem ganz besonders aus Ihrer Sicht ins Auge?
Falter: Ich glaube, ganz besonders sticht ins Auge, dass bestimmte grüne Urthemen in diesem Grundsatzprogramm, wenn überhaupt, sehr vorsichtig angepackt werden. Ich habe die Gentechnologie erwähnt, das ist ja tatsächlich ein Thema, das hoch umstritten ist, auch innerhalb der Grünen. Man könnte auch etwa die Homöopathie nehmen, wo etwa steht, Arzneimittel sollen nur von den Kassen finanziert werden, wenn es Evidenz gibt, wenn es offensichtlich ist, dass sie wirklich wirken, was ja streng genommen eine Absage an Globuli ist.
Das scheint mir sehr interessant zu sein, andererseits aber auch die sagen wir mal eher sozialdemokratisch orientierten Positionen wie höhere Steuereinnahmen, wie Vermögens- und Erbschaftssteuer, die erhöht werden sollten oder angepasst werden sollten. Mit anderen Worten: Das ist ein Programm, das sehr verträglich klingt, das aber in vielem doch unentschieden ist.
Sawicki: Sollen da jetzt – zum Beispiel beim Stichwort Sozialpolitik –, soll da zum Beispiel auch ganz gezielt bei SPD-Wählern geworben werben, bei potenziellen?
Falter: Ja, die Grünen stellen sich … Sie sagen zwar, das ist die Alternative zur Volkspartei, aber sie wollen eigentlich nichts lieber selber werden, wenn ich das aus dem Programm richtig rauslese – also eine ganz breit aufgestellte Partei, die eben wählbar ist für Wähler aller Schichten, aller Regionen, aller Konfessionen, und auf diese Weise eben dann doch eine Partei, die auch gerne Stimmenmaximierung hätte, also das bestmögliche Ergebnis. Und das Grundsatzprogramm ist ein bisschen so gestrickt, dass es eben sich an viele wendet, ohne allzu viel zu verprellen.
"Sie wollen eigentlich nichts sehnlicher, als regieren"
Sawicki: Also ist das auch ein klarer Anspruch aus Ihrer Sicht, um an der neuen Bundesregierung zumindest teilzunehmen?
Falter: Das ist ein ganz klarer Anspruch, da steckt ein Führungsanspruch drin. Auch die Tatsache, dass man sich breiter aufstellt als früher, dass man eben nicht die Umwelt, die Umweltpolitik ins Zentrum stellt, sondern als eine von vielen Politikfeldern behandelt, wenn auch einem sehr wichtigen, das deutet schon sehr darauf hin, dass die Grünen sich fit machen wollen für eine Regierungsbeteiligung. Sie wollen eigentlich nichts sehnlicher, denn regieren heißt gestalten können. Opposition heißt eigentlich nur, die Gestaltung anderer beklagen können.
Sawicki: Haben Sie das richtige Personal dazu?
Falter: Ich glaube schon. Die Grünen haben relativ gute Personalpolitik betrieben, und ob jemand kanzlerfähig ist oder nicht, das ist eine zweite Frage. Das lassen die Grünen ja auch offen bisher, ob sie überhaupt mit einem Kanzlerkandidaten oder einer Kanzlerkandidatin dann in den Wahlkampf gehen, aber sie haben doch eine Reihe von sehr qualifizierten Leuten und müssen sich nicht vor den anderen Parteien, vor den beiden anderen großen Parteien verstecken.
Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Uni Mainz (picture alliance / Erwin Elsner)
Sawicki: Auch an der Spitze das richtige Personal?
Falter: Ob es das richtige ist, das wird sich erst rausstellen, wenn man eben nicht mehr in der Opposition steht, sondern in der Regierung, aber …
Sawicki: Mit Blick auf einem möglichen Wahlkampf.
Falter: Aber als Wahlkämpfer sind Habeck und Baerbock nicht zu unterschätzen, ganz im Gegenteil.
