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Rockband Black Heino
"Widerständigkeit ist uns wichtig"

Diego Castro ist der Sänger der Band Black Heino. Das Trio hat gerade mit "Heldentum und Idiotie" ihr Debütalbum veröffentlicht. Ihre Musik ist lärmend, scheppernd, politisch und spielt mit Klischees. "Ja, jetzt mal Faust aufs Auge, das ist genau das Richtige", würden viele Leute denken, wenn sie die Musik der Band hören, so Diego Castro.

Diego Castro im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 23.07.2016
    Bild zeigt die aktuellen Mitglieder der Band Black Heino, Max Power, Kpt. Plasto und Diego Castro
    Die Berliner Band "Black Heino" (Tapete Records / Pressefoto: John Brömsler)
    Anja Buchmann: Im Juli 1976, vor 40 Jahren, ist in England die erste Punksingle veröffentlicht worden: "New Rose" von The Damned. Und anlässlich des 40. Geburtstags der Punk-Bewegung, angesiedelt mit dem Debütalbum der Sex Pistols im November, will der Sohn von Vivienne Westwood und Malcolm McLaren seine Punk-Sammlung verbrennen. Wie viel Punk ist in Ihrer Musik?
    Diego Castro: Wie viel Punk ist in unserer Musik? Ich würde sagen - großes Missverständnis ist, dass wir eine Punkband sind. Wir sind eine Band, die mit Punk sozialisiert wurde, für die Punk Widerständigkeit beinhaltet, das ist für uns wichtig. Aber musikalisch gesehen sind wir eigentlich eher eine Rhythm and Blues-Band, die sozusagen die Gegensätze vereint, dass man auf der einen Seite auf eine Back To Basics-Rockmusik steht oder wieder hinkommen will und auf der anderen Seite die Prägung natürlich hat durch eine Musik, die in Deutschland anfing mit deutschen Texten, Inhalte zu bringen, die sich festgesetzt haben und eine Methodik zu bringen, die festgesetzt hat. Aber ich würde uns nicht als Punkband bezeichnen.
    Buchmann: Also inhaltlich würden Sie schon mit einem gewissen politischen Anspruch beziehungsweise auch einer gewissen Widerständigkeit d'accord gehen, aber musikalisch nicht.
    Castro: Nein, nicht wirklich.
    Buchmann: Es wurde geschrieben, dass auch ein bisschen Hamburger Schule in Ihnen steckt, da wiederum hab ich ein kleines Fragezeichen hinter - können Sie sich damit anfreunden?
    Castro: Ja, das kann ich auf jeden Fall, weil ich bin zum Beispiel im selben Alter wie die Jungs von Tocotronic. Ich hab damals auch Musik gemacht, leider erfolglos. Das ist für mich auch eine Prägung gewesen, zu sehen, hier sind Jungs aus meiner Heimat - ich komme ja auch aus dem Hamburger Umland...
    "Ich habe keine Ambitionen auf ein internationales Publikum"
    Buchmann: Sie haben auch länger in Hamburg selbst gelebt?
    Castro: Ich habe auch in Hamburg gelebt. Aber ich komme aus Buxtehude, wie wir alle übrigens. Aber das war so: Auf einmal war eine Musik da... ich sag mal, die ersten Bands, die man mitkriegte, waren Kolossale Jugend, Mutter, die ja aus Berlin sind, da habe ich die erste Platte mir gekauft, als die raus kam. Da merkte man einfach: Okay, Du kannst was mit deutscher Sprache machen, was nicht peinlich ist. Insofern ein Einfluss, zu dem ich sagen konnte: Ja, das möchte ich eigentlich auch machen. Ich habe keine Ambitionen auf ein internationales Publikum - das schafft auch keine deutsche Band außer vielleicht Can oder Kraftwerk, überregional relevant zu sein. Und das war sozusagen der Impetus - was ist der Bezugszirkel, zu wem spricht man überhaupt? Und wie kann man sprechen.
    Buchmann: Das heißt, die Tatsache, dass Sie auch politisch positionierte und engagierte Musik machen, hat auch mit Ihrer Hörerfahrung zu tun.
    Castro: Das würde ich sagen, also die Idee zumindest, dass man das in der Musik unterbringen kann.
    Buchmann: Ob jetzt Punk, okay, Sie sagen, nicht Punk, vom musikalischen her - oder Rhythm and Blues oder ein bisschen auch Hamburger Schule, auf jeden Fall mit politischen Protesttexten - ist das eine Musik, die gerade jetzt gut passt: Einerseits gibt es die gesättigten Mittelschichten, die auch immer mehr bröckeln, andererseits zunehmendes Auseinanderdriften von Reich und Arm - und große Unsicherheit, wenn man ans Weltgeschehen denkt: Flüchtende, Krisenherde, Terror, wie auch immer. Ist das so, dass so eine Musik, wie Sie sie machen, die Zeit vielleicht auch braucht?
