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Ringen um Identität
Warum Polen den Minderheiten-Status will

Sie sind Spätaussiedler oder Asylanten, Nachkommen von Gastarbeitern oder Zwangsarbeitern: Rund zwei Millionen Polen leben heute in Deutschland. 25 Jahre nach Verabschiedung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags will Polen sie endlich als Minderheit anerkennen lassen - doch was genau steckt hinter dieser Forderung?

Von Melanie Longerich | 16.06.2016
    Deutsche und polnische Fahne auf dem Rasen
    Die Deutschen in Polen sind als Minderheit anerkannt – die Polen in Deutschland sind es nicht. Eine Asymmetrie, die immer wieder für Reibungen sorgte und die der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag beheben sollte. (picture alliance / ZB / Patrick Pleul)
    In der kleinen Küche des polnischen Restaurants Gdanska - auf Deutsch Danzig - ist Stress. Schnitzel braten in der Pfanne, unzählige Töpfe dampfen auf dem Herd.
    "Das sind Bratkartoffel, Pieroggi und Geflügelleber."
    Seit 15 Jahren betreibt das Ehepaar Maria und Czeslaw Golebiewski ihr polnisches Restaurant und Kulturcafé.
    "Wir haben uns einen Emigrationsort geschaffen."
    Gdansk - Danzig: In dieser Stadt im Norden Polens hat sich das Ehepaar Golebiewski kennen gelernt. Der Vater ihres Mannes Czeslaw hatte deutsche Wurzeln und so war es ihnen möglich, vor 26 Jahren als Spätaussiedler nach Deutschland auszuwandern.
    Die Polonia - die Gruppe der Auslandspolen - ist in Deutschland sehr heterogen
    Rund zwei Millionen Polen leben heute hier – die meisten in Nordrhein-Westfalen. Über 564.000 polnisch-stämmige Einwohner haben sich vor allem im Ruhrgebiet niedergelassen. Die Polonia – also die Gruppe der Auslandspolen - ist in Deutschland sehr heterogen.
    "Der eine ist Enkel des Gastarbeiters, der schon in der vierten Generation hier lebt, dann der Nachwuchs von denen, die hier Zwangsarbeiter waren, dann gibt es auch Asylanten, dann gibt es Spätaussiedler und dann gibt es auch EU-Mitbürger."
    Redet die Politik über Probleme bei der Integration – dann gehe es nie um Polen, betont Maria Golebiewski. Kultur und Mentalität – da sieht sie keine großen Unterschiede:
    "Wenn man auch die Gerichte vergleicht, dann hat meine Mutter auch das gleiche gekocht wie eine Oma in Deutschland. Und wenn wir uns unterhalten, da kommen wir zu vielen Gemeinsamkeiten. Was mir aber Sorgen macht, dass die Polen sich so gerne assimilieren, dass sie unauffällig sind, ich will doch hier gut leben, will integriert sein, aber ich kann jetzt auch meine Identität behalten."
    Polnische Identität in Deutschland bewahren
    Die polnische Identität in Deutschland zu bewahren - darüber wird auf höchster Ebene gestritten. Denn seit in Polen die nationalkonservative Partei PiS wieder das Sagen hat, wird auch die Forderung wieder laut, die Polen in Deutschland als Minderheit anzuerkennen. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren die Polen schon einmal Minderheit.
    Beim Boom des Steinkohlebergbaus waren vor 150 Jahren viele auf der Suche nach Arbeit aus den damaligen deutschen Ostprovinzen ins Ruhrgebiet gekommen – und geblieben. Ein Minderheiten-Status, den ihnen die Nazis nahmen; woran sich auch nach der Nazizeit nichts änderte. Thorsten Klute, Staatssekretär für Integration im Düsseldorfer Sozialministerium erklärt:
    "Rechtlich wird das nicht möglich sein, weil auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands keine polnischen angestammten Siedlungsgebiete da sind. Oder wenn man den Begriff Siedlungsgebiete weit dehnt, das 'angestammt sein' weit dehnt und auf die Zeit der sogenannten Ruhrpolen beruft. Da haben wir dann nur sehr wenige, die sich davon noch heute als Polen bezeichnen würden."
