Donnerstag, 18. April 2024

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Roger Ciceros vorletztes Konzert
"Die ganze Sache mit Roger war wie eine Rakete"

Bevor er 2016 überraschend verstarb, spielte Roger Cicero in Basel im November 2015 sein vorletztes Konzert. Die Popsongs im Jazzgewand sind nun auf CD erschienen. Mit bei dem Konzert war auch der Bassist Hervé Jeanne. Roger Cicero habe es verstanden, die Leute mit auf dieser Reise in die Jazzwelt zunehmen, sagte der Luxemburger Musiker.

Hervé Jeanne im Gespräch mit Sigrid Fischer | 02.06.2017
    Der Jazz-Sänger Roger Cicero während eines Konzerts im Oktober 2014.
    Der Jazz-Sänger Roger Cicero während eines Konzerts im Oktober 2014. (Imago / Star-Media)
    Sigrid Fischer: "50 Ways to Leave Your Lover", der Paul-Simon-Hit in der Version der Roger Cicero Jazz Experience. Am 24. März letztes Jahr ist der deutsche Jazz- und Popmusiker Roger Cicero gestorben, ein halbes Jahr, nachdem das erste und das letzte Album mit seiner dreiköpfigen Band erschienen war – die Roger Cicero Jazz Experience. Am 9. November 2015 hat die Formation in Basel, bei den Baloise Sessions, gespielt, und es sollte das vorletzte Konzert in dieser Zusammensetzung werden. Im Programm: Popsongs im Jazzgewand: Songs von Nick Drake, Paul Simon, James Taylor, Tom Waits. Lieblingssongs waren es von Roger Cicero. Und neben dem Studioalbum, das es schon gibt mit diesem Programm, ist jetzt auch dieses Konzert auf CD erschienen. Und zur Band gehörte neben dem Schlagzeuger Matthias Meusel und dem Keyboarder Maik Schott auch der Luxemburger Bassist Hervé Jeanne. Und mit ihm bin ich verbunden, guten Tag, Herr Jeanne!
    Hervé Jeanne: Guten Tag!
    Fischer: Welche Erinnerungen haben Sie an dieses vorletzte Konzert mit der Roger Cicero Jazz Experience?
    Jeanne: Ja, das war ein wunderbarer Abend, Basel, Schweiz, da wird man auch immer sehr gut behandelt, gutes Essen, tolles Festival, nach uns hat Gregory Porter gespielt, also alles wunderbar. Wir wurden wirklich sehr herzlich empfangen und, ja, es war ein rundum gelungener Abend. Also, ja, natürlich jetzt im Kontext von dem, was danach passierte, und das Bewusstsein, dass das das vorletzte Konzert werden sollte, sieht es natürlich ein bisschen anders aus, aber so rein, wie es an diesem Abend war, war einfach alles ein rundum gelungener Abend.
    "Roger hat es wirklich draufgehabt, die Leute dann doch mitzunehmen auf dieser Reise in die Jazzwelt"
    Fischer: Sie hatten ja schon viele Konzerte mit diesem Programm in Deutschland gegeben und ich hatte gelesen, anfangs haben die Leute da nicht so drauf angesprochen in Deutschland, denn die haben ganz andere Songs erwartet, die deutschsprachigen Songs zum Beispiel von diesem Album "Männersachen" oder so was, und haben sich erst langsam darauf eingelassen. War das so?
    Jeanne: Es gab tatsächlich ein paar Konzertsituationen, wo ich das Gefühl hatte, dass das nicht so ganz klar kommuniziert wurde, dass Roger jetzt nicht mit seinem bekannten deutschen Programm auftritt. Und da gab es tatsächlich manchmal bei den ersten Stücken so ein paar irritierte Gesichter. Aber Roger hat es wirklich draufgehabt, die Leute dann doch mitzunehmen auf dieser Reise in die Jazzwelt, sodass doch am Ende die meisten Konzerte mit Standing Ovations endeten. Und ich glaube, jeder ging nach Hause und sagte vielleicht, okay, das war ein bisschen anders vielleicht, als ich es erwartet hatte, aber hat mir trotzdem super gefallen. Also, so waren die Reaktionen sehr oft.
    Fischer: Ist das ein Lob für Sie, wenn ich sage: Hm, bei einigen Songs brauchte ich schon eine Weile, um die zu erkennen? Also, um zu erkennen, was das war eigentlich im Originial?
    Jeanne: Ach, Lob, darüber mache ich mir gar keine Gedanken, ob das so sein soll oder nicht. Also …
    "Man nimmt ein Stück von bekannten Popkünstlern oder Singern-Songwritern und macht was Eigenes daraus"
    Fischer: Der Hintergrund meiner Frage ist: Ich denke so, Sie waren nicht die Ersten natürlich, die so was gemacht haben, aber was ist eigentlich der Spaß daran, wenn man sehr bekannte Lieder, möglicherweise die eigenen Lieblingssongs auch noch ja so förmlich auseinandernimmt und ganz neu wieder zusammensetzt? Wo ist da der Kick dabei?
    Jeanne: Ja, also, das ist glaube ich so ein bisschen eine Tradition bei Jazzmusikern. Man nimmt ein Stück von bekannten Popkünstlern oder Singern-Songwritern und macht dann was Eigenes daraus. Die gibt es schon auf eine Art, die für sich perfekt ist. Und deswegen ist die Herangehensweise immer so: Lass uns die Basis nehmen und daraus was Eigenes machen. Und das ist im Prinzip das, was Jazzmusiker seit eh und je machen.
