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Rohingya in Indien
Nationalistische Hindus hetzten gegen Geflüchtete

Rund 40.000 meist muslimische Rohingya sind aus Angst vor Verfolgung von Myanmar nach Indien geflohen. Doch auch dort finden sie keinen Frieden. Nationalistische Hindus hetzen gegen muslimische Flüchtlinge - mit Unterstützung der indischen Regierung.

Von Horst Blümel | 04.12.2018
    Die Rohingyas flüchten weiterhin aus Myanmar (29.9.2017).
    Die Rohingya flüchten aus Myanmar - willkommen sind sie aber nirgendwo (AFP / Fred Dufour)
    Nizamuddin: "Ich hatte die 10 Polizisten kommen sehen. Sie wollten mich verhaften, aber ich bin ihnen entwischt. Die Regierung hatte mich schon länger im Visier gehabt, weil ich in Myanmar für die UN tätig gewesen war. Die Regierung befürchtet, dass Leute wie ich die Welt darüber informieren, was in meiner Heimat geschieht."
    Farida: "Es ging einfach nicht mehr in Myanmar. Egal ob wir unser Dorf verlassen wollten oder vorhatten zu heiraten - immer mussten wir dafür eine Erlaubnis einholen. Weder das Land, das wir bewirtschafteten, noch die Hütte, die wir gebaut hatten, gehörten uns, weil Rohingya in Myanmar kein Recht auf Eigentum haben. Und unsere Kinder durften die Schule nicht besuchen. Vor 6 Jahren begannen buddhistische Mönche, die Gläubigen gegen Muslime, und ganz besonders gegen uns Rohingya, aufzuwiegeln. Als radikale Buddhisten mithilfe der Armee und der Polizei begannen, unsere Dörfer zu verwüsten und Rohingya zu töten, sind wir geflohen."
    Rafiq: "Ich heiße Rafiq und bin 22 Jahre alt. Ich bin von Myanmar nach Indien geflohen, weil die Regierung uns Rohingya schlecht behandelt. Jeden Tag mussten wir ums Überleben kämpfen. Irgendwann hatte unsere Familie nichts mehr zu essen. Dann sind wir 3 Tage lang durch den Dschungel nach Bangladesch gelaufen und von dort nach Indien. In meinem ganzen Leben werde ich die Flucht von Myanmar nach Indien nicht vergessen!"
    Die UN spricht von "ethnischen Säuberungen"
    Nizamuddin, Farida und Rafiq sind Rohingya, Angehörige einer muslimischen Minderheit im südostasiatischen Myanmar, dem früheren Birma. Fast alle Rohingya leben im Westen des Landes, in der Provinz Rakhine an der Grenze zu Bangladesch. Die Regierung Myanmars behauptet, die Muslime seien illegale Einwanderer aus Bangladesch, aber die seit Generationen in dieser Region lebenden Rohingya sehen sich als Staatsangehörige Myanmars.
    Immer wieder kommt es in Myanmar zu Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und Rohingya-Rebellen. Im August des vergangenen Jahres überfielen militante Rohingya Grenzposten und töteten dabei mehrere Soldaten. Seitdem geht das Militär
    brutal gegen die Muslime vor: Ganze Dörfer gingen in Flammen auf, Frauen wurden vergewaltigt und Tausende Muslime getötet. Fast eine Million Rohingya sind vor der Gewalt nach Bangladesch geflohen. Die Vereinten Nationen bezeichnen das Vorgehen des Militärs als ethnische Säuberung. Die De-facto-Regierungschefin von Myanmar, Aung San Suu Kyi:
    "Ich halte es nicht für angebracht, von 'ethnischer Säuberung' zu sprechen. Wenn die Rohingya zurückkehren wollen, wird ihnen nichts geschehen."
    Myanmars De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi spricht am 19. September 2017 in Myanmars Hauptstadt Naypyitaw über die Lage der Rohingya-Minderheit.
    Aung San Suu Kyi wehrt sich gegen den Vorwurf, Myanmar führe "ethnische Säuberungen" durch (picture alliance / Aung Shine Oo)
    "Immer wieder müssen wir unsere Wohnung wechseln"
    40.000 Rohingya haben Zuflucht in Indien gesucht. In einem Land, das sich 1947 nach dem Abzug der britischen Kolonialherren gravierenden ethnischen und religiösen Differenzen gegenübersah. Es kam zur Teilung des Landes: In das überwiegend hinduistische Indien und die muslimischen Länder Pakistan und Bangladesch. Heute sind 80 Prozent der Bewohner Indiens Hindus und 14 Prozent Muslime. Das Verhältnis zwischen den beiden größten Glaubensgruppen ist angespannt. Viele Hindus behaupten, die Muslime seien potenziell gewalttätig, neigten zum Extremismus und hielten heimlich zu Pakistan - eine Haltung, die durch nationalistische Hinduführer oft geschürt wird.