    Die Deutschen in Polen sind als Minderheit anerkannt – die Polen in Deutschland sind es nicht. Eine Asymmetrie, die immer wieder für Reibungen sorgte und die der deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, der am morgigen Freitag vor 25 Jahren verabschiedet wurde – beheben sollte. Dort wurde vereinbart, dass die Polen in Deutschland und die deutsche Minderheit in Polen bei der Pflege ihrer Kultur und Sprache unterstützt werden sollen. Vor fünf Jahren wurde noch einmal nachgebessert. Als Ausgleich für die Verwehrung des Minderheitenstatus verpflichtete sich Deutschland, in Bund und allen Bundesländern Ansprechpartner der Polonia einzurichten. In NRW ist das Thorsten Klute:
    "Uns ist wichtig, dass wir den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag gut umsetzen, nämlich dass Eltern, die wollen, dass ihre Kinder in der Schule Polnisch lernen können, idealerweise im Regelunterrichtsfach bis hin zum Abitur. Das ist meiner Erfahrung auch etwas, was die Polen, die heute aus Deutschland zuwandern, wichtiger wäre als ein formaler Minderheitenstatus."
    Polnische Dachverbände in Deutschland wollen den Minderheitenstatus
    Den polnischen Dachverbänden in Deutschland, fünf an der Zahl, ist das aber zu wenig. Jozef Malinowski, Vorsitzender des Verbands der Polen in Deutschland, kurz Rodlo, gilt als einer der Hauptkritiker. Er findet es gut, dass die Regierung in Warschau seinen Verband jetzt wieder stärker unterstützt:
    "Wir müssen uns immer projektweise um Unterstützung bemühen, und wenn wir diesen Status der Minderheit bekämen, hätten wir diese Probleme nicht."
    Unterstützung für polnische Kultur- und Sprachprojekte, die ist bei der Staatsministerin für Kultur und Medien angesiedelt. Rund 300.000 Euro stehen den polnischen Organisationen in Deutschland dafür jährlich zur Verfügung. Doch den wenigsten Polen kommen die Gelder zugute, denn die meisten sind nicht in polnischen Dachverbänden organisiert – es gibt keine offiziellen Mitgliedszahlen, erzählt Andreas Hübsch, wohl aus gutem Grund, vermutet er.
    Dortmund. Industriegebiet. Andreas Hübsch, Herausgeber der polnischsprachigen Zeitung Samo Zycie, öffnet die Tür. Für den 43-Jährigen, der mit 16 Jahren als Spätaussiedler nach Deutschland kam, ist die Forderung nach dem Minderheitenstatus ein Vehikel: Von der polnischen Regierung – um neues Salz in die offenen Wunden der Beziehungen zu streuen, von den Verbänden, um auf ihre finanzielle Lage aufmerksam zu machen.
    EU-Freizügigkeit bringt Frage nach Minderheitenstatus neuen Auftrieb
    Hübsch hatte lange geglaubt, das Thema, sich zu einer polnischen Identität zu bekennen, sei durch. Doch seit der EU-Freizügigkeit bekommt es mit den vielen jungen Polen, die nach Deutschland kommen, neuen Auftrieb, wenngleich in anderer Färbung. Die Polen, die neu hier sind – sind in ihrer Identität klar: Sie sind Polen.
    "Und sie haben auch die polnische Tür für die Spätaussiedler geöffnet, denn in den 90er-Jahren war es häufig gang und gäbe, lieber kaputtes Deutsch laut zu reden als polnisch. Das hat sich in den 2000er-Jahren radikal geändert, da hören sie viel mehr Polnisch auf der Straße, von denen die hier schon länger wohnen."
    Langsam käme da eine Generation zum Tragen, die doch mehr Beachtung haben möchte:
    "Man vergleicht sich mit der zahlenmäßig größten Community in Deutschland, mit den Türken, die mittlerweile auf verschiedenen Ebenen Vertreter haben. Mittlerweile ist das Selbstbewusstsein auch so weit, dass man mehr gesehen werden möchte."
    Auch im Gdanska ist das immer wieder Thema. Karolina lehnt sich über den Tresen und gibt ihre Bestellung durch. Seit fünf Jahren arbeitet Karolina als Kellnerin im Gdanska, hier hat sie Deutsch gelernt, in diesem Herbst beginnt sie mit ihrem Studium. Sie will bleiben, ihr gefällt es: die Diskussion um den Minderheitenstatus? Für sie kein Thema:
    "Man sollte sich nicht so begrenzen, das ist etwas, was man gar nicht braucht, man ist sowieso in der EU, da gibt es keine Unterschiede."