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Riskante Technologie
Schwimmende Reaktoren für Russland

Die Idee stammt aus den 70er-Jahren - doch von schwimmenden Kernkraftwerken hat man lange nichts mehr gehört. Nun steht in einer russischen Werft das erste Reaktorschiff vor der Vollendung: die Akademik Lomonosov 1. Das schwimmende Kraftwerk soll im fernen Osten eingesetzt werden und genügend Elektrizität, Wärme und entsalztes Trinkwasser für 200.000 Menschen erzeugen. Das Vorhaben birgt Gefahren.

Von Dagmar Röhrlich | 09.02.2016
    Die Akademik Lomonosov 1 wurde 2010 in St. Petersburg vom Stapel gelassen.
    Die Akademik Lomonosov 1 wurde 2010 in St. Petersburg vom Stapel gelassen. (AFP / ANDREY SMIRNOV)
    Die schwimmenden Kernreaktoren sollen zunächst in der Arktis die Energieprobleme entlegener Siedlungen und Industrieanlagen lösen und die Öl- und Gasförderung im arktischen Ozean vorantreiben. "Dafür hat Russland schwimmende Kernkraftwerke entwickelt, bei denen modifizierte Eisbrecher-Reaktoren zum Einsatz kommen", erklärt Nils Böhmer von der norwegischen Umweltorganisation Bellona Foundation in Oslo.
    "Das ist deswegen attraktiv, weil man einen solchen Reaktor an zentraler Stelle bauen kann, da, wo Werkstätten sind, wo Know-how vorhanden ist, und dann schleppt man das schwimmend zum Einsatzort. Der Reaktor wird dann verankert in Landnähe, im Hafen, und dann mit dem Stromnetz verbunden. Das ist dann praktisch ein schwimmendes Kraftwerk", beschreibt Stephan Kurth vom Ökoinstitut Darmstadt. Der Prototyp dieser Anlage trägt den Namen Akademik Lomonossow 1. Es ist eine 150 Meter lange Barke, auf der zwei Reaktoren installiert worden sind. Sie sind vergleichsweise klein, bringen es zusammen auf eine Kapazität von 70 MW elektrischer Leistung.
    Schwimmende Kernkraftwerke begeistern nicht nur die Russen
    "Dadurch wird der Reaktor in bestimmten Situationen vielleicht etwas leichter handhabbar, wenn man an die Wärmemengen denkt, die auch im Störfall abzuführen sind. Anderseits kann natürlich auch gerade die kleinere, kompakte Bauweise Schwierigkeiten mit sich bringen. Das heißt, die Zugänglichkeit ist erfahrungsgemäß natürlich etwas problematischer. Der Reaktor ist aber trotz der geringen Leistung nicht so klein, dass man ihn sich selbst überlassen kann."
    Sicherheits- und Notkühlsysteme müssen im Ernstfall die Kettenreaktion dauerhaft unterbinden und Nachzerfallswärme abführen - genau wie bei einem großen Atomkraftwerk. Dafür setzen die Reaktorbauer von Rosatom auch auf passive Techniken, etwa auf Notkühlung ohne Pumpen. Anders als bei russischen Eisbrechern üblich werde zudem kein hochangereichertes Uran eingesetzt, schreibt Rosatom in einer Mail: "Der Uran-Brennstoff muss zwar für den Betrieb in einem schwimmenden Reaktor höher angereichert werden, aber er bleibt (…) unterhalb der Grenzen, die das Nicht-Verbreitungsabkommen für Atomwaffen setzt."
