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Robben Island
Horror und Inspiration

Die Insel ist Mahnmal und Mythos zugleich: Robben Island. Hier waren die führenden Apartheidgegner Südafrikas inhaftiert. Auch Nelson Mandela, der erste schwarze Präsident. Welche Botschaft hat Robben Island für die Menschen von heute? Das fragt eine Pfarrerin aus Kapstadt.

Von Bettina von Clausewitz | 11.08.2017
    Die anglikanische Pfarrerin Rene August auf dem Schiff nach Robben Island, im Hintergrund Kapstadt mit dem Tafelberg.
    Die anglikanische Pfarrerin Rene August auf dem Schiff nach Robben Island, im Hintergrund Kapstadt mit dem Tafelberg. (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
    Nkosi Sikelel i’Afrika, Gott segne Afrika - die politische Hymne des Anti-Apartheidkampfes tönt schon bei der Überfahrt durch den Passagierraum des Schiffes nach Robben Island. Sie ist Teil einer Video-Dokumentation. Erzählt wird Inselgeschichte im Zeitraffer: Sträflingskolonie schon unter der englischen und holländischen Kolonialherrschaft, später Leprastation und dann das, was alle am meisten interessiert: Hochsicherheitsgefängnis für die schwarze Elite Südafrikas, allen voran Nelson Mandela. 18 Jahre Haft in einer vier Quadratmeter kleinen Zelle, die später bei der Bustour zu sehen ist. Da liegt noch seine dünne Matte, der Hocker mit dem verbeulten Blechgeschirr – es ist eine Touristenattraktion mit Gruseleffekt.
    Eine der Einzelzellen, in denen Apartheidsgegner inhaftiert waren.
    Eine der Einzelzellen, in denen Apartheidsgegner inhaftiert waren. (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
    "Die Geschichte wird hier schön verpackt präsentiert, je nachdem, wie gut der Tourguide gerade ist. Die Leute kommen her und machen Fotos, aber sie können nicht verstehen, was das mit ihrem Leben zu tun hat oder mit Spiritualität oder sogar etwas Heiligem. Deshalb möchte ich den Blick darauf lenken, wie all dies miteinander verbunden ist", sagt die anglikanische Pfarrerin und Aktivistin Rene August. Die große Sonnenbrille ins stoppelkurze Kraushaar geschoben, zeigt sie hinüber zum Aussichtspunkt am Busparkplatz. Wer könnte hier schon dem Fotoshooting widerstehen? Ein eigens aufgestellter überdimensionaler Bilderrahmen als Vordergrund, dahinter das Meer und malerisch Kapstadt mit dem Tafelberg.
    Attraktiv für den Tourismus: ein Fotoshooting auf Robben Island.
    Attraktiv für den Tourismus: ein Fotoshooting auf Robben Island. (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
    "Universität des Lebens"
    Vergessen ist der nur wenige Minuten entfernte Kalksteinbruch. Hier mussten die Häftlinge ohne Augenschutz im gleißenden Licht arbeiten. Und doch ist eine unscheinbare Höhle dort, in der sie ihre Pause verbrachten, zum Ort der Hoffnung geworden, zur legendären "Universität des Lebens". Hier entstand sie und ging in den Zellen weiter:
    "Es gab sechs Männer auf Robben Island, die lebenslänglich hatten, aber sie haben beschlossen diese Insel zur Universität zu machen. Wie sind sie darauf gekommen? Sie haben gesagt, es gibt keine Gebühren, keine Bücher, keine Professoren und Vorlesungssäle. Sondern wir sagen: "Each one must teach one" – jeder bringt dem anderen etwas bei. Mit diesem Slogan ist es ihnen gelungen, dass Leute Abitur machten, Bachelor und sogar Master. All das vom Gefängnis aus, einem Ort der Folter und des menschlichen Leids.
