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Rolf Mützenich (SPD)
"Am Atomabkommen so gut wie möglich festhalten"

Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hat auf die Forderung von US-Präsident Donald Trump reagiert, nicht am Atomabkommen mit dem Iran festzuhalten. Es sei eines der besten Abkommen, insbesondere weil Überprüfungen durch die Internationale Atomenergiebehörde möglich seien, sagte er im Dlf.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Christoph Heinemann | 09.01.2020
10.12.2019, Berlin: Rolf Mützenich, Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, spricht zu Beginn der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion zu den Medienvertretern.
Rolf Mützenich (SPD): "Wir haben seitdem eine massive Veränderung auch der Sicherheitssituation in dieser Region" (dpa / Kay Nietfeld)
Im Irak und in der Region erfüllen auch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ihren Auftrag. Der Bundestag hatte das Irak-Mandat im Oktober verlängert. Die Mission zur Ausbildung der irakischen Streitkräfte, die Capacity Building zunächst bis Ende Oktober 2020, das Mandat für die Aufklärungsflüge der Tornados unter dem Namen Counter Daesch nur bis Ende März.
Gestern gab Donald Trump eine Erklärung zu seiner Iran-Politik ab. Wirtschaftssanktionen ja, Militärschläge zunächst nicht. Und Trump forderte von den NATO-Partnern, sie sollten sich stärker im Nahen Osten engagieren. Anschließend äußerten sich enge Mitarbeiter des Präsidenten. Darüber sprechen wir mit Rolf Mützenich, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion.
Dossier: Atomwaffen
Christoph Heinemann: Herr Mützenich, wie deuten Sie Donald Trumps Erklärung?
Rolf Mützenich: Nun, es ist zumindest der Versuch, nach seiner Entscheidung einer gezielten Tötung eine gewisse Ruhe herzustellen. Ob das im internationalen Raum Wirkung hat, das weiß ich nicht, aber ich würde auch mal sagen, es hat eine innenpolitische Botschaft, weil es natürlich – und darüber haben Sie gerade berichtet – auch Auseinandersetzungen zumindest im Repräsentantenhaus über diese Praxis und auch über die Entscheidung gibt.
Trump ohne Skrupel
Heinemann: Richtung Iran: Was überwog, Zuckerbrot oder Peitsche?
Mützenich: Ich glaube, er hat ja nun mal deutlich gemacht, dass er überhaupt gar keine Skrupel hat, gegen einen Repräsentanten – und es mag uns gefallen oder nicht – des staatlichen Systems unmittelbar vorzugehen, mit einer gezielten Tötung. Und zumindest nach der Interpretation vieler Völkerrechtler und auch meiner Interpretation hat er hier Völkerrecht verletzt.
Heinemann: Wie schätzen Sie denn die disziplinierende Wirkung auf das Regime in Teheran ein, wenn die USA signalisieren, wir können hochrangige Persönlichkeiten liquidieren wann und wo wir wollen?
Mützenich: Ich glaube, das ist begrenzt, weil wir müssen uns ja auch damit auseinandersetzen, mit welcher Mentalität einzelne Akteure in diesem politischen System im Irak sich selbst identifizieren. Und ich meine, es ist nicht zu weit gegriffen, dass das Märtyrertum gerade auch im schiitischen Glauben eine große Rolle spielt. Nicht anders sind auch die Bilder zu interpretieren, die wir aus Teheran und auch letztlich anderen Städten des Iran bekommen haben, wo es nicht immer Unterstützung für dieses Regime gegeben hat. Aber hier schien es mir doch so, dass einen gesellschaftlicher Konsens gerade auch noch mal vor dem Hintergrund der Gewaltgeschichte in der Region existiert.
Heinemann: Aus Sicht der US-Regierung gefragt: Trump hat Soleimani als Top-Terroristen bezeichnet. Der Mann war offenbar kein Heiliger. Warum war es dann falsch, ihn zu töten?
Mützenich: Nun, das ist richtig, und selbst die Europäische Union hatte ihn auf der Terrorliste gehabt. Das ist das eine, aber zum anderen geht es natürlich darum, dass die Länder – und wir sind mit den USA in einer Partnerschaft und internationalen Organisation verbunden – das achten, was als Regeln und Normen in die internationale Politik eingebracht worden ist, damit nicht jeder tut und lässt was er aus eigenem persönlichen nationalen Interesse will. Hier ist ganz klar: Es gibt zurzeit keine Beweise dafür, dass von Soleimani, als er in das Auto eingestiegen ist, eine unmittelbare Gefahr für US-amerikanische Soldaten oder für das Territorium der USA bestanden hat. Von daher ist diese gezielte Tötung nach meiner Interpretation nicht rechtmäßig gewesen.
Wirklich große Unterschiede zwischen Obama und Trump
Heinemann: War es auch falsch 2011 von Präsident Obama, Bin Laden zu töten?
