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Rock-Oper "Vincent" im HKW
Vom Hedonismus zum Radikalismus

Um eine Oper zu schrieben brauchen Komponisten oft Jahre. Die Hamburger Band Trümmer hatte für ihre Rock-Oper gerade einmal zwei Monate Zeit. Sie erzählt von einem jungen Mann zwischen Drogen- und Partyrausch, der im Heiligen Krieg den scheinbaren Sinn des Lebens findet. Zu erleben war das Werk nun im Rahmen eines Langzeitprojekts im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW).

Von Dennis Kastrup | 05.10.2015
    Paul Pötsch und Tammo Kasper von der Band Trümmer
    Vom Hedonismus zum Radikalismus (Deutschlandradio / Jana Demnitz)
    "Meine Damen und Herren, hier hinter dem Vorhang: Vincent und Trümmer!"
    Verfasser von Opern arbeiten an ihren Werken Jahre, manchmal sogar ein Leben lang. Trümmer hatten für ihre Rock-Oper nur zwei Monate Zeit. Zu ihrem Protagonisten hat das Quartett Vincent auserkoren.
    "Es geht um jemanden, der hier in Berlin im Nachtleben dasteht und auf einmal aufwacht und nicht weiß, was er die letzten Jahre getan hat, der in diesem Hedonismus sich selbst verloren hat. Der geht feiern ohne Ende, aber fühlt dabei nichts mehr."
    Und so tanzt sich der junge Mann mit den Worten "Ich bin der König der Nacht und mein Name ist Vincent!" in den Abend hinein.
    Vincent wird von Paul Pötsch dargestellt, dem Sänger von Trümmer. Die Band steht hinter einem riesigen Vorhang, auf dem zu jedem Song unterschiedliche Filmsequenzen und Animationen gezeigt werden. Vincent wacht nach durchzechter Nacht auf und wälzt sich mit verkaterter Leere im Bett umher. Hier beginnt das Drama: vom Hedonismus zum Radikalismus.
    "Er geht auf die Suche nach sich selbst eigentlich und geht dann aber auch ganz geografisch aus Berlin weg und begegnet dann radikalen Ideologien und ist dafür ganz offen und wird vereinnahmt. Und in dem Fall ist das radikaler Islamismus."
    Doch wie soll das funktionieren, wenn vier Twens plötzlich über die Gedanken und Gefühle im Islamismus singen? Pötsch tauchte dafür zuerst einmal unter.
    "Ich habe tatsächlich während der Proben zwei Monate lang ein Fake-Facebook-Profil unterhalten und habe mich da als Zabrina Al-Mani ausgegeben, eine Deutsche, deren Vorfahren aus Afghanistan kommen und die zum Islam konvertiert ist und habe da wirklich interessante Gespräche geführt."
    Ein paar Ausschnitte davon gibt es auf der Leinwand mitzulesen.
    "Und auf einmal chattet man dann mit Leuten, die einem sagen: 'Ja, ich hasse die Jesiden auch! Ich möchte sie alle töten.' Und danach wünscht man sich eine gute Nacht. Das ist so absurd."
    Verhaltener Applaus
    Ohne das Wissen über die Existenz des Facebook-Profils wirkten die Sätze sehr klischeehaft. Der Höhepunkt war erreicht, als Pötsch dann von der Bühne das Kalifat ausrief und das Publikum zum Mitmachen animieren wollte.
    Der Applaus war eher verhalten. Viele Zuschauer verließen den Saal vor dem Ende, was vielleicht auch an der Vorhersehbarkeit der Aufführung lag: Vincents Zweifel werden immer größer, als er in den Fängen der Islamisten sein Leben für das versprochene Paradies opfern soll.
    "Politische Musik versucht eigentlich, die Dinge zu vereinfachen und einem zu erklären, was man a) tun und b) denken soll. Das ist eigentlich ein Ansatz, bei dem wir das Gefühl haben, der ist ein bisschen über. Das ist tatsächlich nicht der Versuch: Antworten! Sondern das ist der Versuch, das Problem zu verstehen."
    Misslungen statt mitreißend
    Leider ist dies nicht gelungen. Die Perspektivlosigkeit eines Drogen konsumierenden Großstadthedonisten reicht, um radikal zu werden? Eine zu einfache Erklärung für so ein komplexes Thema, das gerade die ganze Welt beschäftigt.
    Im vergangenen Jahr haben Trümmer auf ihrem Debütalbum die Leere aller Vincents mitreißend in authentische Texte und großartige Musik gepackt. Es war mit Sicherheit die bessere Rock-Oper.
    "Man überschätzt glaube ich so ein bisschen so einen Aufgabenkreis von Kultur, wenn man jetzt sagt: 'Okay, da muss jetzt am Ende ein pragmatisches Ergebnis da sein!' Also wir können erst einmal nur einen Raum aufmachen."
    Mehr zum Langzeitprojekt "100 Jahre Gegenwart" finden Sie auf der Seite des Berliner Haus der Kulturen der Welt