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Rolle rückwärts

Jeder Studierende, der zukünftig einen "Master of Science" in der Tasche hat, soll parallel dazu ein Ingenieursdiplom nach alter Lesart wieder draufgepackt bekommen. So stellt sich das der baden-württembergische Wissenschaftsminister vor. Doch nicht alle können dieser Idee was abgewinnen.

Von Thomas Wagner | 21.06.2010
    Professor Vaclav Pohl, Studiengangleiter Elektrotechnik an der Dualen Hochschule Ravensburg, weiß, welchen guten Klang das Wörtchen "Diplomingenieur" vor allem in der Wirtschaft hat.

    "Ich glaube, das ist gut für die Industrie, weil die neu eingeführten Begriffe Bachelor und Master denen Probleme bereiten. Früher, als Diplomingenieure, die sie ausgebildet haben und die die Hochschulen rausgebracht haben, da war das viel einfacher, zu deklarieren: Das ist ein Diplomingenieur. Bei dem Bachelor und Master ist das halt schwieriger, denke ich halt mal."

    So hat sich das auch der baden-württembergische Wissenschaftsminister Peter Frankenberg gedacht: Wer den "Master of Science" in der Tasche hat, so seine Idee, soll sich zukünftig auch gleich noch "Dipl.-Ing." nennen dürfen. Jochen Laun, Sprecher des baden-württembergischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst:

    "Es geht darum, ein bewährtes Markenzeichen zu erhalten. Der 'Dipl.-Ing.' eine sehr gut tradierte Marke. Die Vertreter ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge machen sich dafür stark, dass der Diplomingenieurtitel auch weiterhin geführt werden kann. Das Wissenschaftsministerium arbeitet im Moment einen Vorschlag aus, der bei der Kultusministerkonferenz vorgestellt soll, um für diesen Punkt Lösungen zu finden."

    "Dipl.-Ing." sei, so argumentiert man im Stuttgarter Wissenschaftsministerium, stets eine Art Gütesiegel für die qualitativ hochwertige deutsche Ingenieurausbildung gewesen. Dieses Gütesiegel sei im Zuge des Bologna-Prozesses ohne Not aufgegeben worden. Doch die Wiedereinführung des Diploms in Zeiten von Bachelor und Master ist nicht unumstritten. Denn: Kommt das Diplom erneut, dann habe der "Master of Science" kaum Chancen, sich dauerhaft als ebenbürtige Marke zu etablieren, sagen Kritiker dieser Idee. Michael Ruf, beim Automobilzulieferer ZF für Personalmarketing zuständig, mahnt ein wenig mehr Geduld an im Umgang mit Berufsanfängern, die den "Master of Science" in ihren Bewerbungsunterlagen haben:

    "Die treffen hier nur spärlich ein, weil Universitäten sich auch lange Zeit gesträubt haben, umzustellen auf das neue System. Die Masterbewerbungen kommen erst so langsam. International haben wir aber reichhaltig Erfahrung mit dem Master of Science. In den USA, in England stellen wir schon immer Master-Absolventen ein und sind auch zufrieden damit. Hier in Deutschland bin ich sicher, dass wir noch etwas Zeit haben sollten, um dann zu sehen: Wie werden die Absolventen akzeptiert? Ich fände es falsch, wenn man jetzt zurückgehen würde. Und wenn man jetzt so etwas parallel einführt, wäre es kein Schritt in die richtige Richtung."

    Kritik an der Idee des baden-württembergischen Ministers kommt auch von den ehemaligen Fachhochschulen. Professor Kai Handel, Präsident der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz:

    "Nichtsdestotrotz halten wir die Initiative, den Diplomingenieur wieder einzuführen, für völlig überflüssig. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Bachelor- und Masterabschlüsse weltweit anerkannt sind. Wir hatten eher früher Schwierigkeiten, wenn einer mit dem Zeugnis einer Hochschule, auf dem 'Diplomingenieur' stand, in Afrika oder in Australien eine Tätigkeit aufnehmen wollte. Dann wurde bei uns nachfragt, ob es sich um das Bachelor- oder das Master-Niveau handelt. Und dieses Problem haben wir mit der Einführung de Bachelor- und der Masterstudiengänge einfach erledigt."

    Handel glaubt, dass mit dem jüngsten Vorschlag ein alter Graben wieder aufgerissen wird soll – nämlich der zwischen Fachhochschulen und Universitäten:

    "Die Debatte um den Diplomingenieur wird ja von einem Teil der technischen Universitäten vorangetrieben, die aus meiner Sicht eher eine rückwärtsorientierte als eine vorwärtsorientierte Debatte führen. Wir sehen in diesem Vorstoß der Technischen Universitäten den Versuch, einen Abschluss zu vergeben, den die Fachhochschulen nicht vergeben dürfen, wo doch der Bologna-Prozess gerade für Fachhochschulen die Möglichkeit geboten hat, Masterabschlüsse auf dem gleichen Niveau anzubieten."

    Denn während der "Master of Science" keinen Hinweis auf die Art der Hochschule enthält, wo der Abschluss erworben wurde, weist das Diplom auf eine Universität als Ausbildungsort hin; die Ingenieure der Fachhochschulen mussten früher den Zusatz "FH" führen. Das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft und Kunst weist allerdings den Vorwurf, die Wiedereinführung des Diploms auf Druck der Technischen Universitäten voranzutreiben, zurück. Ministeriumssprecher Jochen Laun:

    "Das Wort 'Druck' ist sicher nicht das richtige in diesem Zusammenhang. Es gibt immer Argumente. Ich würde jetzt sagen, dass wir erst einmal unseren Vorschlag ausarbeiten. Und dann wird er sicher auch diskutiert werden. Was wichtig ist, und das wird ja immer auch von der ingenieurwissenschaftlichen Seite bekräftigt: Dass es nicht darum geht, an den Bologna-Strukturen etwas zu ändern, insbesondere nicht an der Gestuftheit des Studiums. Sondern es geht um eine pragmatische Lösung dafür, wie man den Diplomingenieur als Wertmarke, wenn Sie so wollen, sichtbar erhalten kann."