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Rio de Janeiro
Eine Hafenanlage als Kultur- und Museumsmeile

Der alte Hafen in Rio de Janeiro soll von einer lange vernachlässigten Gegend zu einem neuen Schmuckstück der Stadt werden. Zwei Museen finden in dem neuen Viertel Platz. Allerdings geht die Sanierung zulasten alteingesessener Bewohner.

Von Peter B. Schumann | 09.06.2014
    Blick auf die Stadt Rio de Janeiro und die Bucht, rechts ist die Christusstatue zu sehen
    Der alte Hafen in Rio soll wiederbelebt werden. (Picture Alliance / dpa / EPA / Marcelo Sayao)
    Als Cidade Maravilhosa, als "wunderbare Stadt", ist Rio de Janeiro eine touristische Legende. Jetzt entsteht dort aus alten Hafenanlagen ein Porto Maravilha, ein "wunderbarer Hafen": ein neues Tor zur Welt - so will es jedenfalls die offizielle Ankündigung der Stadtverwaltung.
    "Porto Maravilha dient nicht nur der Aufwertung des Hafenviertels. Es ist auch ein kühnes Projekt der Stadterneuerung von zentraler Bedeutung, das Rio de Janeiro auf einem höheren internationalen Niveau positioniert."
    Die Idee ist nicht neu. Barcelona war mit dem Umbau seines Hafenviertels in einen Puerto Olimpico sehr erfolgreich. Und Buenos Aires hat sich mit seinem Puerto Madero ebenfalls eine weitere Attraktion gesichert. Nun ist also auch Rio de Janeiro dabei, den Hafen, die angrenzenden Industriegebiete und die benachbarten älteren Wohnviertel zu sanieren und aus einer lange vernachlässigten Gegend ein neues Schmuckstück zu machen. Dazu werden Hochstraßen abgerissen und die Verkehrsströme in Tunnel verbannt. 17 Kilometer neuer Radwege, Strandpromenaden und Parks sind geplant, Luxus-Wohnanlagen und natürlich der Sporthafen der Olympischen Sommerspiele 2016. Er ist der eigentliche Anlass des gesamten Umbaus. Von der Stadterneuerung darf auch die Kultur profitieren: mit zwei neuen Museen.
    "Der Spanier Santiago Calatrava, einer der wichtigsten Architekten der Gegenwart, präsentierte in Rio de Janeiro das Modell des Museu do Amanhã. Dort sollen Ausstellungen über Wissenschaft, Technologie und Ökologie gezeigt und so das Bewusstsein für die Zukunft geschärft werden. Ende 2012 wird es eröffnet."
    Auf einem Pier ragt dieses "Museum für Morgen" weit ins Hafenbecken hinein. Wie ein weißer Fisch liegt es lang gestreckt da. Die filigranen Schuppen auf seiner Oberhaut können aufgerichtet werden, um Licht oder Luft ins Innere zu schicken. Ein spektakulärer Bau, typisch Calatrava. Allerdings ist es noch immer geschlossen und soll nun erst 2015 der Öffentlichkeit übergeben werden - also drei Jahre später, dann eben rechtzeitig zu den Olympischen Spielen.
    Sozialer Lichtblick in der Hafenlandschaft
    Nicht weit davon entfernt, auf der Praça Mauá, steht bereits vollendet das MAR, das neue Kunstmuseum von Rio. Zwei Gebäude, die gegensätzlicher nicht sein können, wurden zusammengebunden: Ein Palast im eklektizistischen Stil der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, zuletzt Sitz der Nationalen Hafenverwaltung, und ein moderner Zweckbau, in dem während der Diktatur die gefürchtete politische Polizei ihr Folterzentrum unterhielt. Beide Häuser überwölbt eine riesige, lichte Welle, Symbol des Meeres, portugiesisch: mar, wie der Kürzel des Museums. Paulo Herkenhoff, sein Direktor:
    "Das Kunstmuseum von Rio, das MAR, ist etwas ganz Spezielles, denn es lebt eher von Zweifeln und Fragen als von Gewissheiten. Ein Beispiel: unsere Schule. Ist es also ein Museum mit Schule oder eine Schule mit Museum? Wir zeigen in dem alten Gebäudeteil mehrere Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, und der moderne, multifunktionale Komplex beherbergt die Schule für die Ausbildung von Kunstlehrern."
    An diese Lehrkräfte, etwa 8.000 an der Zahl, und an rund 600.000 Schüler richtet sich das MAR mit seinen vielfältigen Programmen. Also an jenen Teil der Jugend und der Gesellschaft, der in prekären Verhältnissen lebt. Für ihn gibt es ein weiteres Angebot. Paulo Herkenhoff:
    "Wir sind dabei, eine Sondersammlung der künstlerischen Produktion aus den einkommensschwachen Gemeinden von ganz Rio aufzubauen. Aus der riesigen Favela Maré zeigen wir bereits Kunstwerke, die eine Gruppe von 70 Bewohnern unterschiedlicher Richtungen ausgewählt hat."
    Das MAR ist ein sozialer Lichtblick in der neuen Hafenlandschaft des Porto Maravilha. Er ist ansonsten ein Musterbeispiel rücksichtsloser Gentrifizierung, der Vertreibung der alteingesessenen Bevölkerung, die nach der Sanierung die Mieten nicht mehr bezahlen kann. David D. Bartelt, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio:
    "Es findet eine enorme Inwertsetzung statt. Das ist zentrumsnah. Der Quadratmeterpreis ist in die Höhe geschossen. Und was macht man mit diesen Menschen? Da muss es zivilgesellschaftliche Prozesse geben, wo man die Rechte dieser Menschen ernst nimmt und sie einbezieht und sie nicht einfach wie jetzt überflüssiger Schutt entsorgt und wegräumt."
    Rund 40.000 Bewohner sind von der Sanierung betroffen. Viele von ihnen wurden bereits mit Gewalt vertrieben oder in Gegenden im fernen Westen der Stadt und weit weg von ihren Arbeitsplätzen angesiedelt. Fachleute bezweifeln, dass das riesige Areal in seiner Luxusform überhaupt einem Bedarf entspricht. Sie meinen sogar, dass die Stadt Rio, die schon an ihren Versprechungen für die Fußball-Weltmeisterschaft zu scheitern droht, gar nicht mehr in der Lage sein dürfte, die hierfür nötige Infrastruktur zu finanzieren. Porto Maravilha wird sicher nicht ein "weißer Elefant" werden - wie so manches Stadion, aber vielleicht ein Milliarden-Grab.