Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Riskanter Hokuspokus
Vitalpilze sind keine Medikamente

Glaubt man den Anbietern, müssen sie Wunder bewirken: die sogenannten Vitalpilze. Mit den exotischen Pilzen lassen sich angeblich gesundheitliche Probleme in den Griff bekommen: von HIV über Herzinfarkt bis hin zu Krebs. Solche Versprechen sind Unfug, warnt das Arzneimittelmagazin "Gute Pillen - schlechte Pillen".

Von Michael Engel | 07.07.2015
    Vitalpilze schmecken bitter. Deshalb werden sie getrocknet, gemahlen und in Form von Pillen, Kapseln oder Extrakten angeboten. Auch wenn die Darreichungsform aussieht wie ein Arzneimittel, sind Vitalpilz-Produkte dennoch kein Medikament, betont Dr. Christian Wagner-Ahlfs vom kritischen Arzneimittel-Magazin "Gute Pillen – schlechte Pillen". Heilversprechende Aussagen sind deswegen sogar gesetzlich verboten. Eigentlich.
    "Im Fall der Vitalpilze läuft das eigentlich clever ab, weil die meisten Produkte, soweit wir das überschauen können, in einer neutralen Verpackung verkauft werden. Die Information dazu, die ziehen sich die Menschen aus anderen Quellen, in der Regel aus dem Internet oder auch aus Broschüren, die es zu diesem Thema gibt aus dieser ganzen grauen Literatur. Und das macht es natürlich auch so schwer, dann diese Verkäufer in die Haftung zu nehmen."
    Die Gesellschaft für Vitalpilzkunde, ein Zusammenschluss von Heilpraktikern, die mit diesen Pilzen Geld verdienen, bewirbt die Naturprodukte als Allrounder der Medizin - einsetzbar gegen Krebs, Hauterkrankungen, Herzinfarkt, Diabetes, Infektionen bis hin zu Anti-Aging, gerade so, als wären es Arzneimittel. Dem ist aber nicht so, entgegnet der Chemiker.
    "Arzneimittel ist ein rechtlich klar definierter Begriff. Für ein Arzneimittel muss die Wirksamkeit nachgewiesen sein. Und eine Unbedenklichkeit muss ebenfalls gewährleistet sein. Und solche Studien liegen für diese Vitalpilze eben nicht vor."
    Heilkräfte nicht belegt
    Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit untersuchte mehrere Vitalpilze und stellte fest: Heilkräfte sind weder bei Krebs noch bei Demenz, Magengeschwüren und anderen Krankheiten belegt. Auch Dirk Stichtenoth, Professor für klinische Pharmakologie in der Medizinischen Hochschule Hannover, hat sich eingehend mit Studien über Vitalpilze beschäftigt.
    "Da findet man Hunderte von wissenschaftlichen Studien, die aber in erster Linie erstmal Grundlagenwissenschaft sind. Und angesichts dieser Datenlage ist es eben ein sehr weiter Weg, hier zu Medikamenten zu kommen, zu einer Zulassung zu kommen, wo wir klinische Wirksamkeit, Sicherheit und auch Mindestqualitätskriterien definieren müssen."
    Nach Angaben von "Gute Pillen – schlechte Pillen" gibt es überdies erhebliche Konzentrationsschwankungen bei Vitalpilzen, abhängig auch davon, ob es sich um Wild- oder Zuchtpilze handelt. Überdies werden Vitalpilze aufgrund ihrer kompliziert klingenden Namen und Mehrfachbezeichnungen verwechselt. So ist in manchen Kapseln nicht mal drin, was draufsteht.
    "Ein ganz wichtiger Tipp ist: Man soll niemals eine konventionelle, laufende Behandlung abbrechen und da eigenmächtig auf Vitalpilze umsteigen. Man lässt am besten komplett die Finger von diesen Produkten."
    Ungesund sind sie aber auch nicht
    Dabei bezweifeln Pharmakologen ganz und gar nicht die möglicherweise positiven Wirkungen der Pilze: Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, die sie enthalten, sind grundsätzlich gut für die menschliche Gesundheit. Ob die Pilze aber auch Krankheiten heilen, ist eine Frage, die nur im Rahmen von Studien belegt werden kann. Ob sie jemals kommen? Die Zulassungsstudien? Wohl eher nicht, meint Prof. Dirk Stichtenoth aus Hannover.
    "Firmen überlegen sich natürlich zu Recht: Lohnt sich dieser Geldeinsatz. Wir sprechen hier von mehreren hundert Millionen Euro, die die Entwicklung eines wirklich ganz innovativen Medikamentes kostet. Das überlegt sich natürlich jede Firma sehr genau."
    Zumal es einen ökonomisch so wichtigen Patentschutz kaum geben kann, da die Naturprodukte seit Jahrhunderten eingesetzt werden. Für die Pharmafirmen ein absolutes NoGo. Wer auf die vermeintliche Wirkung der Vitalpilze nicht verzichten will, kann sie nehmen, aber nur als Nahrungsergänzungsmittel. Nur bitte auf keinen Fall die Arzneimitteltherapie wegen der Vitalpilze abbrechen.
    Arzneimittel sind erforscht, Pilze hingegen nicht!