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Rohöl an Reisrand

Die schlechte Nachricht kam aus der Schweiz: Erdölreste in Reis, Nudeln und anderen Trockenlebensmitteln. Die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Richtwerte für die tägliche Aufnahme solcher Stoffe: um das 40-Fache überschritten.

Von Bernd Schuh | 25.09.2011
    Mit seinen hochsensiblen Messmethoden hatte das Kantonale Labor Zürich schon öfter Schadstoffe in Lebensmitteln entdeckt und damit Diskussionen über Gegenmaßnahmen und Verordnungen auch in Deutschland ausgelöst. Diesmal aber hat das Problem eine zusätzliche Dimension: Eine Interessenkollision zwischen Verbraucherschutz und Umweltschutz . Denn die Erdölrückstände stammen aus den Papierfasern von Recyclingverpackungen. Dorthinein gelangen sie aus der Druckerschwärze alter Zeitungen. Das Verbraucherschutzministerium möchte den Gehalt an Mineralölrückständen per Verordnung begrenzen. Die beteiligten Wirtschaftszweige protestieren – und schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Die Zeitungsverleger wollen ihre Druckfarben nicht umstellen – aus Kostengründen und weil man sie gesetzlich dazu nicht verdonnern kann. Würde man andererseits auf Recyclingverpackungen für Lebensmittel ganz verzichten, wären Umweltschutz und Papierhersteller die Leidtragenden. Auch das teilweise Entfernen der Farbe aus dem Altpapier scheint angesichts der Höhe der Belastung keine Lösung. Gesetzt wird derzeit auf zusätzliche Innenverpackungen, die sollen die Lebensmittel vor den Gasen aus dem Altkarton schützen. Ob dieser Ansatz die geplanten Grenzwerte retten kann, ist fraglich.

    Werbefilm BfR:

    "Jede Minute unseres Lebens, jede Situation im Alltag kann ein Risiko für unsere Gesundheit bergen"

    Frau: "Komm essen. Nudeln sind fertig."

    Mann: "Hast du auch Öl dran getan, dass sie nicht so pappen?"

    Frau: "Braucht man nicht mehr. Ist schon drin."

    Werbefilm:

    "Auch wenn uns der Staat durch Gesetze und Kontrollen noch so gut schützt – ein Leben ohne Risiko wird es nie geben."

    Rohöl an Reisrand – Wie Verpackung aus Altpapier das Essen belasten.""
    Von Bernd Schuh



    "Wir haben Nudeln, Reis, Müslis, Cornflakes untersucht, und wenn diese Produkte in Kartonschachteln verpackt waren, enthielten sie Mineralöl."

    Diese Geschichte, die das Zeug zu einem kleinen Skandal hat, aber zu keinem geworden ist, beginnt schon vor einigen Jahren im Schweizer Kantonalen Labor Zürich, einer staatlichen Einrichtung, unseren veterinärmedizinischen Landesuntersuchungsämtern vergleichbar. In Zürich hat sich der promovierte Chemiker Koni Grob auf den Nachweis von Schadstoffen in Lebensmitteln und Verpackungen spezialisiert. Auf Mineralöle als Bestandteil von Umverpackungen und Lebensmitteln stieß er schon vor mehr als 15 Jahren, ohne dass das ein großes Echo hervorgerufen hätte.

    "Mich hat immer überrascht, wie gleichgültig man dem Mineralöl gegenüber ist, es gibt Mineralöle, die nennt man "food-grades" das klingt dann so wie Salatöl, aber Mineralöl ist praktisch eine Chemikalie und hat mit Lebensmitteln nichts zu tun."