Mützenich: Ich glaube, das war eine große Gratwanderung. Zumindest Obama hat ja versucht, auch mit diesem Eingriff, der ja durch US-Soldaten in Pakistan erfolgt war, möglicherweise den Versuch zu unternehmen, Osama Bin Laden festzusetzen, und bereits damals gab es unter Völkerrechtlern eine sehr kritische Diskussion über dieses Vorgehen auf fremdem Territorium. Hier zeigt sich auch die Kontinuität in der US-amerikanischen Politik. Zwischen Obama und Trump gibt es aber nun wirklich große Unterschiede.
Heinemann: Trump hat Großbritannien, Deutschland, Frankreich und China aufgefordert, das Atomabkommen mit dem Iran aufzugeben und einen neuen Vertrag mit Teheran auszuhandeln. Wie sollte dieser Vorschlag beantwortet werden?
Mützenich: Ich glaube, dass wir an dem Atomabkommen, was ja auch Russland und die Volksrepublik China und dann auch durch eine Entscheidung im Sicherheitsrat legitimiert ist, so gut wie möglich festhalten. Es ist nach meinem Dafürhalten eines der besten Abkommen, insbesondere wenn man die Überprüfung durch die Internationale Atomenergie-Behörde sieht. Diese Prüfer sind bisher nicht des Landes verwiesen worden und ich glaube, was Trump überhaupt nicht offensichtlich erkennt oder erkennen will, ist seine unterschiedliche Handhabung bei der Eingrenzung von Atomwaffen. In Teheran wird natürlich sehr aufmerksam verfolgt, wie er zum Beispiel mit dem nordkoreanischen Diktator umgeht, der über Atomwaffen verfügt und den er als Freund beschreibt, und das ist etwas, was wir überhaupt nicht zurzeit diskutieren, dass es nämlich einen großen Widerspruch in der Rüstungskontrollpolitik der USA gibt. Im Grunde genommen gibt es sie nicht, sondern sie ist durch Neurosen aus meiner Sicht und im Grunde genommen nur einer gefühlsbetonten Politik besetzt und die fokussiert sich zurzeit auf die iranische Führung.
Heinemann: Welchen Wert hat ein Abkommen, an das sich der wichtigste Partner nicht gebunden fühlt?
Mützenich: Ein begrenztes in der Tat, und das ist natürlich auch die Kunst, dass wir zurzeit versuchen müssen, weiterhin die Partner, die dieses Abkommen als durchaus richtig empfunden haben, einschließlich – ich will das noch mal betonen – des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen damals, am Leben zu halten. Das ist nicht einfach. Ich habe gerade auf die Widersprüche hingewiesen. Und wir sind natürlich auch gezwungen, je mehr der Iran auch dieses Abkommen verletzt zu reagieren. Ich stelle mich auch diesem Problem, aber noch mal: Ich halte es schon für eine sehr gewagte Aussage von Seiten des amerikanischen Präsidenten, wir sollten uns mehr in der Region engagieren. Nehmen Sie das Beispiel Libyen. Wir versuchen zurzeit in den nächsten Tagen eine Konferenz hier in Berlin durchzuführen, und er hat zum Beispiel mit seinem Telefonat mit General Haftar, der ja zurzeit Tripolis auch belagert, im Grunde genommen ganz klar Stellung genommen, und das ist doch ein großes, großes Problem für eine Diplomatie und für die internationale Politik.
Heinemann: Herr Mützenich, sollte und kann die NATO im Nahen und Mittleren Osten stärker Flagge zeigen? Das fordert der Präsident.
Mützenich: Die NATO wird in dieser Region als Organisation wahrgenommen, zumindest in großen Kreisen, die alleine von den USA gesteuert wird. Deswegen hat ja damals die Bundesregierung entschieden, auf Einladung der irakischen Regierung, ein bilaterales Sicherheitsabkommen mit dem Irak zu unternehmen, insbesondere was die Ausbildungsmission betrifft. Deswegen, glaube ich, muss man genau hinschauen, wie wird die NATO in den einzelnen Regionen gelesen, und es wäre zumindest nicht meine Organisation der ersten Wahl. Ich glaube, gerade die Vereinten Nationen, auch der Versuch – und das hat ja auch der irakische Ministerpräsident im Parlament ganz offen gesagt: Soleimani ist nach Bagdad gekommen, um eine Botschaft der saudischen Regierung zu überbringen. Und das ist das doppelt Tragische, dass offensichtlich diese Bemühungen zumindest durch die gezielte Tötung auch in Abrede zumindest von Seiten der USA gestellt worden ist.
Bundeswehr im Irak - Klarheit in den nächsten Tagen
Heinemann: Was passiert jetzt mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Irak?