    Schließlich hofft Rosatom auf ein neues Geschäftsfeld. Überhaupt begeistern schwimmende Kernkraftwerke nicht nur die Russen. Die kanadische Firma Dunedin Energy Systems will ähnliche Anlagen für entlegene Bergbauprojekte in Amerika bauen. Die US-Eliteuniversität MIT entwickelt Pläne, und die Chinesen haben ein Kooperationsabkommen mit Rosatom unterzeichnet - und eines mit der britischen Firma Lloyds Register. Derweil präsentierten die Russen das Konzept ihrer Anlage bereits der Internationalen Atomenergiebehörde. In dem Vortrag IAEO klang das so:
    "Erdbeben der Stärke 10: keine radiologischen Konsequenzen für Mensch und Umwelt.
    Tsunamiwellen, die die Anlage an Land werfen: keine radiologischen Konsequenzen für Mensch und Umwelt.
    (…) Totaler Blackout und Kernschmelze: (…) Der Reaktor wird nicht kritisch. Die Kernschmelze wird im Reaktordruckbehälter gefangen und die Hitze durch externe passive Kühlsysteme abgeführt. "
    Evakuiert werden müsse im Ernstfall niemand, und Notfallpläne brauche man nur für den Umkreis von einem Kilometer um die Barke, wirbt Rosatom. Nils Böhmer ist da eher skeptisch: "Den Reaktor umgibt keine sehr robuste Schutzhülle, und bei einem Leck kann durchaus Radioaktivität in die Umwelt gelangen."
    Schwierig wäre ein Unfall im arktischen Winter
    Da außerdem die abgebrannten Brennelemente bei der Akademik Lomonosov 1 noch an Bord lagern sollen, wächst mit der Zeit das Risiko, dass im Ernstfall große Mengen an Radionukliden frei gesetzt werden könnten. "Die Russen haben eine lange Erfahrung mit Nuklearreaktoren an Bord von Schiffen, sowohl militärischen, als auch zivilen. Aber an Bord dieser Schiffe hat es bereits Unfälle gegeben. So brachen gerade in den vergangenen fünf bis zehn Jahren mehrfach Feuer an Bord von Atomeisbrechern aus."
    Wenn es nun auch noch schwimmende Reaktoren für die Stromversorgung gibt, werde sich das Risiko vervielfachen, urteilt Böhmer. Schwierig wäre ein Unfall im arktischen Winter oder bei schlechter Witterung. Da könnte die Betriebsmannschaft kaum auf Hilfe von außen hoffen. Stephan Kurth: "Dieser schwimmende Reaktor soll ja vorwiegend dort eingesetzt werden, wo geringe Infrastruktur ist. Das heißt zunächst in ganz abgelegenen Regionen Russlands, wo kein stabiles oder gar kein Stromnetz vorhanden ist. Auf der anderen Seite können natürlich gerade dadurch Probleme entstehen, denn diese fehlende Infrastruktur heißt ja, dass man im Störungsfall auch nicht besonders schnell oder besonders gut dahin kommt. Das heißt, es wird lange dauern bis man vielleicht notwendige Hilfsmittel, bis man Experten und so weiter vor Ort hat. Das macht die Bewältigung eines schweren Unfalls auf keinen Fall leichter."
    Dann ist da noch die Frage, wie anfällig einsam gelegene Anlagen für terroristischen Attacken oder dem Diebstahl von Nuklearmaterial sind. Rosatom sieht jedoch keine Probleme. Seit dem vergangenen September wird die Crew der Akademik Lomonosov geschult, und für Ende des Jahres sind erste Praxistests vorgesehen. "Derzeit planen wir, 2018 oder 2019 die Akademik Lomomosov 1 in den Hafen von Pevek zu schleppen."
    In Pevek, einer 5.000-Einwohner-Stadt im äußersten Osten Sibiriens, soll die Akademik Lomonosov das Kernkraftwerk Bilibino ersetzen und 40 Jahre lang Strom liefern, schreibt Rosatom. Dass so viel Zeit vergeht zwischen der Fertigstellung des schwimmenden Kernkraftwerks und seiner Inbetriebnahme hat wahrscheinlich Kostengründe: Die Infrastruktur im Hafen von Pevek muss erst noch gebaut werden.