    Die Gleichgültigkeit mag daher rühren, dass Öle im Verarbeitungsprozess von Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen nicht wegzudenken sind. Rückstände von Maschinenöl aus dem Produktionsprozess, oder bewusst zugesetzte, sogenannte Batching-Öle gehören zum Produktionsalltag. Schon Anfang der 90er-Jahre entdeckte das Kantonallabor Erdölreste in Haselnüssen. Es stellte sich heraus, dass diese Verunreinigung aus Jutesäcken stammte, in die die Haselnüsse verpackt waren. Jute wird zwar aus Pflanzenfasern hergestellt, doch um ein genügend stabiles Gewebe zu erhalten, werden die Fasern vor dem Verspinnen mit einem sogenannten Batching-Öl gewalkt. Anschließend enthielten die Beutel etwa sieben Prozent Mineralöl und die Nüsse bis zu 80 Milligramm pro Kilo. Doch das ist eine alte Geschichte. Die Jutesäcke werden mittlerweile mit pflanzlichen Ölen gebatched.

    Für Aufregung sorgte Erdöl im Essen erst wieder 2009, als Koni Grob ähnlich hohe Anteile von Mineralölrückständen in Lebensmitteln wie Reis, Nudeln, Semmelbröseln, Müsli oder Cornflakes fand. Die sind nicht in Jutesäcken verpackt, wohl aber in Kartons aus Recyclingpapier. Und genau die waren dann auch bald als die Quelle der unerwünschten Belastung ausgemacht.

    "In einem typischen Recyclingkarton finden wir etwa vier Tropfen Öl, wenn ich eine solche Schachtel im Laden kaufe, befinden sich darin wahrscheinlich noch ungefähr ein Viertel, und wo sind die anderen drei? Die befinden sich im Lebensmittel und die isst der Verbraucher mit, auch wenn er das nicht sieht."

    Verbraucher sind abgehärtet. Alle Jahre wieder machen neue Schadstoffe von sich reden. Das war 2005/2006 der Trockenbeschleuniger für Lacke, ITX in Babymilch und Kinderkakao, das waren nur ein Jahr später Weichmacher, die Di-Isobutylphtalate, besser als DIBP bekannt, in Trockenlebensmitteln. Und nun eben die Mineralölrückstände aus den Recyclingkartons.

    "Mineralöle bestehen im wesentlichen aus zwei Bestandteilen, den gesättigten und aromatischen Kohlenwasserstoffen. Die gesättigten Kohlenwasserstoffe werden im menschlichen Körper angereichert, was sie bewirken im Menschen, weiß man im Grunde nicht, aber aus Tierversuchen weiß man, dass sie Entzündungen hervorrufen können in verschiedenen Organen. Aromaten stehen unter dem Verdacht, dass sie krebserregend sind."

    Werbefilm BfR:

    "Für die Sicherheit von Lebensmitteln, Stoffen und Produkten arbeitet in Deutschland das Bundesinstitut für Risikobewertung.Der Auftrag des BfR: Der Schutz der Gesundheit des Verbrauchers."

    Toni Grobs Untersuchungen veranlassten das deutsche Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, kurz BM11 genannt, zum Handeln. Das Ministerium beauftragte das BfR mit einer Risikoabschätzung. Die Risikobehörde zeigte sich alarmiert und riet zu schneller Abhilfe.

    "Wir unterscheiden bei der Bewertung eben auch zwischen der aromatischen Fraktion und der nicht aromatischen Fraktion",

    sagt der BfR-Toxikologe Detlef Wölfle.

    "Bei der aromatischen Fraktion kann es sein, dass da polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe drin sind, wir kennen die Substanzen im einzelnen leider nicht, darüber wissen wir leider nichts, aber wir können doch nicht ausschließen, dass einige dieser Stoffe eben auch Krebs erzeugend sind, und deswegen rührt daher eine gewisse Besorgnis."

    "Das Problem ist auch noch, wir haben hier wirklich ein sehr komplexes Stoffgemisch, das sich auch mit den sehr guten analytischen Möglichkeiten, über die Herr Grob verfügt, nur in zwei Berge auftrennen lässt - einmal die aromatische und die gesättigte Fraktion",

    erläutert Karla Pfaff, die beim BfR die Abteilung Nachweismethoden leitet.

    "Aber wir wissen nicht, welche Einzelsubstanzen da vorhanden sind. Und normalerweise hat man toxikologische Bewertungen, wenn sie zur Verfügung stehen, sind die meist auf eine einzelne Substanz bezogen."

    Hauptgrund für die Besorgnis des BfR ist das Ausmaß der Verunreinigung.

