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Rio 2016
Olympische Zahlenspiele

Die Organisatoren der Olympischen Sommerspiele 2016 betonen: ein Großteil der Baufinanzierung sei privat, alle Kosten seien transparent - so auch beim zukünftigen olympischen Dorf. Unser Autor hat genauer hingeschaut und ist auf Kosten gestoßen, die am Ende doch beim Bürger hängen bleiben könnten.

Von Carsten Upadek | 02.08.2015
    Blick auf die Baustelle des zukünftigen olympischen Dorfs in Rio de Janeiro.
    Beste Lage: das zukünftige olympische Dorf in Rio de Janeiro. (Carsten Upadek)
    Das zukünftige olympische Dorf wirkt wie eine Filmkulisse, die fast fertig ist für die große Show. 17-stöckige Apartmentblocks stehen optisch gefällig um einen kleinen Park herum. Teilweise sind sie noch mit Schutznetzen verhangen. Die Blöcke und der Park sind menschenleer, sieht man von den Arbeitern ab, die Hecken pflanzen und der Gruppe Journalisten, die Maurício Cruz durch die Anlage führt. Er ist der Generaldirektor von "Ilha Pura", dem Immobilien-Großprojekt, das während der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2016 Sportler aus 200 Ländern beherbergen wird. Die Investoren hätten hier größtmögliche Anstrengungen unternommen, so Cruz:
    "Sie wollten etwas zurückgeben an Rio de Janeiro und an Brasilien. Hier werden 18.000 Athleten sein, die keine Zeit haben werden für Christus-Statue und Zuckerhut. Das Postkartenmotiv, das sie mit nach Hause nehmen werden, wird hier auf diesen 800.000 Quadratmetern entstehen."
    Luxusappartements in bester Lage
    Nach den Spielen sollen hier private Eigentümer einziehen. Der Verkauf der 3604 Apartments hat schon begonnen. Geschätzter Gesamtwert: gut 1,2 Milliarden Euro. Die Penthaus-Wohnungen kosten pro Stück mehr als ein Million Euro. Aber es geht auch günstiger, sagt Maurício Cruz: "Der mittlere Preis für ein Apartment liegt bei 1,2 Millionen Reais." Das sind etwa 310.000 Euro. Der Preis hat nicht nur mit der Ausstattung der Luxuswohnungen zu tun, sondern auch mit der Lage von Ilha Pura. Die Anlage befindet sich im Strandviertel Barra da Tijuca, dem Boomviertel von Rio de Janeiro. Der Herr über die Region ist der 90-jährige Bauunternehmer Carlos Carvalho Hosken. Ihm gehören die meisten Baugrundstücke hier. Für das größte Projekt, Ilha Pura, schloss er sich mit Odebrecht zusammen, Brasiliens Marktführer in der privaten Bauwirtschaft. Das Konsortium gewann die Caixa Econômica Federal, eine öffentliche Bank, um den Großteil der Finanzierung zu übernehmen. Generaldirektor Maurício Cruz:
    "Wir haben einen Standard-Vertrag. Die Caixa Econômica Federal ist eine Bank, die 90 Prozent des nationalen Immobilienmarktes finanziert. Das ihr Hauptgeschäftsfeld. Der einzige Unterschied ist, dass der Zeitrahmen der Finanzierung etwas größer ist, weil der Zeitraum lange dauert, bis das Projekt konstruiert und verkauft ist."
    Die Caixa bezahlte 610 der 770 Millionen Euro Baukosten. Das sei eine Privatinvestition, in der keinerlei öffentliche Gelder steckten, versichert der Generaldirektor. Das sieht Jorge Borges ganz anders. Borges ist Geograf und technischer Referent der linken Opposition im Landtag von Rio de Janeiro. Die Caixa Econômica Federal sei schließlich eine hundertprozentige Staatsbank, sagt er.
    "Sie nutzt öffentliches Geld! Oft sogar Sicherheitseinlagen wie den Arbeiter-Unterstützungsfonds oder den Arbeits-Ausfallfonds. Das sind die Ersparnisse der brasilianischen Arbeiter, die für diese Projekte bürgen!"
    Intransparente Finanzierung
    Und damit meint Borges nicht allein das Projekt Ilha Pura. Welche Mittel der über zehn Milliarden Euro für die Spiele sind also wirklich privat und welche dann doch öffentlich? Und das ist nicht die einzige offene Frage. Eine andere: Warum wurde Ilha Pura ausgewählt, um das Olympische Dorf zu beherbergen? Nicht nachvollziehen kann die Wahl zumindest der brasilianische Bundesrechnungshof. Er schreibt im September 2014, die Entscheidung für Ilha Pura sei eine "politische, die später beurteilt werden müsse." Welche politische Entscheidung, lässt der Rechnungshof jedoch offen. Für Jorge Borges ist es kein Zufall, dass die Bauunternehmen Carvalho Hosken und Odebrecht zu den bedeutendsten Spendern der Regierungspartei in Rio gehören. Die Verbindungen seien "sehr eng", sagt er: "Das ist ein großer Club, der das Land regiert und auch die Stadt Rio de Janeiro."
