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Rock-Musical "Hamilton"
Ein Finanzminister, der Hip-Hop verkörpert

Das Leben des ersten US-Finanzministers war Inspiration für das Musical "Hamilton": 56 Preise erhielt es, darunter einen Grammy. Jetzt ist das knapp dreistündige Monumentalwerk auch in Europa zu sehen - wenn man Karten bekommt. Aber wer war Alexander Hamilton und warum war sein Leben für ein Musical interessant genug?

Von Kai Löffler | 07.01.2018
    Cover der CD liegt auf einem Notenblatt
    Mirandas erklärtes Ziel war es, die Geschichte Amerikas mit der Stimme der Gegenwart zu erzählen (Kai Löffler)
    Diesen Beitrag finden Sie nach Ausstrahlung sieben Tage in unserer Mediathek
    Musik: "How does a bastard, orphan son of a whore..."
    Wie wird aus einem verwaisten Bastard, dem Sohn einer Hure und eines Schotten, der bettelarm irgendwo in der hintersten Ecke der Karibik aufwächst, ein Held und ein Gelehrter? Die Rede ist vom Gründungsvater, der auf dem amerikanischen Zehn-Dollar Schein.
    Musik: "What's your name, man?" "Alexander Hamilton, my name is Alexander Hamilton"
    Das Leben von Alexander Hamilton, dem ersten Finanzminister der USA, war Inspiration für das Musical, das gerade in London Europapremiere gefeiert hat. In dem fast dreistündigen Monumentalwerk stecken sechs Jahre harte Arbeit. Schon Mitte 2009 stand Autor und Komponist Lin-Manuel Miranda bei einem Poetry Jam im Weißen Haus und führte für die Obamas eine Rohversion auf.
    Lin-Manuel Miranda: "It's a concept album about the life of someone who embodies Hip Hop. Treasury Secretary Alexander Hamilton. You laugh, but it's true!"
    Amerikas erster Finanzminister als Musterbeispiel für den Hip-Hop. Das klingt albern, aber nach und nach sind die Lacher verstummt. Nach der Premiere im Jahr 2014 wurde Hamilton erst zum Off-Broadway-Geheimtipp, bald zum sensationellen Erfolg am Broadway und schließlich zum gefeierten Meilenstein.
    Geflecht aus Macht, Sex, Liebe, Freundschaft und Tod
    Hamilton ist durch die Augen zweier Protagonisten erzählt. Die von Hamilton selbst und seinem Freund und bitteren Erzrivalen, dem dritten Vizepräsidenten der USA Aaron Burr. Und es gibt viel zu erzählen: vom Unabhängigkeitskrieg einer jungen Nation, von der Entstehung der US-Verfassung, davon wie Washington zur Hautstadt wurde. In anderen Händen wäre daraus eine trockene Geschichtsstunde geworden, aber Lin-Manuel Miranda verknüpft sie zu einem Geflecht aus Macht, Sex, Liebe, Freundschaft und Tod. Voller Spannung, Humor und emotionaler Wucht. Das brillante Libretto ist so dicht und so schnell gesungen und gerappt, dass es im normalen Opern- oder Musical-Tempo nicht knapp drei, sondern sechs Stunden gedauert hätte.
    Musik: "And there are too many damn words for any man to understand"
    Mirandas erklärtes Ziel war es, die Geschichte Amerikas mit der Stimme der Gegenwart zu erzählen. Konkret heißt das moderne Musik, präsentiert von einer multi-ethnischen Besetzung. Gerade heute ist das ein wichtiges Signal, sagt Howard Rambsy, Professor für Afro-Amerikanische Literatur.
    Howard Rambsy: "Es verbindet Kulturen. Hamilton thematisiert vor allem die Erfahrung von Einwanderern, aber es lässt außerdem die Rap- und Hip-Hop-Kultur einfließen. Und die ist, zumindest im Kern, aus der Afro-Amerikanischen Tradition entstanden. Das in einem Musical zu sehen ist ungewöhnlich und wohl auch einer der Gründe, warum es so viel Aufmerksamkeit bekommt."
    Kombinierter, klassischer Broadway-Sound
    Immer mal wieder bedient sich Hamilton beim klassischen Broadway-Sound und verbindet ihn mit R&B, Pop, Hip-Hop und auch manchmal Jazz.
    Musik: "What'd I Miss"
    Dabei ist die Musik nicht einfach ein willkürlicher Streifzug durch die Musikgeschichte; jeder stilistische Schlenker hat seinen Grund. Meinungsverschiedenheiten unter den Politikern der jungen Republik werden zum Beispiel als Rap-Battles ausgetragen.
    Musik: "Cabinet Battle"
    Und die Songs des englischen König George klingen - passenderweise - nach der British Invasion der Sixties.
    Musik: "You'll be back"
    Vier- bis fünfstellige Summen für ein Ticket
    Bis heute muss man schnell sein und lange im Voraus planen, um einen der begehrten Sitze zu bekommen, ob am New Yorker Broadway, in Chicago oder, seit Ende Dezember, in Londons West End. Oder man ist bereit, vier- bis fünfstellige Summen für ein Ticket zu zahlen. In einem Fall, behauptet die Huffington Post, hat jemand für zwei Karten 42.000 Dollar bezahlt. Was macht Hamilton so besonders?
    Howard Rambsy: "Wenn man Rap in einen Broadway-Kontext stellt, und ausserdem auf ganz ungewohnte Art mit Geschichte und Ethnizität umgeht, horcht das Publikum natürlich auf."
    Die Grundlage war eine Hamilton-Biografie des Autors Ron Chernov, der auch als historischer Berater am Musical mitgearbeitet hat. Hamiltons Geschichte sind genaugenommen drei. Die von der Geburt Amerikas, eine Karriere, die ein perfektes Beispiel für den amerikanischen Traum ist und eine bewegte, romantische und tragische Familiengeschichte. Miranda selbst singt mit prägnanter Stimme die Titelrolle der Broadwayaufnahme. Die Stars sind aber - zumindest in der New Yorker Originalbesetzung - Leslie Odom Jr. als Aaron Burr und Phillipa Soo als Hamiltons Frau Eliza.
    Der Hype ist nicht übertrieben
    Hamilton ist ein riesiges Phänomen geworden, weit über die Musical-Szene hinaus. Immerhin ist der Hype nicht übertrieben. Die Texte sind brillant, die Musik klingt unverbraucht, und Lin-Manuel Mirandas Musical kommt genau zur richtigen Zeit. Auch in England sind die Aufführungen lange im Voraus ausverkauft, und die Kritiken sind herausragend. Zum Glück funktioniert Hamilton auch als CD, es gibt keinen gesprochenen Text zwischen den Songs, und so enthält die Aufnahme das komplette Stück.
    Und um das toll zu finden, muss man kein Musical-Fan sein oder unbedingt Hip-Hop mögen. Eine gute Story bleibt eine gute Story - gerade wenn sie so packend erzählt ist wie hier. Ein Aspekt wird wohl vor allem ein amerikanisches Publikum berühren. Obwohl die Gründerväter weiße Männer waren, sagt Lin-Manuel Miranda mit Soul, R&B, Hip-Hop und seiner multiethnischen Besetzung: Die Geschichte von Hamilton gehört ganz Amerika.