    "Der Grob hat sie klassifiziert in Mineralöle mit gesättigten Bestandteilen, dafür hatte er den Begriff MOSH eingeführt, und da lagen die Werte in Lebensmitteln ungefähr bei bis zu 28 mg pro Kilogramm, es gibt aber eine weitere Fraktion, die setzt sich zusammen aus aromatischen Kohlenwasserstoffen, das sind polyzyklische Kohlenwasserstoffe, und da lagen die Werte bei bis zu 6 mg pro Kilogramm Lebensmittel."

    Diesen zweiten Anteil, der wahrscheinlich das größere Gesundheitsrisiko darstellt, hat Toni Grob "MOAH" getauft, für mineral oil aromatic hydrocarbons. Lediglich die unter MOSH, für mineral oil saturated hydrocarbons, zusammengefassten Rückstände sind bekannt und gut untersucht. Man weiß, dass sie vom Körper aufgenommen und gespeichert werden. Ob sie, wie im Tierversuch, auch beim Menschen zu Entzündungen der Organe oder Schlimmerem führen können, ist jedoch nicht bekannt. Vorsorglich hat die Weltgesundheitsorganisation, WHO, einen Grenzwert für die akzeptable tägliche Aufnahmemenge der MOSH-Substanzen festgelegt.

    "Und der liegt bei einer Aufnahme von 0,01 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag, dieser Wert ist vorläufig, weil die WHO die toxikologischen Studien, die diesem Wert zu Grunde liegen, noch einmal neu bewerten will. Auf jeden Fall, so wie der Wert jetzt im Moment ist, kann man sagen, dass er um ein Vielfaches überschritten werden kann durch die Aufnahme von Lebensmitteln."

    Bei einem Erwachsenen von 60 Kilogramm Körpergewicht läge die laut WHO tolerierbare tägliche Aufnahmemenge bei 60 Mal 0,01 Milligramm, also 0,6 Milligramm. Koni Grob aber hatte 28 Milligramm in einem Kilo Lebensmittel gemessen, also das mehr als 40-Fache. Selbst beim Verzehr von nur 100 Gramm belastetem Reis oder Nudeln wäre die aus der WHO-Empfehlung abgeleitete Toleranzschwelle für MOSH schon vierfach überschritten. Legte man dieselbe Toleranzschwelle für die in ihrer Gefahr weit riskanter eingeschätzten aromatischen Ölrückstände, die MOAH-Fraktion, zugrunde, waren auch dort die tolerierbaren Werte mit dem Verzehr von 100 Gramm Lebensmittel bereits erreicht.

    "Was sich leider auch bei weiteren Untersuchungen herausgestellt hat: Man kann ja annehmen, dass beim Kochen von solchen Lebensmitteln wie Reis oder Nudeln diese Substanzen verdampfen. Das passiert leider nicht. Die bleiben also darin und es findet keine Abreicherung statt, also auch das zubereitete fertige Lebensmittel enthält noch diese Mengen an Mineralöl."

    Schlimmer noch haben die ersten Zürcher Untersuchungen die Belastungen eher unterschätzt. Eine 2010 durchgeführte Studie zum Übergang von Mineralölbestandteilen aus Verpackungen in Lebensmitteln, die sogenannte 119-Proben-Studie kommt zu folgendem Ergebnis:

    "Die Konzentration von MOSH, die aus bedruckten Kartons auf trockene Lebensmittel übergingen, überschritt häufig die 0,6 Milligramm pro Kilogramm um einen Faktor 10 bis 100."

    Der höchste Messwert lag bei 1,8 Gramm pro Kilogramm, das Dreitausendfache des angenommenen Grenzwerts. Zudem befanden sich die meisten Proben noch am Anfang ihrer Lebensdauer, die bei solchen Trockenwaren oft Jahre beträgt. Die vom Stuttgarter veterinärmedizinischen Institut und dem Kantonalen Labor in Zürich durchgeführte Studie kommt deshalb zu dem Schluss, dass sich die Mineralölrückstände bis zum Ablaufdatum im Schnitt noch verdreifachen würden.

