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Ritter auf Torejagd

Lacrosse ist Nationalsport in Kanada, eine Viertelmillion Menschen greifen dort regelmäßig zum Schläger, um einen kleinen Ball ins gegnerische Tor zu tragen. In Europa ist die Sportart seit Mitte der neunziger Jahre langsam auf dem Vormarsch, derzeit findet in Berlin das europaweit größte Turnier statt. Lacrosse hat sein elitäres Image abgeschüttelt und ist mittlerweile sehr studentisch geprägt.

Von Ronny Blaschke | 18.06.2011
    Das Stadion Lichterfelde, im Süden Berlins. Kräftige Männer stürmen über einen Rasenplatz, sie tragen Helme, Handschuhe, Schutzpolster. Zehn gegen zehn, sie rempeln sich an, wirken hochkonzentriert. Mit ihren Händen umklammern sie Holzschläger, an deren Kopf ein Ledernetz gespannt ist. Mit diesen so genannten Sticks wollen sie den Ball, schwer wie ein Apfel, in das quadratische Tor ihres Gegners schleudern. Das Tor ist auf dem Platz eingerückt, wie beim Eishockey.

    Björn Wulfmeyer könnte sich eine Freizeit ohne Lacrosse schwer vorstellen. Er spielt für den SCC Berlin, den Meister der Bundesliga-Staffel Ost. Wulfmeyer lacht gern und viel, er ist 25 Jahre alt, Student und Hauptorganisator der Berlin Open, die an diesem Wochenende 500 Sportler aus aller Welt in die Hauptstadt gelockt haben. Wulfmeyer hat früher Handball gespielt, bis er Lacrosse gefunden hat.

    "Man sagt, es ist der schnellste Sport, den man auf zwei Beinen spielen kann. Abgesehen eben von Eishockey, aber laufender Weise. Und es ist halt recht anspruchvoll, was die Koordination angeht. Also beim Handball hast du die Bewegung ja eigentlich mehr in den Händen, die ausführende. Beim Lacrosse ist es doch noch wesentlich anspruchsvoller, mit den Augen den Ball zu fixieren, den Schläger in die richtige Position, aber dabei gleichzeitig den Gegner im Auge zu behalten und den Überblick vom Spiel nicht zu verlieren."

    Rund 1500 Menschen spielen hierzulande in 54 Teams Lacrosse, zum Vergleich: der Deutsche Fußball-Bund hat 6,7 Millionen Mitglieder. Olivia Exner stört das nicht, sie ist gern eine Exotin. Die 27-Jährige ist Hausverwalterin und Spielführerin des Berliner Frauenteams. Lacrosse hatte sie in Neuseeland kennengelernt, während eines Praktikums nach ihrem Abitur. Schnell ist sie zu einer herausragenden Spielerin aufgestiegen.

    "Es ist gerade ein Sport, der kleine Kinder fasziniert und vor allem die Junioren: mit der Ausrüstung fühlen sie sich wie kleine Ritter. Und womit man natürlich solche Jungs motivieren kann, ist, dass sie sehr schnell in die Nationalmannschaft kommen können. Das schaffen sie beim Fußball niemals, da müssen sie sich halt durch Regionalligen boxen. Es ist auch eine familiäre Sportart, es gibt halt in jeder großen deutschen Stadt einen Verein, und dadurch kennt man sich relativ schnell auch und wenn man sich dann wieder sieht in den Saisons, dann hat man auch ein freundschaftliches Verhältnis."

    Lacrosse hat seinen Ursprung in Nordamerika: Indianer an der Ostküste nutzen das Spiel zur Kriegsvorbereitung, als Tore dienen Bäume oder Steine. Oft enden Wettkämpfe mit mehr als 100 Spielern tödlich. Schriftlich erwähnt wird das Spiel erstmals 1634. Der Missionar Jean de Brébeuf fühlt sich beim Schläger an einen Bischofstab erinnert, auf französisch: Lacrosse.

    Besonders beliebt ist das Spiel in Kanada. Lacrosse wird olympisch, doch schon nach den Spielen 1904 in St. Louis und 1908 in London wird die Disziplin wieder aus dem Programm genommen. In Europa wird Lacrosse als "Vergnügen der Elite" abgestempelt, zu teuer sei das Material, zu abgehoben die Spieler. In Kanada will man davon nichts wissen: 1994 erhebt das Parlament Lacrosse zur Nationalsportart, sie wird dort heute von 250.000 Menschen betrieben.

    Nach Deutschland gelangt Lacrosse Mitte der neunziger Jahre, Austauschschüler gründen den ersten Verein in Berlin, wo an diesem Wochenende das größte Turnier Europas stattfindet. Organisator Björn Wulfmeyer sitzt in einer engen Baracke, unter seiner Baseballkappe treten verschwitzte Haare hervor. Er beantwortet Fragen, telefoniert, steht unter Strom. Vier Männerligen gibt es in Deutschland, drei Frauenligen, sie seien studentisch geprägt, sagt Wulfmeyer, nicht elitär. Es zähle der Teamgeist, sonst würde es Lacrosse bald nicht mehr geben.

    "Wenn man Engagement hat und den Willen, da irgendwie was zu bewegen, dann ist momentan noch eine echt gute Zeit, da wirklich auch Steine zu versetzen und nicht einfach nur ein Teil eines großen Ganzen zu sein. Selbst wenn man sich ganz wahnsinnig engagiert beim Fußballverein, schafft man nicht viel. Wenn man in Deutschland Lacrosse spielen will, kann man sich nicht darauf ausruhen und sagen: ich will nur spielen. Man muss eigentlich gleich auch im selben Zug sagen: ich will auch mithelfen."

    Im Stadion Lichterfelde ziehen die Spieler große, schwere Taschen hinter sich her. Die Ausrüstung für Lacrosse kann teuer sein, für einen Torwart bis zu 600 Euro. Das Berliner Lacrosse-Team, das sich Blax nennt, hat ein beachtliches Sortiment an Schlägern und Schutzausrüstung angehäuft. Neue Mitglieder können dieses Material ausleihen, sie sollen nicht sofort abgeschreckt werden. Der SCC Berlin ist um Nachwuchs bemüht, 50 Jugendliche spielen Lacrosse. Doch damit will sich Olivia Exner aus dem Frauenteam nicht zufrieden geben.

    "Wir müssen mit Flyern an Schulen gehen, AG’s gründen, Promotion machen. Man hat ja plötzlich eine ganz andere Verantwortung, man muss sich Eltern gegenüber rechtfertigen, Trainer zeigen und repräsentieren, die geeignet sind, ihre Kinder zu behüten und ihnen was beizubringen. Also das ist plötzlich mehr als nur mit Erwachsenen Sport zu machen, die alle für sich selbst verantwortlich sind. Sondern man hat halt plötzlich Kids, um die man sich kümmern muss."

    Olivia Exner und Björn Wulfmeyer wollen im Sommer 2012 an den Europameisterschaften in Amsterdam teilnehmen. Dafür müssen sie sich in einem Ausscheidungscamp gegen die Konkurrenz durchsetzen. Bislang trainiert Olivia Exner zweimal in der Woche, bald wird sie fünf Mal zum Schläger greifen. Doch noch genießt sie an diesem Wochenende die Berlin Open. Es geht ihr um den Sieg, doch es geht auch um Spaß. Wobei für sie im Lacrosse beide Begriffe ein- und dasselbe ergeben.