    Laut Rechnungshof fehlten "Ilha Pura" die typischen Charakteristiken eines Olympischen Dorfes, neue Regionen einer Stadt zu beleben oder öffentlichen Raum zu schaffen, denn Barra da Tijuca sei ohnehin die am stärksten wachsende Region in Rio. Der Preis könnte eine Rolle gespielt haben: zur Zeit der Kandidatur um die Spiele 2009 garantierte Carvalho Hosken, die Athleten für maximal 18,9 Millionen US-Dollar unterbringen zu wollen - das waren damals etwa 13 Millionen Euro. Von dieser Rechnung will "Ilha Pura"-Generaldirektor Cruz heute nichts mehr wissen: "Die Kalkulation war ein Irrtum! Das ist fünfmal weniger als notwendig."
    "Sehr lukratives Geschäft"
    Als notwendigen Betrag erachtet sein Konsortium heute fast 70 Millionen Euro. Den Vertrag dazu unterschrieb Brasiliens Organisationskomitee. Das Papier gestattet ihnen unter anderem, die Apartmentblöcke fast anderthalb Jahre statt sechs Monate zu nutzen. Stellt sich die Frage, wozu das Komitee bis neun Monate nach Ende der Spiele Luxuswohnungen benötigt? Der Rechnungshof spricht in einem technischen Bericht diese Woche, der dem Deutschlandfunk vorliegt, von einem "sehr lukrativen Geschäft" für Ilha Pura. Dem widerspricht Rios OK-Vize Leonardo Greyner und begründet die Monate mit Rückbauten nach den Paralympics:
    "Es gibt keine Verschwendung von öffentlichen Geldern im olympischen Dorf. Unsere Nutzung des Dorfes wird bezahlt von unseren Einnahmen, die total privat sind, sie kommen von Sponsoren, den Eintrittskarten, Lizenzen. Es gibt kein öffentliches Geld, das im olympischen Dorf ausgegeben wird."
    Es sei denn, das Organisationskomitee würde mehr ausgeben als es einnimmt. Dann müsste der brasilianische Staat einspringen, der für das Komitee bürgt. Das verhindern soll Brasiliens Rechnungshof. Doch die Kontrolleure beklagen eine mangelnde Kooperation des Organisationskomitees. Angeforderte Dokumente zu Einnahmen im Verhältnis zu den Verträgen kämen gar nicht oder erst nach diversen Nachfragen. In seinem technischen Bericht am 29. Juli schreibt das Organ, es könne noch keine Schlüsse über Angemessenheit und Wirtschaftlichkeit des OK ziehen.
    "Wir können nicht einfach alle Verträge teilen, weil wir dann Klauseln der Verträge brechen würden", sagt OK-Vize Leonardo Greyner. "Und das haben wir dem Rechnungshof erklärt. Aber alle unsere Informationen sind öffentlich. Wir haben kein Problem damit, unsere Daten zu teilen, unsere Ausgaben, den Finanzrahmen."
    Kleiner Zahlenunterschied
    Seine wirtschaftliche Bilanz für das Jahr 2014 hat das OK jedenfalls bisher nicht veröffentlicht. Das habe aber mit dem internen Prüfungsausschuss zu tun, der einige Revisionen vornehme, so Greyner. Schaut man sich das Budget des Organisationskomitees an, waren da bisher sieben Milliarden Reais veranschlagt. Dem Deutschlandfunk bestätigte Greyner nun eine Erhöhung: "Unser Budget liegt bei 7,5 Milliarden Reais und dabei bleibt es bis zum Ende der Spiele!"
    Dieser kleine Zahlenunterschied hinter dem Komma bedeutet Mehrkosten von umgerechnet 133 Millionen Euro auf einen Bedarf von 2 Milliarden Euro. Und das ist nicht alles: Dem Rechnungshof liegen Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass das OK durch anstehende Kosten weitere 350 Millionen Euro von der Regierung benötigen werde, um seinen Haushalt auszugleichen. Der erhöhe sich damit auf 2,32 Milliarden Euro schlussfolgert der Rechnungshof in seinem technischen Bericht. Wie die zusätzlichen 350 Millionen als Privatinvestition umdeklariert werden können, bleibt abzuwarten. Jorge Borges ist sich sicher: den Verantwortlichen werde schon etwas einfallen.