    Für den Verbraucher ist die Situation unhaltbar. Erdöl gehört nicht in Lebensmittel, erst recht nicht in diesem Ausmaß. Die Fakten werden von niemand bestritten:

    Erstens: Mineralölrückstände wandern aus Recyclingverpackungen in trockene Lebensmittel.

    Zweitens: Sie stammen hauptsächlich aus den Fasern des recycelten Papiers und nicht aus den Aufdrucken auf den Verpackungen. Letzteres soll in einer eigenen Verordnung, der sogenannten Druckfarbenverordnung geregelt werden.

    Drittens: MOSH und MOAH gelangen in die Lebensmittel nicht durch direkten Kontakt mit dem Karton, sondern sie verdampfen aus den Kartons und schlagen sich auf Nudeln, Reis und Co nieder. Konsequenz: Je größer die Oberfläche der verpackten Lebensmittel, desto höher die Belastung.

    Viertens: Ihr chemischer Fingerabdruck entspricht genau dem von Druckfarben, wie sie im Zeitungsdruck Verwendung finden. Ergo stammen die Rückstände aus den Zeitungen im Altpapier.

    BfR Werbung:

    "Erkennen, bewerten, kommunizieren. Kompetent, unabhängig und international, für sichere Lebensmittel, Stoffe und Produkte, das ist der Beitrag des BfR zum gesundheitlichen Verbaucherschutz im 21. Jahrhundert."

    "Wir haben Vorschläge arbeitet und an unser Ministerium weitergeleitet, und die haben auf dieser Grundlage auch Gespräche geführt mit allen beteiligten Kreisen, angefangen von dem Zeitungsdrucker über die Papierhersteller, die Lebensmittelabpacker, und es ist jetzt in der Diskussion eine sogenannte Mineralölverordnung, mit der eine gesetzliche Regelung geschaffen werden soll."

    Seit Anfang Mai liegt der Entwurf dieser "Mineralölverordnung" vor. Darin heißt es unter anderem:

    "Zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor möglichen Gesundheitsgefahren sollten Höchstmengen für den Übergang von gesättigten und aromatischen Kohlenwasserstoffen aus Lebensmittelbedarfsgegenständen, die unter Verwendung von Altpapier hergestellt sind, auf Lebensmittel festgelegt werden."

    Bei der Festlegung dieser Höchstmengen orientiert sich der Entwurf an den bereits zitierten Werten der Weltgesundheitsorganisation. Für die MOSH-Fraktion fordert er:

    "Gesättigte Kohlenwasserstoffe: 0,6 Milligramm pro Kilogramm Lebensmittel."

    Für die unter Krebsverdacht stehenden aromatischen Anteile, die MOAHs, verlangt der Entwurf sogar :

    "Ein Übergang auf Lebensmittel darf nicht nachweisbar sein."

    Nachweisbarkeit ist gemeinhin durch technische Begrenzungen definiert. In diesem Fall wird sie einfach festgelegt:

    "Als nicht nachweisbar gilt ein Übergang von 0,15 Milligramm der Summe an aromatischen Kohlenwasserstoffen mit einer Kohlenstoffzahl zwischen 10 und 25 pro Kilogramm Lebensmittel."

    0,15 ist ein Viertel von 0,6. Das ist in etwa auch der Anteil der gefährlichen, aromatischen MOAH-Fraktion an den Mineralölrückständen in Lebensmitteln, die Toni Grob und auch die 119-Proben-Studie festgestellt haben. Außerdem sieht der Verordnungsentwurf eine Kennzeichnungspflicht für Hersteller und Verarbeiter von Verpackungen aus Altpapier vor, die auf diese Grenzwerte aufmerksam macht. Solche Vorschriften stoßen naturgemäß in der Wirtschaft nicht auf Gegenliebe. So lässt sich der Geschäftsführer des Fachverbandes Faltschachtelindustrie, FFI, mit der Befürchtung zitieren, er erwarte:

    "existenzgefährdende Konsequenzen für die Hersteller von Papier, Karton, Pappe und Faltschachteln aus Altpapierstoffen sowie eine Gefährdung des Papierrecyclings."