    Castro: Ja, das ist schon richtig beschrieben. Wir haben in Deutschland einen bröckelnden Mittelstand, der verunsichert ist und demensprechend so oder so reagiert: Die einen gehen für links auf die Straße, die anderen für rechts. Ich sag mal, um ein paar große Worte zu benutzen: Es gibt ein Unbehagen in der Kultur, was sich wieder manifestiert und die Unterhaltungsindustrie reagiert da drauf mit Nabelschau und Introspektion und Gefühligkeit, Intensivierung von Gefühlen. Und das wird von immer weniger Leute glaube ich geglaubt und ich glaube auch, dass viele Leute uns hören und denken: Ja, jetzt mal Faust aufs Auge, das ist genau das Richtige.
    Buchmann: Was meinen Sie mit Gefühligkeit? Das sind diese Singer Songwriter, die ihr Innerstes nach außen kehren und wo man sich denkt: Muss man das jetzt wissen...
    Castro: Ja, ich nenne keine Namen, aber man muss nur das Radio anschalten und man hört es die ganze Zeit. Leute, die von so starken, übermannenden Gefühlen singen, die genauso viel zu sagen haben wie das Gefühl, das man hat, wenn man den ganzen Tag unter der Dusche steht mit einer Wellness-Dusche.
    "Ich hoffe auf eine weniger totalitäre Zukunft"
    Buchmann: Haben Sie eigentlich Vertrauen in die Zukunft, habe ich mich gefragt - wenn man Ihren Song "Europa: 2 Frauen" anhört, in dem Sie zum Beispiel singen: "Auf's Mittelmeer, auf's Mittelmeer ziel ich mit dem Schießgewehr. Hey Dönermann! Jetzt bist Du dran! Der Staat sieht sich das erstmal an" - haben Sie Vertrauen in die Zukunft?
    Castro: Bedingt. Ich hoffe auf eine weniger totalitäre Zukunft als das, was sich jetzt in der Türkei gerade anbahnt. Das ist ja geradezu ein faschistischer Staatsstreich. "Europa: 2 Frauen" ist ein Stück, das spielt auf Frontex an - da sind wir auch schon in der richtigen Region. Eines unserer ältesten Stücke, das habe ich schon vor fünf Jahren geschrieben und da war gerade die Griechenlandkrise in vollem Gange. Deutschland und insbesondere die deutsche Presse ergossen sich in einem Schwall von Hass über Griechenland und seine Bevölkerung, was ich total unmöglich fand. Immerhin ist es ein demokratischer Staat und völlig legitime Sozialsysteme und so weiter. Zur gleichen Zeit kam diese ganze NSU-Geschichte raus, also die Dönermorde entpuppten sich als Rechtsterrorismus, der zum Teil auch noch staatlich gedeckt war, wenn man an den thüringischen Verfassungsschutz denkt und die V-Männer. Dann kommt auf der anderen Seite Thilo Sarrazins sozialchauvinistisches Buch, rassistisches Buch raus und die EU schirmt sich indessen militärisch ab. Menschenwidrige Pushback-Aktionen wurden gegen Flüchtlinge durchgeführt. Das war der Zeitpunkt, als ich das schrieb und da war ich unheimlich sauer. Und was ich merke, ist, dass das Stück nach fünf Jahren immer noch aktuell ist. Und daher ist die Zuversicht, die ich in die Zukunft habe, jetzt etwas begrenzt.
    Buchmann: Ist das auch das Stück, in dem Sie singen "Deutschland schafft sich an"?
    Castro: Ja, das ist die Anspielung auf Sarrazin. Deutschland hat sich angeschafft.
    "Wie sollte man nicht fatalistisch sein?"
    Buchmann: Genau, nicht abgeschafft, sondern angeschafft. Die Frage ist: Was bringt es eigentlich, lauthals zu protestieren? Ich habe vor einigen Monaten mit Peter Hein von Fehlfarben gesprochen und der meinte zu einer Frage etwas rheinisch pragmatisch: "Es ist ja eigentlich wurscht, was ich gern hätte oder nicht hätte, das ist im großen und ganzen der Weltläufe als auch der Zustände in irgend einem Land so was von egal. Ich kann sagen: Mir gefällt das und das nicht, aber es wird sich eh nicht ändern. Man kann es ja trotzdem sagen." Zitat Peter Hein. Können Sie damit was anfangen? Das klingt ja fast schon fatalistisch.
