Dienstag, 16. April 2024

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Rohstoffe in der Arktis
Mit Forschungsmillionen gegen die Naturgewalt Eis

Geowissenschaften. - Seit die Polkappen schmelzen, richten sich viele begehrliche Blicke auf die Arktis, unter deren Ozean man viele Bodenschätze vermutet. Doch den hochfliegenden Hoffnungen stehen haarsträubende Risikoszenarien gegenüber. Noch ist der Polarozean keine pflegeleichte Umgebung, können also Hightech und neue moderne Förderkonzepte der Naturgewalt standhalten?

Von Andrea Rehmsmeier | 11.04.2014
    Berg in Burgerbukta auf Spitzbergen
    Berg in Burgerbukta auf Spitzbergen (picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann)
    Im Universitätszentrum Spitzbergen läuft das Seminar "Eismechanik für Ingenieure". Die Tafel ist eng beschrieben mit mathematischen Formeln zu gefrierendem Wasser. Alexei Marchenko, gilt als Koryphäe auf diesem Gebiet. Schon sein Großvater, erzählt er, war Polarforscher.
    "Früher, in der Sowjetunion, ging es bei der Eismechanik vor allem um militärische Fragen in Zusammenhang mit U-Booten. Heute dreht sich alles um Rohstoffförderung zu Wasser und an Land. Gerade haben wir dazu ein Projekt für Gazprom abgeschlossen. Denn liegende Rohre müssen vor Frost geschützt werden: Wenn sie erst einmal mit Eis ummantelt sind, dann bersten sie."
    Das schmale Büro des Professors ist vollgepackt mit Büchern und Dokumentenstapeln, mit Bauteilen und Messtechnik. Hier wartet seine Ehefrau Natalia, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl angestellt ist. Noch zu Sowjetzeiten haben sich die beiden an der Universität Moskau kennengelernt.
    Polarforscher, erzählen sie, seien in der sowjetischen Wissenschaftsszene hoch geachtet gewesen, privilegiert wie sonst nur Astronauten. Doch mit dem Zerfall des Sowjetreiches brach auch die Polarforschung zusammen. Das Ehepaar Marchenko überbrückte die Krisenjahre mit Lehraufträgen in aller Welt – bis sie in Longyearbyen auf Spitzbergen, einen nahezu idealen Standort fanden. An hochwertiger Laborausstattung und vielfältigen Projekten herrscht kein Mangel: Denn was der Norwegische Wissenschaftsrat nicht finanziert, das bezuschusst die Industrie. Aus einer Zimmerecke wuchtet Alexei Marchenko ein zylinderförmiges Gerät hervor.
    "Das ist ein GPS-Peilsender, den wir für drei Monate auf einer Eisscholle in der Barentssee fixiert haben. Im März haben wir ihn mit dem Helikopter auf der Eisscholle ausgesetzt. Er hat die ganze Barentssee von Osten nach Süden durchschwommen. Und im Juni ist er zu uns zurückgekehrt – fast direkt nach Longyearbyen."
    Die zerströrerische Kraft des Treibeises
    Der Zickzack-Kurs von Eisschollen durch die Barentssee, aufgezeichnet mitsamt aller Zusammenstöße, Wasserwirbel und Strömungen, liefert Marchenko Informationen über Driftgeschwindigkeit und Aufprallenergie von Treibeis. Marchenkos Studien sind Teil zweier groß angelegter Forschungsprojekte zu Marinetechnologie, die zurzeit an mehreren Instituten in Norwegen und Russland laufen, und von Industriepartnern mitfinanziert werden.
    Alexei Marchenko: "Stellen Sie sich vor, ein Tanker ist auf dem Weg zu einer Förderplattform. Für die Navigation braucht er die Information, in welche Richtung sich das Treibeis bewegt, und auf welches Tempo es sich beschleunigen kann. Nach unseren Studien .. kann es bis zu anderthalb Meter pro Sekunde erreichen. Das ist schnell! Wenn Sie jetzt noch bedenken, dass Eisschollen bis zu einem Meter dick sein können, dann ist das eine ganz schöne Wucht."
    Wie viel zerstörerische Kraft kann Treibeis entfesseln, wenn es auf eine Stahlkonstruktion trifft? Für Ingenieure und Entwickler ist das bis heute eine nahezu unkalkulierbare Größe. Doch die Industriekonzerne wollen sich dennoch in die Eis-Gewässer vorwagen. Probebohrungen in der klimatisch harschen Karasee, nördlich der russischen Küste, sollen in diesem Sommer die breite Erkundung der arktischen Meeresböden einleiten.
    Natalia Marchenko: "Eis ist eine mächtige Kraft. Wenn sich Eis auf eine von Menschen betrieben Station zubewegt, dann hilft manchmal auch kein Eisbrecher. Gerade kurz vor Neujahr ist es doch schon wieder passiert, in der Antarktis: Die "Akademik Schakalskij" saß im Eis fest. Drei Eisbrecher wurden in den Rettungseinsatz geschickt. Und was geschieht? Die frieren ebenfalls fest! Also wurden die Menschen mit Helikoptern evakuiert. Und am Ende war es der Wind, der das Eis um die Schiffe herum losgebrochen hat. Ja, gegen Eis kann man kämpfen. Aber es ist sehr hart."