    Die Wirtschaftsverbände Papierverarbeitung, WPV, haben sich gar juristischen Beistand gesucht. In der Stellungnahme einer auf Wirtschaftsrecht spezialisierten Kanzlei wird der Entwurf der "Mineralölverordnung" als "unausgegoren" und als "Behinderung des freien Warenverkehrs in der europäischen Union" qualifiziert. Auch die deutschen Papierhersteller, vertreten durch ihren Dachverband VdP, schließen sich der scharfen Kritik an. Beim Bundesinstitut für Risikobewertung ist man enttäuscht, und mag keine Antwort geben auf die Frage, ob denn die Vorschläge des Instituts nicht von allen Beteiligten mitgetragen würden.

    "Das fragen Sie besser das Ministerium, das ist leider überhaupt nicht der Fall. Schwierigkeiten, die sich hier in diesem Zusammenhang stellen, so was hatte ich ja noch nicht."

    So viel Widerstand wie bei MOSH und MOAH hat es wohl noch nie gegeben. Das Ministerium will sich zur aktuellen Auseinandersetzung nicht äußern. Angesprochen auf länger bekannte Probleme mit Giftstoffen wie ITX in den Aufdrucken von Lebensmittelverpackungen, gibt das BM11 allerdings die Auskunft:

    "Seitdem hat unser Ministerium in stetiger Folge Gespräche mit der Wirtschaft geführt. Eine Verbesserung der Situation ist jedoch nicht eingetreten. Dies zeigt, dass offenbar die Verantwortung der Unternehmen allein keine sicheren Druckfarben gewährleisten kann. Insofern besteht Handlungsbedarf im regulatorischen Bereich."

    Wie selten zuvor sehen sich Wirtschaft und Gesetzgeber einem fundamentalen Dilemma gegenüber: Umweltschutz prallt auf Verbraucherschutz. Die potenzielle Gesundheitsgefahr stammt aus einer ökologisch hoch angesehenen Verwertungskette, der nachhaltigen Nutzung von Papierabfällen. Was die Bewältigung des Problems zusätzlich erschwert ist die große Zahl der beteiligten "Verursacher". Am Anfang der Kette: die Zeitungsverleger. Würden sie auf mineralölfreie Druckfarben umstellen, wäre das Problem an der Wurzel gepackt und gelöst. Jörg Laskowski, Geschäftsführer im Bund deutscher Zeitungsverleger, BDZV, nahm dazu im Februar in einem Beitrag der 3SAT-Sendung "Nano" eindeutig Stellung:

    "Wenn wir Teil der Lebensmittelkette wären, dann wären wir in der Verantwortung."

    Zeitungen sind aber keine Lebensmittelbedarfsgegenstände. Sie unterliegen, was den Schadstoffeintrag angeht, anderen Verordnungen, die tausendfach höhere Grenzwerte für Gifte im Produktionsprozess zulassen. Juristisch sind die Verleger damit aus dem Schneider. Die Wurzelbehandlung kommt für sie nicht in Frage. Ihr Gegenvorschlag:

    "So ist es eben bei anderen Produkten auch, dass Sie alles mögliche recyclen können, aber es kommt eben daruf an, was man daraus macht. Sie können sicherlich auch Kunststoffbenzinkanister recyclen, würden aber nie darauf kommen, Babyschnuller draus zu machen."

    Das soll man wohl so verstehen: Warum packt ihr eure sauberen Lebensmittel in unser dreckiges Papier? Die Frage geht an das andere Ende der Verursacherkette, die Lebensmittelhersteller. Sie müssen auf dem Papiermarkt nach geeigneten Packmitteln suchen. Interessenvertreter Matthias Horst äußerte sich, im selben Fernsehbeitrag, so:

    "Natürlich haben wir eine Sorgfaltspflicht und nehmen die auch wahr. Nachdem wir von diesem Problem gehört haben, haben wir gleich Initiativen ergriffen, wir sind auf unsere Unternehmen zugegangen und haben gesagt: Seht zu, dass ihr noch Verpackungen nehmt, die keine mineralölhaltigen Druckfarben beispielsweise aufweisen."