    Castro: Ja, ich meine Gegenfrage: Wie sollte man nicht fatalistisch sein? Man hat ja immer mitgekriegt, wie Protest und Widerständigkeit sich mal in der Kultur manifestiert und dann bringt es doch nichts. Man ist Don Quichotte, der gegen die Mühlen kämpft. Da kann man nichts machen. Aber auf der anderen Seite ist das ja kein Grund zu schweigen und zu sagen: Das bringt nichts. Ich glaube, dass das schon was bringt, wenn Leute sich manifestieren, wenn Stimmen gehört werden, die vielleicht anders kein Forum haben. Es gibt ja durchaus sprachliche Ebenen, die man eben nicht in den Nachrichten hört. Wie der Engländer sagt: Not the nine o'clock news.
    Buchmann: In einer Kritik zum Album hieß es: "Vom Himmel hoch die Polizei", könnte aktuell zum Soundtrack der Berliner Linksautonomen-Szene in der Rigaer Straße werden. Wie sehen Sie als Wahl-Berliner aus Kreuzberg die Auseinandersetzungen in Friedrichshain zwischen Linken und Polizei oder Politik?
    Castro: Das ist wieder mal so ein Fall von halber - jetzt muss ich vorsichtig sein, was ich sage, aber - halber Inszenierung. Es ist provoziert worden, dass dort was passiert, sage ich mal so.
    Buchmann: Provoziert worden durch wen?
    Castro: Ich formuliere es mal anders: Herr Henkel hätte anders operieren können. Er hätte durchaus was zur Entspannung der Lage beitragen können, das hat er glaube ich mit Absicht nicht gemacht.
    Buchmann: Der Innensenator von Berlin ...
    Castro: Genau. Um sich politisch zu profilieren. Und ich denke, wo Bürgerinteressen gleich subsumiert werden als "Terrorismus", wie man das leider in der BZ zum Beispiel lesen musste, das finde ich schlimm. Das finde ich eine Diffamierung von Leuten, die Recht haben auf Stadt und in der Stadt leben wollen. Ich glaube nicht, dass der Staat das primäre Interesse verfolgen sollte, die Ansprüche von chinesischen Investoren zu verteidigen.
    "Das Prinzip der Demokratie wird ausgehöhlt"
    Buchmann: Und dennoch kann man sich fragen, ob die Mittel die wirklich richtigen Mittel der Wahl sind.
    Castro: Das ist natürlich ... Zum Beispiel würde ich es da besser finden, ein Lied zu singen, als ein Auto anzuzünden. Also Autos anzünden ist auch eine Wahnsinns-Umweltverschmutzung, das verstehe ich gar nicht, wie man das machen kann. Aber ich muss noch was dazu sagen: Dieses Stück, das sozusagen vorgeschlagen wurde als Hymne der Aufstände, also "Vom Himmel hoch die Polizei" meint nicht Polizeihelikopter. Sondern es ist tatsächlich als philosophischer Begriff gemeint, und zwar ganz genau bei Jaques Rancière ausgeliehen und zwar geht es da um die Durchsetzung von Ordnung, die Festsetzung von Ungleichheit. Es spielt an auf ein Buch von ihm: "Der Hass der Demokratie". Und da beschreibt Rancière, wie wir mit Bewaffneten versuchen, Demokratie in andere Länder zu exportieren. Das Prinzip der Demokratie wird ausgehöhlt dadurch, dass wir Demokratie exportieren und Waffen exportieren. Mit diesen Waffen installieren wir aber angeblich die demokratischen Grundwerte, die den Einsatz von Waffengewalt, die polizeiliche Durchsetzung unserer demokratischen Werte, rechtfertigen soll. Die Subjekte dieser polizeilichen Handlung werden nicht gefragt, sondern sie werden stattdessen bombardiert. Wer dann zu uns kommt, weil er an unserem demokratischen Wertesystem teilhaben will, der wird dann im Zweifelsfall abgeschoben. Und darum geht es in diesem Song. Das ist kein Song, in dem es überhaupt um Polizisten geht.
    Buchmann: Das ist wieder ein Beispiel dafür, wie kann man Songs, wenn man die Hintergründe nicht kennt, wie kann man sie hören, wie kann man sie lesen, wie kann man sie auf aktuelle Situationen anwenden oder eben auch nicht anwenden. Die Frage, die sich mir noch stellt: Sind Sie ein akribischer Songschreiber, Texteschreiber, der auch richtig daran feilt?
    Castro: Überhaupt nicht. Nein, das ist relativ spontan, ich sitze im Café oder so. Kritzel was zusammen, dann bringe ich es zur Bandprobe mit und dann merke ich, was nicht funktioniert und ändere das dementsprechend in der Musik ab. Im Grunde genommen strukturell sieht man das ja auch - das ist vielleicht der große Unterschied zwischen uns und Bands der Hamburger Schule, wie Blumfeld oder so, dass die Texte relativ simpel gestrickt sind.
    Buchmann: Das stimmt, das ist ein großer Unterschied. Das wirkt etwas mehr "rausgerotzt", sage ich mal.
    Castro: Ja. Dennoch sind sie nicht primitiv.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.