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Ringen um die EU-Fiskalunion

Im geplanten europäischen Fiskalpakt wollen sich die Länder verbindlich zu mehr Haushaltsdisziplin verpflichten. Wenn das Staatsdefizit zu hoch ist, folgen nicht mehr nur Mahnungen aus Brüssel, sondern ein EU-Strafverfahren. Heute beginnen in Brüssel die Verhandlungen über Form und Inhalt.

Von Volker Finthammer | 06.01.2012
    Es sind wieder einmal die Tage und Wochen, in denen die Sherpas gefragt sind. Nikolaus Mayer-Landrut etwa, der Europaexperte im Kanzleramt oder Michael Clauß, der Leiter der Europaabteilung im Außenamt. Nach den Eckpfeilern, die die Staats und Regierungschefs der 17 Länder der Eurozone Anfang Dezember ausgehandelt haben, sollen sie mit ihren europäischen Kollegen jetzt für den konkreten Vertragsentwurf für die Fiskalunion sorgen, der bis zum nächsten EU Gipfel am 30. Januar ausformuliert vorliegen soll.

    "Wir haben uns dafür entscheiden, mehr Verantwortung an Gemeinschaftsinstitutionen zu geben, an die Kommission, an den europäischen Gerichtshof, und uns als Mitgliedsstaaten stärker in die Pflicht nehmen zu lassen - zum Wohle des Euro insgesamt. Das ist genau das, was die Stabilitätsunion, was die Fiskalunion ausmacht."

    … hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Gipfel in Dezember erklärt. Bei einem ersten Treffen der Sherpas kurz vor Weihnachten wurde ein achtseitiger Entwurf für die Fiskalunion begutachtet und nicht wenige Änderungswünsche eingebracht. Nach dem Rückzug des britischen Premierminister David Cameron verhandeln die 17 Staaten der Eurozone gemeinsam mit den neun weiteren EU Ländern einen eigenständigen zwischenstaatlichen Vertrag, der erst zu einem späteren Zeitpunkt in das allgemeine Recht der EU überführt werden soll.

    Kernpunkte sind verbindliche Schuldengrenzen, die verfassungsrechtlichen Rang in den einzelnen Staaten bekommen sollen, und deren Glaubwürdigkeit vom europäischen Gerichtshof überprüft werden kann. Verletzen die Staaten die Defizitkriterien, treten automatische Sanktionen in Kraft, die nur mit einer qualifizierten Mehrheit gestoppt werden können.

    Doch die konkrete Umsetzung wirft neue Probleme auf. Die Bundesregierung drängt auf eine enge Verknüpfung mit dem dauerhaften europäischen Rettungsschirm ESM. "Das würde verdeutlichen, dass Solidarität untrennbar mit Solidität zusammenhängt", hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärt und damit eine Kernaussage der Kanzlerin nur anders formuliert: Keine Leistung ohne Gegenleistung. Das, so fürchten andere, könnte jedoch zu Verzögerungen für den Rettungsschirm führen, der eigentlich schon im Frühsommer in Kraft treten soll.

    Der Vertrag muss aber von allen Staaten ratifiziert werden. Um das Verfahren zu beschleunigen, sollte dem ersten Entwurf zufolge der Vertrag bereits in Kraft treten können, sobald neun Staaten zugestimmt haben Auch dagegen regte sich Kritik. Jetzt sollen es mindestens 15 Staaten sein. Außerdem soll nach spätestens fünf Jahren geprüft werden, ob und wie der neue Vertrag in das Gemeinschaftsrecht der EU überführt werden kann. Und nicht zuletzt soll die EU-Kommission in der praktischen Umsetzung und Kontrolle ein größeres Gewicht bekommen.

    "Die Botschaft heißt: Wenn wir eine gemeinsame Währung haben, müssen wir akzeptieren, dass Gemeinschaftsinstitutionen auch Verantwortung haben, wenn man sich an die gemachten Verabredungen nicht hält. Innerhalb dieser Verabredungen hat jeder seine Budgethoheit, aber wenn er sich an diese Verabredungen nicht hält, dann muss durchgegriffen werden - und das wird jetzt Schritt für Schritt Realität."

    … hatte Angela Merkel bereits Anfang Dezember erklärt. Aber Frankreich hatte sich lange gegen eine gewichtige Rolle der EU-Kommission gewehrt. Mit dem neusten Entwurf wagt Ratspräsident Hermann van Rompuy einen weiteren Versuch, dies umzusetzen. Aber dem heutigen Treffen werden mindestens noch zwei weitere Verhandlungsrunden folgen, und verabschiedet werden soll der neue Vertrag ohnehin erst auf dem EU-Gipfel Anfang März.