    Die Radikallösung: Verzicht auf recyceltes Papier, es würden nur noch Frischfasern für Lebensmittelverpackungen verwendet. Ein Faltschachtelhersteller hat diesen Weg schon gewählt und 200.000 Tonnen Altpapierschachteln durch solche aus Frischfasern ersetzt. Würden das alle tun, wäre das ein empfindlicher Schlag, wenn nicht der Todesstoß für das Altpapierrecycling und ein heftiger Einschlag in noch gar nicht gewachsene Wälder. Beim Verband der Papierhersteller rechnet man vor, dass für den Ersatz von sechs Tonnen Recyclingkarton durch Frischfaserkarton eine Fichte zusätzlich gefällt werden müsste. Bei mehr als acht Millionen Tonnen Recyclingkarton und Wellpappe für Lebensmittelverpackungen jährlich kämen da schon einige Wälder zusammen. Zudem verbraucht die Papierherstellung aus Frischfasern etwa sechs mal mehr Energie und mal mal mehr Wasser als die aus Altpapier. Das Endergebnis: eine Kostensteigerung um 30 Prozent. Verbandspräsident Reinhardt Thiel.

    "Wir haben als Papierindustrie uns auch mit anderen technischen Möglichkeiten im gemischten Altpapier den Gehalt an Mineralölen zu reduzieren befasst, wie es zum Beispiel das Extrahieren mit Lösemitteln darstellt, oder das Auswaschen mit Tensiden."

    Das "Deinking", also die Entfernung der Druckfarben aus dem Altpapier, gehört ohnehin zum Standard der Papierherstellung. Damit auch neues Zeitungspapier aus altem Papier gemacht werden kann, muss vorher die Druckerschwärze weitgehend entfernt werden.

    "Es hat sich – und das hat unsere technische Hochschule in Darmstadt erarbeitet – als unmöglich erwiesen, aus dem gemischten Altpapier auf solche Grenzwerte zu kommen, dass die vorgesehenen Werte in Lebensmittelverpackungen eingehalten werden."

    Der Grund sind die extrem hohen Belastungen: Selbst wenn 90 Prozent der mineralölhaltigen Druckfarben sich aus dem Altpapier entfernen lassen, ein Zehntel bleibt. Bei einem 100-fach überschrittenen Grenzwert führt das verbleibende Zehntel also immer noch zu einer zehnmal zu hohen Belastung im Karton. Zu allem Überfluss kann selbst die völlig druckfarbenfreie Faltschachtel aus Frischfasern Mineralöle nicht aus dem Lebensmittel fernhalten. Denn bevor sie im Supermarkt ins Regal kommen, stehen sie wochen- oder monatelang als Gebinde im Lager des Zwischenhändlers – ihrerseits gelagert in einem Umkarton aus Wellpappe oder anderem Recyclingmaterial. Und aus diesem, das haben die Untersuchungen ebenfalls gezeigt, gasen die bösen Öle ebenfalls aus, durchdringen die rückstandsfreie Faltschachtel, und landen schließlich doch in Reis oder Nudeln.

    Einen weiteren Lösungsvorschlag bringen die Zeitungsverleger ins Spiel:

    "Ich glaube es ist einfacher, auseinander zu sortieren als komplett neue Maschinen und Farben zu erfinden."

    Auch da haben die Papierhersteller schlechte Nachrichten.

    "Das Aussortieren von belasteten Materialien ist schwierig, wenn Sie die Grenzwerte, die das Ministerium vorgesehen hat, betrachten. Da würde man durch reines Sortieren nicht hinkommen. Es ist sicherlich sinnvoll , an Stellen, wo solche Mineralöle eingesetzt werden, nach Alternativen zu suchen."

    Reinhardt Thiel spielt damit den Ball an die Verleger zurück.

    "Zusammen mit den Zeitungsverlegern ist ein Expertenkomitee gegründet worden, mineralölfreie Druckfarben zu suchen, das ist ein weiter Weg, aber bislang noch nicht von Erfolg gekrönt."