    In Indiens Hauptstadt Neu-Delhi haben Rafiq, Farida und Nizamuddin mit seiner Ehefrau Ambiah Unterschlupf gefunden. Das Ehepaar lebt mit seinen drei Töchtern in einen kleinen Zimmer. Das Essen bereitet Ambiah auf einem Petroleumkocher im Hausflur zu. Nizamuddin sagt:
    "Wir denken immer daran, dass wir uns zurückhalten müssen. Wenn uns jemand grob behandelt oder verächtlich über uns spricht, bleiben wir ruhig. Immer wieder müssen wir unsere Wohnung wechseln, weil die Vermieter sagen: 'Ihr seid Rohingya. Deswegen kommt die Polizei auch ständig vorbei und befragt euch. Ihr seid keine guten Leute!'. Alle indischen Fernsehsender vermitteln dieses Bild - dass Rohingya von Grund auf schlecht sind. Und so werden wir dann auch oft gesehen - in der Öffentlichkeit und von unseren indischen Nachbarn, die fast immer Hindus sind."
    "Jeden Tag bekomme ich die Abneigung zu spüren"
    Dass die Muslime aus Myanmar in Indien nicht willkommen sind, erlebt Ambiah jeden Tag. Sie begleitet ihre Landsleute ins Krankenhaus, da viele Rohingya weder Englisch noch Hindi, die hiesige Sprache, beherrschen.
    "Jeden Tag bekomme ich die Abneigung zu spüren. Ich begleite unsere Leute ins Krankenhaus. Die Ärzte fragen mich jedes Mal, woher wir stammen und warum wir hier sind. Und immer fragen sie, ob ich legal nach Indien gekommen bin. Jeden Tag die gleichen Fragen!"
    Das Rohingya-Flüchtlingslager "Darul Hijrat" am Rande von Neu Delhi (Indien), aufgenommen am 11.09.2017.
    Auch in Indien erwartet die Rohingya keine sichere Zukunft (Picture Alliance / Nick Kaiser)
    Nizamuddin hat noch einige Familienangehörige in Myanmar: Auch sie wollen das Land verlassen, aus Angst um ihr Leben.
    "Sie haben angerufen und gefragt, wie es uns in Indien ergeht und ob sie nicht auch hierher kommen können. Aber ich bin dagegen. Ich erzähle ihnen dann von unseren Problemen hier. Vor Kurzem wurde auch hier eine Rohingya-Siedlung niedergebrannt. 50 Familien wohnten dort. Ein Hindu hat danach in aller Öffentlichkeit gesagt, dass er das Feuer gelegt hat. Und dass er dies jederzeit wieder tun würde. Außerdem hat die indische Regierung angekündigt, alle Rohingya nach Myanmar zu deportieren. Hier sind wir auch nicht sicher!"
    "Es ist unser Schicksal, nirgendwo willkommen zu sein"
    Am 4. Oktober 2018 ließ die indische Regierung zum ersten Mal sieben Rohingya nach Myanmar deportieren. Mit der Begründung, dass sie illegal ins Land gekommen seien und sich nicht bei der UN registriert hätten. Außerdem habe Indien genug eigene Probleme und müsse seine Ressourcen schonen. Von staatlicher Stelle bekommen die Rohingya keine Unterstützung.
    Rafiq: "Bei meiner letzten Arbeitsstelle wollten sie mir nur 2000 Rupien geben, obwohl wir vorher 3000 abgemacht hatten. Für täglich 12 Stunden harter Arbeit! Einmal habe ich in einem Hotel in der Küche gearbeitet und das Essen serviert. Und dann wollte man mich ohne Bezahlung wegschicken. Wir können nicht viel machen, wenn man uns den Lohn nicht zahlt. Oft haben wir deshalb schon geweint!"
    Nizamuddin: "Die ganze Welt weiß, dass wir weder Bürger- noch Menschenrechte haben, dass wir uns nicht frei bewegen können und keinen Handel treiben dürfen. Und dass uns all dies seit vielen Generationen geschieht. Offenbar ist es unser Schicksal, nirgendwo willkommen zu sein. Aber zumindest sind wir hier in Indien am Leben geblieben."