    Fischer: Ja, ja, klar. Sie waren ja schon vorher in Roger Ciceros Big Band auch, da waren Sie elf Musiker. Und danach eben haben Sie dieses Trio beziehungsweise Quartett mit Roger zusammen gemacht. Was ändert sich da im Zusammenspiel, wenn man elf ist oder vier ist?
    Jeanne: Bei der Big Band ist meistens alles vorgegeben und da hat ein Mensch sich Gedanken gemacht, ein Arrangement geschrieben, und dann wird es so gespielt. Bei dem Jazzprojekt haben wir sogar gar keine Noten gehabt. Wir haben vielleicht die Akkorde mal skizziert, aber dann war schnell klar, dass wir gesagt haben: Okay, aber bei den Konzerten gibt es einfach keine Noten und wir hatten alles im Kopf. Und das erlaubt dann auch mehr Freiheiten, dass man noch spontan dies und das geschehen lassen kann beim Spielen.
    Fischer: Bei der kleineren Formation wird auch der Kontrabassist vielleicht ein bisschen mehr gesehen als in der großen Big Band?
    Jeanne: Ja, ja. Wobei …
    Fischer: Ja …
    Jeanne: Ich bin ja ein bescheidener Mensch, darum geht es bei mir nicht. Ich bin froh, wenn ich als Teil des Ensembles meinen Beitrag leiste, dass das Ganze gut gelingt. Und na ja, natürlich, es macht schon Spaß, wenn man ein bisschen mehr Freiheit hat, das stimmt.
    Fischer: Sie haben eine schöne Solopassage in dem Stück "Boogie on Reggae Woman" zum Beispiel, …
    Jeanne: Ja, danke schön!
    Fischer: … das kommt dann öfter mal vor wahrscheinlich auch in der kleinen Formation!
    Jeanne: Ja, genau. Das ist ja auch der Spaß beim Jazz, dieses Solieren, dass man sich die Bälle zuspielt und jeder dann drankommt mit einem Solo. Und das kommt tatsächlich in der Big Band … Da hatte ich am Abend vielleicht einmal eine Solostelle. Beim Konzert in Basel war es ein bisschen speziell. Denn dadurch, dass wir fliegen mussten, hatte ich nicht meinen eigenen Bass dabei, da musste ich mich über das ganze Konzert erst mal an diesen Bass gewöhnen. Aber am neunten Stück angekommen, da wusste ich ungefähr, wie man diesen Bass spielt, und ja, das hat dann Spaß gemacht.
    "Unser Plan war eigentlich, weiterzumachen in Richtung eigene Stücke komponieren"
    Fischer: Welche Pläne hatten Sie noch eigentlich, wenn es weitergegangen wäre?
    Jeanne: Da ging es ja erst mal nur um so ein Projekt für zwischendurch so. Aber dann war die Resonanz wirklich toll und dann kam es zu dieser ersten Studioplatte und unser Plan war eigentlich, weiterzumachen in Richtung eigene Stücke komponieren. Das war so ein bisschen der Plan.
    Fischer: Man hat ja als Bassist wie Sie parallel mehrere Projekte normalerweise laufen. Wahrscheinlich hatten Sie dann nicht mehr so viel Gelegenheit, weil es mit Roger einfach so gut lief. Wie ist es für Sie jetzt danach weitergegangen? Ist das einfach, dann wieder woanders einzusteigen und dann andere Formationen zu finden?
    Jeanne: Ja, das war ganz eigenartig. Natürlich war die Nachricht ein Schock. Und die ganze Sache mit Roger war ein bisschen wie so eine Rakete. Das ging los und dann bamm, bamm, gab es ständig die unglaublichsten Ereignisse, Auftritte, Erfolge, das war einfach unglaublich, wie so ein Höhenflug. Und dann plötzlich, als würde die Rakete explodieren, dann war ich im Freifall quasi. Aber zum Glück kamen so ein paar kleinere Anfragen links und rechts, eigentlich nur vereinzelte Sachen, die mir gezeigt haben: Okay, es geht weiter, es gibt noch Arbeit für mich, sagen wir mal. Ja, jetzt arbeite ich selber daran. Also, ja, ich habe selber ein paar Ideen im Moment. Ich habe gerade ein Projekt angefangen mit einer Pianistin und Sängerin, die aus Litauen kommt, und am Schlagzeug spielt der Matthias, der bei der Jazz Experience und bei den Roger-Sachen auch immer dabei war.
    Fischer: Matthias Meusel.
    Jeanne: Und das ist ganz schön, dass ich mit ihm unsere gemeinsame musikalische Geschichte fortführen kann, halt in einem anderen Kontext. Und das ist jetzt zum Beispiel ein Projekt, wo ich an eigenen Songs arbeite und hoffe, dass da mehr draus wird.
    Fischer: Hervé Jeanne. Ja, jetzt ist er erst mal zu hören mit seinem Kontrabass auf dem postum erschienenen Live-Album, die "Roger Cicero Jazz Experience", so heißt es, das Basel-Konzert von November 2015. Ja, danke und viel Erfolg weiterhin für Sie!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.