    Proteste gegen Bildungsmisere
    Die berühmte Knast-Uni, das ist eine von vielen Geschichten Robben Islands, aus denen Rene August lernen will. Denn Bildung ist auch gut 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid immer noch ein Privileg in Südafrika. Und so hat die Idee des "Each one teach one" auch aktuell wieder Sprengkraft. Vor allem seitdem 2015 heftige Proteste ausgebrochen sind, weil viele die hohen Studiengebühren nicht zahlen können. Der Slogan der Studentenbewegung #FeesMustFall – die Gebühren müssen fallen - ist zum Flächenbrand geworden. Jetzt heißt es: "Zuma must fall". Gemeint ist Jacob Zuma, der umstrittene Präsident.
    Demnächst will Rene August einen Workshop mit Studierenden, Professoren und Wirtschaftsleuten auf Robben Island veranstalten. Hier wollen sie Antworten auf die Bildungsmisere suchen – auch mit Blick auf biblische Vorbilder:
    "Jesus ist zu einer Reihe von Leuten gegangen, die Fischer waren, Zöllner oder Handwerker, die keine Chance hatten auf höhere Bildung. Er hat sie ausgebildet, um Führung zu übernehmen und hat ihnen gesagt: Each one go teach one. Er hat diese Nobodys ausgesandt und sie haben die Welt verändert. Darüber will ich reden, wie können wir unsere Geschichte mit Jesus, mit Robben Island und unserem Land heute verbinden?"
    "Triumph des menschlichen Geistes"
    Nachdem das Schiff unter dem rauen Gekreisch der Möwen wieder in Kapstadt angelegt hat, erzählt die 46-jährige farbige Aktivistin Rene August von ihrem eigenen politischen Engagement. Vor einigen Jahren hat sie als Pfarrerin bei der anglikanischen Kirche gekündigt, um für eine kirchennahe Organisation in Kapstadt zu arbeiten: das "Warehouse". Das Anliegen dieses landesweiten Netzwerks: Kirchen und andere im Kampf gegen Armut und Unrecht zu unterstützen. Dabei ist Robben Island für sie persönliche Inspiration:
    "Die Insel sollte Apartheidsgegner abschrecken. Aber mit wem auch immer du sprichst. Alle ehemaligen Häftlinge erzählen dir eine Geschichte der Hoffnung. Oder wie Mandela sagen würde: vom 'Triumph des menschlichen Geistes'. Wir haben immer die Macht, Gutes zu wählen, Frieden, Gerechtigkeit, Versöhnung - wir sind nicht nur Opfer, selbst wenn uns das Schlimmste zustößt."
    Spirituelle Lernorte
    So reichten Mandela und viele andere der alten Apartheidregierung die Hand zur Versöhnung, Frieden statt Bürgerkrieg in Südafrika. Und Robben Island ist heute Weltkulturerbe. In zähen Verhandlungen mit den Behörden gelingt es Rene August immer wieder einmal, eine Gruppe für mehrere Tage dorthin zu bringen. Abseits der festen Routen der Touristenströme mit ihren klickenden Kameras, wenn nur der raue Wind über den harten Boden streift. Dann wandern sie wie Pilger über die Insel, meditieren am Strand bei der Pinguinkolonie und schlafen auf Pritschen in einer der großen Gemeinschaftszellen, nachts, wenn Schreie und die Verzweiflung der Vergangenheit von den dicken Mauern widerhallen. Rene August ist sich sicher: Solche politischen und spirituellen Lernorte gibt es auch anderswo.
    Blick in eine der Gemeinschaftszellen für 'normale' politische Häftlinge.
    Blick in eine der Gemeinschaftszellen für 'normale' politische Häftlinge. (Deutschlandradio / Bettina von Clausewitz)
    "Wir sollten versuchen, überall solche 'Orte mit besonderer Bedeutung' zu finden, wie ich sie nenne. Es hat einen Grund, dass es sie gibt. Sie haben uns geformt, egal ob es gute oder schlechte Orte sind. Robben Island ist ganz bestimmt kein guter Ort. Hier herrschten Folter, Schmerz und Entwürdigung. Und doch gibt es so viele inspirierende Geschichten aus der Mitte dieses Horrors. Ich glaube, solche Orte gibt es auch in Deutschland, dort ganz besonders."