Mützenich: Da müssen wir genau das, was heute die Bundesregierung in den jeweiligen Ausschüssen erklären wird, noch mal versuchen zu verstehen, wie die Sicherheitslage auf der einen Seite ist. Ich glaube, dass es in den nächsten Tagen noch mal Klarheit geben wird, wie die irakische Regierung den Beschluss des irakischen Parlaments interpretieren wird zum Abzug aller ausländischen Soldaten aus dem Irak. Und ich meine, wir müssen uns vor Augen führen: Ich glaube, dass dieser Eingriff, dieser militärische Eingriff auf anderes Territorium, nämlich dem Irak, durch die iranischen Revolutionsgarden gerade in Erbil auch noch mal ein militärisches Dokument gewesen ist, dass nirgendwo ausländische Truppen sicher sein sollen. Das werden wir in den nächsten Tagen noch mal uns genau anhören müssen.
Heinemann: Herr Mützenich, wir wollen hören, was Ihre Parteivorsitzende Saskia Esken am Samstag bei uns im Deutschlandfunk zum Einsatz der Bundeswehr-Tornados im Kampf gegen den IS gesagt hat.
O-Ton Saskia Esken: "Was die Aufklärungsflüge anbelangt, haben wir schon vor längerer Zeit vereinbart, uns da zurückziehen zu wollen, und die Vorgängerin der Verteidigungsministerin hatte den Auftrag, den Abzug vorzubereiten, hat das leider nicht getan. Wir haben einmalig verlängert und wir sind der Meinung, dass der Einsatz dann beendet werden sollte."
Heinemann: Wird die SPD eine Verlängerung dieser Mission ablehnen?
Mützenich: Frau Esken hat recht, weil sie genau darauf hingewiesen hat, und ich fand eigentlich diesen Vorgang sehr schwerwiegend, dass eine Verfassungsinstitution, nämlich die Bundesregierung dem Bundestag versprochen hat, damals in Gestalt von Frau von der Leyen, alles zu unternehmen, damit die Tornados abgelöst werden. Ich halte das auch für einen ganz normalen Vorgang, dass wir uns aus solchen Auslandseinsätzen nach einer gewissen Zeit, insbesondere vor dem Hintergrund der Situation der Bundeswehr auch zurückziehen. Frau Kramp-Karrenbauer hat dann im Bundestag gesagt, sie braucht ein halbes Jahr, um mit Partnern darüber zu reden, und da bin ich auch gespannt, was möglicherweise die Verteidigungsministerin erreicht hat. Aber wir sind gebunden ..
Heinemann: Noch mal meine Frage. Entschuldigung! Wird die SPD eine Verlängerung ablehnen?
Mützenich: Diese Wenn-Dann-Fragen kann ich nicht einfach beantworten, weil ich habe Ihnen auch eben …
Heinemann: Ich habe gar nicht "wenn, dann" gefragt.
Mützenich: Ich habe Ihnen aber auch eben noch mal gesagt, dass wir jetzt schauen wollen, was die irakische Regierung durch eine Verbalnote der Bundesrepublik Deutschland zum Ausdruck bringen wird, wie sie mit der Frage der ausländischen Soldaten im Irak umgehen wird, und davon wird viel abhängen.
"Möglicherweise ziehen wir sogar viel früher die Soldaten ab"
Heinemann: Sie können die Haltung der SPD, auch der SPD-Bundestagsfraktion da jetzt noch nicht genau beschreiben?
Mützenich: Ich glaube, Herr Heinemann, es ist vollkommen richtig in dieser Situation, und Frau Esken hat ein Gespräch am Samstag mit Ihnen geführt. Wir haben seitdem eine massive Veränderung auch der Sicherheitssituation in dieser Region. Möglicherweise – und darauf hat ja auch die Verteidigungsministerin hingewiesen – ziehen wir sogar viel früher die Soldaten ab. Wie soll ich auf diese Frage theoretisch antworten, wenn ich nicht weiß, was heute die Bundesregierung in den jeweiligen Ausschüssen erklären wird.
Heinemann: Würde ein Abzug in eine Zeit passen, in der die Deutschen auch wegen ihrer geringen Verteidigungsausgaben als Drückeberger betrachtet werden?
Mützenich: Ich muss manchmal sagen, ich finde diese Diskussion sehr schade, die wir innenpolitisch führen, als wenn wir Drückeberger wären. Wir sind an vielen Missionen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union im Ausland beteiligt. Wir sind keine Drückeberger, sondern wir versuchen, auf der einen Seite einen Beitrag zu leisten, aber ich habe zum Beispiel auch auf der anderen Seite hingewiesen, wir versuchen uns in Diplomatie, in Konfliktentschärfung in Libyen, im Jemen. Wir haben auch versucht, die Vereinten Nationen in Syrien bei ihren Konfliktbemühungen und Eindämmungen zu unterstützen. Und warum das überhaupt nicht gewürdigt wird in der innenpolitischen Diskussion, da tragen ganz viele auch Verantwortung, leider auch in der Bundesregierung, die diesen Beitrag nur militärisch definieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.