Sawicki: Diese beiden Parteivorsitzenden, die haben ja nun auch gestern parallel quasi zur Vorstellung der Eckpunkte des Grundsatzprogramms auch der CDU in einem Gastbeitrag dann gratuliert zum 75. Geburtstag. War das Zufall, dass beides am selben Tag stattfand, also auch das Grundsatzprogramm am selben Tag vorgestellt wurde?
Falter: Ich glaube, das war schon inszeniert, das war, glaube ich, bewusst herbeigeführt, und die Gratulation war ja auch ironisch zum Teil.
Sawicki: Inwiefern?
Falter: Na ja, gut, indem einige Zungenschläge drin waren, wo man vermuten konnte, dass sie vielleicht nicht ganz so ernst gemeint waren oder gönnerhaft formuliert waren – die CDU, eine ungeheuer bedeutungsvolle, wichtige Partei und so weiter und so fort. So etwas hätten früher grüne Spitzenpolitiker vermutlich auch nicht in dieser Form, in dieser Formulierung gesagt.
"Das ist eine Avance an die CDU, ohne Zweifel"
Sawicki: Wenn da zum Beispiel die Rede ist von der CDU, die sozusagen die Grundversorgung im Kanzleramt stellt oder das Bayern München der Politik sei in Deutschland, ist das aus Ihrer Sicht auch ironisch zu verstehen?
Falter: Das habe ich genauso verstanden, das ist ein lockerer Zungenschlag, und ja, die Grundversorgung im Kanzleramt, die hätte man eigentlich am liebsten für sich selber. Das sagt man nur nicht so deutlich, weil die CDU im Augenblick natürlich viel stärker ist. Aber tatsächlich ist es wohl ein Wettkampf, den man vor Augen hat, zwischen den Unionsparteien und sich selber, den Grünen, und die SPD spielt da gar nicht mehr so eine große Rolle.
Sawicki: Aber Baerbock und Habeck haben da ja zum Beispiel auch geschrieben, Zitat: "Was uns eint, ist die Vorstellung, als Parteien ein Zusammenschluss ganz unterschiedlicher Menschen und Gruppen zu sein." Kann man das nicht auch als Avance verstehen?
Falter: Das ist eine Avance, ohne Zweifel, allerdings eine Avance in Konkurrenz, denn was uns eint, ist, dass wir sozusagen ein Zusammenschluss ganz vieler verschiedener sein wollen. Aber das bedeutet ja auch, dass man selbst möglichst viele von diesen verschiedenen Personen zu sich rüberziehen will, es ist nicht als eine reine Anpassung zu verstehen.
Sawicki: Wenn wir umgekehrt auf die Union schauen, da ist heute zum Beispiel zu lesen, dass Friedrich Merz – einer der Kandidaten bekanntlich für den CDU-Vorsitz, dann auch ein möglicher Kanzlerkandidat –, dass er sich durchaus für Schwarz-Grün ausspricht. Ist das also auch eine Schlussfolgerung dessen?
Falter: Friedrich Merz denkt natürlich an seine Kandidatur zuerst, und er hätte eigentlich auch nur eine Chance tatsächlich wohl als Kanzler einer schwarz-grünen Koalition. Mit der FDP wird es nicht reichen, wofür er ja sozusagen der natürliche Kanzlerkandidat wäre. Er steht aber dabei in harter Konkurrenz zu Laschet, der ja auch für Schwarz-Grün stünde. Insofern ist Merz in die Offensive gegangen, mehr kann man nicht sagen, und ich glaube, er sieht auch Schwarz-Grün als die einzige mögliche Koalitionsalternative für die Unionsparteien – nicht für die Grünen, die haben möglicherweise auch noch andere Karten im Spiel.
Sawicki: Also eine Vernunftkoalition dann am Ende, wenn es dazu kommt?
Falter: Koalitionen sind fast immer Vernunftkoalitionen, Liebeskoalitionen gehen selten gut aus, wie man vielleicht bei der CDU/FDP-Koalition unter Westerwelle sehr gut sehen kann. Insofern glaube ich, sind Vernunftkoalitionen wie Vernunftehen vielleicht sogar die haltbareren.
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