    Hauptsächlich wohl deshalb, weil sich die Zeitungsverleger auf die komfortable Position zurückziehen, dass sie gesetzlich nicht in die Pflicht zu nehmen sind. Lange suchen müsste man nach Druckfarben auf Pflanzenölbasis nicht; die gibt es. Der Knackpunkt ist der Preis. Mineralölfreies Schwarz würde doppelt soviel, Buntes immer noch das 1,4-Fache kosten. Kleine Gegenrechnung: Druckfarben machen 2 Prozent am Gewicht einer Zeitung aus. Eine typische Tageszeitung wiegt etwa 100 Gramm; macht 2 Gramm Druckfarben. Selbst bei einem extrem hoch angesetzten Druckfarbenpreis von 15 Euro pro Kilogramm würde die Verdopplung des Preises jede Zeitung gerade mal um 3 Cent verteuern.

    "Aus Verbrauchersicht müssen natürlich schnell die Mineralöle aus den Druckfarben verschwinden. Kurzfristige Möglichkeiten sind, Innenbeutel zu benutzen für die Lebensmittelverpackungen, damit die Mineralöle halt nicht in die Lebensmittel übergehen, und es kann natürlich auch auf Frischfaser zurückgegriffen werden, das heißt, es wird kein Recyclingpapier mehr für die Lebensmittelkartons benutzt."

    Das Statement der Verbraucherschützerin Monika Büning vom Berliner Bundesverband der Verbraucherzentralen aus der ZDF-Sendung "Wiso" vom Februar wirkt sehr bestimmt. Schließlich muss sie die Verbraucher schützen. Aber auf Kosten der Umwelt? Im Zielkonflikt zwischen Verbraucherschutz und Umweltschutz soll das Recycling nicht auf der Strecke bleiben. Deswegen setzt Monika Büning heute auf die Lösung, die derzeit von allen Beteiligten für die praktikabelste gehalten wird: Die Lebensmittel durch Kunststoff- oder Aluminiumbeutel vor den Gasen aus der Recyclingpackung zu schützen. Allerdings, das hat schon die 119-Proben-Studie gezeigt, ist der kostengünstigste Kunststoff, das Polyethen, dazu gar nicht geeignet. Im Gegenteil scheinen PE-Innenbeutel den Eintrag der Schadstoffe zu erhöhen. Eine Innenverpackung aus Aluminium wäre wegen des fast luftdichten Abschlusses nicht für alle Lebensmittel geeignet. Zumindest würde sie die Haltbarkeit erheblich herabsetzen.

    Einig sind sich derzeit alle Wirtschaftszweige nur in einem: der Ablehnung des gegenwärtig vorliegenden Entwurfs der "Mineralölverordnung", die MOSH und MOAH begrenzen soll. Am liebsten wäre der Wirtschaft wohl, wenn die Mineralölverordnung überhaupt nicht käme. Aber wenn schon, dann mit erheblich angehobenen Grenzwerten. Der zweite gewichtige Einwand betrifft die Probenanalytik. Die ist am Kantonalen Labor in Zürich seit 20 Jahren optimiert worden. Koni Grob gilt als der unumstrittene Messmeister auf diesem Gebiet. Ambitionierte Grenzwerte müssten aber auch von Landesuntersuchungsämtern und Firmenlabors ohne großen Aufwand geprüft werden können, sollte die Mineralölverordnung in Kraft treten. Dazu braucht es einfachere und standardisierte Messverfahren. Genau daran arbeitet das Berliner BfR in seinem nationalen Referenzlabor.

    "Erkennen, bewerten, kommunizieren, kompetent, unabhängig und international, für sichere Lebensmittel, Stoffe und Produkte, das ist der Beitrag des BfR zum gesundheitlichen Verbraucherschutz im 21. Jahrhundert."

    "Ich habe in Flaschen umgeschüttet, den kompletten Inhalt, dann eingewogen mit einem Lösungsmittel und mit den internen Standards versehen und über Nacht stehen lassen."

    Was einmal Reis im Recyclingkarton war, ist hier im nationalen Referenzlabor des BfR jetzt eine gelbliche Suppe mit Reiskörnern im Bodensatz und einem klaren Überstand. Laborassistentin Kerstin Sernow erklärt, was dann damit geschieht.

