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Robert Pfaller: "Erwachsenensprache"
Wie wär's mal mit Erwachsenheit?

Je ausbeuterischer der Neoliberalismus ist, desto "zartfühlender" wird die Sprache seiner Repräsentanten, konstatiert Robert Pfaller in "Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur": Eine klarsichtige Gegenwartsanalyse, in der Pfaller eine zunehmende Infantilisierung der Öffentlichkeit kritisiert.

Von Ralph Gerstenberg | 02.01.2018
    Der Philosophie-Professor Robert Pfaller bei einer Diskussion im Juni 2016 auf dem internationalen Philosophie-Festival der phil.cologne in Köln
    Der Philosophie-Professor Robert Pfaller im Juni 2016 auf dem internationalen Philosophie-Festival der phil.cologne in Köln (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Lass mich hören, wie du sprichst, und ich sage dir, wer du bist! Die Sprache ist eines der wesentlichen Distinktionsmerkmale der Gesellschaft. An der Art und Weise, wie jemand redet, erkennt man seine soziale Herkunft, seinen Bildungsstand oder die Zugehörigkeit zu politischen und kulturellen Milieus.
    Auch Orte und Menschen, Bücher und Filme hinterlassen ihre Spuren im Sprachgebrauch - zumindest bei Erwachsenen. Dazu muss man sie allerdings reden lassen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Und genau das ist mittlerweile keine Selbstverständlichkeit mehr, stellte Robert Pfaller fest, als er sich auf einem Flug von Amsterdam in die USA befand.
    Warnung vor "Erwachsenensprache" als Ausgang
    Während die alte Welt unter den Wolken verschwand, stand dem Philosophen und Kulturtheoretiker der Sinn nach Filmkunst, speziell nach dem Sterbehilfedrama "Amour" von Michael Haneke mit Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva. Doch bevor der Film begann, wurde Pfaller vor ihm gewarnt. Das, was er gleich zu sehen bekäme, enthalte Erwachsenensprache, hieß es, "adult language", eine Sprache also, die womöglich seine Gefühle verletzen könnte.
    Was ist das für eine Welt, dachte da der Philosoph, in der Erwachsene mittlerweile vor der ihnen eigenen Sprache gewarnt werden? Seine Antworten findet man nun in dem Buch "Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur".
    Ausbeuterischer Neoliberalismus und zartfühlende Sprache
    Es ist, das macht Pfaller schnell klar, eine neoliberale und - wie er hinzufügt - postmoderne Welt, die derartige Phänomene hervorbringt - eine Welt der großen Unterschiede, in der "das reichste Prozent der Weltbevölkerung über 50,8 Prozent des weltweiten Vermögens" verfügt, also mehr besitzt "als die restlichen 99 Prozent der Menschen".
    Doch je ausbeuterischer der Neoliberalismus weltweit wütet, umso "zartfühlender" wird erstaunlicherweise die Sprache seiner Repräsentanten. Überall werden Warnschilder aufgestellt, niemand soll sich auf den Schlips getreten fühlen. Keine schlimmen Worte, schriftlich schön mit Binnen-I, Witze reißen - nicht so gut! Während "die Identität" immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, registriert Robert Pfaller ein Verschwinden von Zukunftsperspektiven und Teilhabemöglichkeiten für immer mehr Menschen.
    Tatsächliche Gleichheit setze Erwachsenheit voraus
    Durch die Öffnung des öffentlichen Raumes für private Be- und Empfindlichkeiten sieht Robert Pfaller gar die Werte der Aufklärung gefährdet. War deren Ziel nicht ein mündiger Bürger, der sich bilden und in den öffentlichen Diskurs einbringen konnte?
    Dazu musste er distanziert auftreten, sich nicht vom persönlichen Befinden, sondern von der Relevanz seiner Argumente leiten lassen. Das "eigene, vermeintlich authentische Selbst hintanzuhalten" - so Pfaller -, sei "die entscheidende Tugend mündiger Bürgerlichkeit". Tatsächliche Gleichheit setze Erwachsenheit voraus, also "die Fähigkeit, vom Privaten und Persönlichen abzusehen und nur das öffentlich Relevante zu behandeln."
    Von "Pseudolinken" und "Pseudoprogressiven"
    Als aktuelles Beispiel dafür, was passieren kann, wenn Eliten Minderheitendiskurse führen und die sozialen Belange der Mehrheit außer Acht lassen, führt Robert Pfaller die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten an. Trumps Wahl und der Siegeszug der Rechten in ganz Europa sei die Quittung für die mit "political correctness" flankierte "pseudolinke Symbolpolitik", wie sie beispielsweise die heutige Sozialdemokratie verkörpere.
    Doch anstatt eine sozialpolitische Richtungswende zu vollziehen, schiebe die Linke den schwarzen Peter nun dem politischen Gegner zu und behaupte, "political correctness" sei eine Erfindung der Rechten, um die politische Linke lächerlich zu machen.
    Robert Pfaller verortet sich unmissverständlich im linken Lager. Sein Angriffsziel ist die "pseudoprogressive" Mitte, die sich selbst für links hält, weil sie eine politisch korrekte Sprache pflegt und für die Rechte von Minderheiten eintritt, zugleich jedoch Freihandelsabkommen unterstützt und Waffenlieferungen in Krisengebiete billigt.
    Zwischen Dialektik und Polemik
    Sein Buch "Erwachsenensprache" ist eine klarsichtige Gegenwartsanalyse, in der Pfaller eine zunehmende Infantilisierung der Öffentlichkeit konstatiert und die Lebenslügen einer neoliberalen Elite entlarvt. Gelegentlich bricht gar die Wut aus dem linken Kulturwissenschaftler heraus, wenn er sieht, wie mit großer Selbstverständlichkeit die Interessen einer stetig wachsenden Zahl von Menschen in prekären Lebensverhältnissen aus dem öffentlichen und politischen Diskurs verbannt werden. Dann verlässt Robert Pfaller die Schule der Dialektik und wird zum heißblütigen Polemiker.
    Dieses "Was muss denn noch passieren, damit ihr endlich begreift?" verleiht seiner ansonsten hochkomplexen kulturtheoretischen Analyse aktuelle Dringlichkeit. Während in der Öffentlichkeit weiter Sandkastenspiele stattfinden und kindische Debatten über politisch korrekten Sprachgebrauch ausgetragen werden, stellt er mit seinem Buch eine längst überfällige Frage: Wie wär's mal mit Erwachsenheit?
    Robert Pfaller: "Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur", S. Fischer, 256 Seiten, 14,99 €.