    "Das sieht so aus, wenn es über Nacht steht, es ist noch voll, der Extrakt wird abgenommen, noch einmal gefugt, zentrifugiert."

    Und Laborleiter Oliver Kappenstein übernimmt

    "Der nächste Schritt, der dann kommt, ist sozusagen die Differenzierung zwischen diesen Mineralölfraktionen, der aliphatischen MOSH-Fraktion und der aromatischen MOAH-Fraktion, das ist der nächste Schritt und bei uns im Labor wird das über eine manuelle Methode gemacht. Bei der manuellen Methode wird im Vergleich zu dieser Methode, die Herr Grob in Zürich bearbeitet, nicht über einen Flüssigkeitchromatograph MOSH und MOAH getrennt, sondern in kleinen Glaskartuschen werden die Fraktionen voneinander getrennt."

    Sowohl bei der High-Tech-Methodik des Züricher Labors als auch bei der Berliner Handarbeit ist das Grundprinzip dasselbe: Die zu untersuchende Substanz muss bestimmte Filterstoffe passieren, ähnlich wie eine Menschenmenge ein Drängelgitter. Dabei bleibt, vereinfacht gesagt, wer dick und schwer ist, länger im Parcours hängen als leichte und bewegliche Figuren, so dass am Ende der Strecke verschiedene Fraktionen mit jeweils verschiedenen Eigenschaften zu unterschiedlichen Zeiten herauskommen. Greift man nicht zum richtigen Zeitpunkt die Proben ab, besteht die Gefahr, dass man MOSH und MOAH vermischt erhält.

    "Das ist genau praktisch der kritische Punkt, den wir aber sehr präzise versuchen zu differenzieren, es aber auch schaffen, also das ist eine sehr essenzielle Voraussetzung, dass die beiden Bestandteile strikt voneinander getrennt werden für die abschließende Quantifizierung."

    "Schön.
    Und es funktioniert."

    Freut sich Versuchsleiter Karsten Schön. Nach dem Trennen der beiden Fraktionen werden sie einzeln mit Standardmethoden als sogenanntes Chromatogramm dargestellt. Von der ursprünglichen Einwaage an Reis bleibt dann als Ergebnis eine Art Berglandschaft mit Buckeln und Spitzen auf Papier oder dem Bildschirm. Einige Spitzen sind bekannt, sie stammen von eigens zugesetzten Markersubstanzen, den so genannten internen Standards.

    "Zu dem Reis, wo wir uns oben die Verpackung angeguckt haben: Das ist also so ein typisches MOSH-Chromatogramm, das hat schon viele Spitzen jetzt, man sieht die Spitzen, die man sehen will, diese Signale sind die internen Standards, aber sie sehen noch eine größere Anhäufung von Peaks und Spitzen, die ein Signal geben. Unten aufgetragen ist die Zeit, jeder Analyt kommt zu einer bestimmten Zeit und gibt ein Signal. Was sich in dem Haufen jetzt verbirgt, ist ein Sammelsurium an Substanzen, die man mit anderen größeren Geräten noch einmal einzeln identifizieren muss."

    Die Einigung über Grenzwerte, Kennzeichnung und Analysemethoden wird wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Einen veränderten Entwurf der "Mineralölverordnung" erwarten die Beteiligten nicht vor 2012, das Inkrafttreten einer solchen Verordnung – wenn sie denn kommt - erst für 2013. Verbraucher sind bis dahin gut beraten, beim Kauf von Trockenlebensmitteln auf Verpackungen mit Innenbeuteln und auf das Ablaufdatum zu achten. Je weiter das Lebensmittel davon entfernt ist, desto geringer das Risiko unerwünschten Ölgehalts.
    Werbefilm:

    "Auch wenn uns der Staat durch Gesetze und Kontrollen noch so gut schützt – ein Leben ohne Risiko wird es nie geben."

    Sie hörten: "Rohöl an Reisrand – Wie Verpackung aus Altpapier das Essen belasten". Von Bernd Schuh. Es sprachen: Sylvia Göldel, Christoph Wittelsbürger und der Autor. Redaktion: Christiane Knoll