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Roman über NS-Filmdreh
Endzeitspiel mit Schwächen

Ein einsames Dorf in der Heidelandschaft. Hier soll auf Wunsch von Propagandaminister Goebbels der Film zum Sieg des Nazi-Regimes über die Alliierten gedreht werden, er selbst will darin eine Rolle übernehmen am Tag des Triumphs. Bernd Schroeders Roman "Warten auf Goebbels" zeigt ein Filmteam in der Endlosschleife: In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges wollen Regisseur und Schauspieler sich über die Zeit retten.

Von Enno Stahl | 23.06.2017
    Der nationalsozialistische Führer Adolf Hitler (r) und der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels (M), besuchen 1937 die Ausstellung "Entartete Kunst" im Münchner Haus der Kunst. Während des Dritten Reiches wurden auf der Grund
    Erscheint im Buch nicht persönlich, spielt aber trotzdem die Hauptrolle: Nazi-Minister Joseph Goebbels, hier beim Besuch der NS-Propagandaausstellung "Entartete Kunst" im Jahr 1937 (picture-alliance / dpa / Ullstein)
    Was wäre, wenn Joseph Goebbels einen Regisseur beauftragen würde, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges einen Propagandafilm über den deutschen Sieg zu drehen? Und mehr noch: wenn er, Goebbels, sich vorbehielte, am Tag des Triumphs selbst im Film in Erscheinung zu treten?
    Ein solches fiktives Szenario entwirft Bernd Schroeder. Man fragt sich: Was könnte grotesker sein, als von heiler Welt und Endsieg zu fantasieren, während ringsum das Deutsche Reich in Trümmer zerfällt. Aber diese Groteske fußt zumindest in Ansätzen auf einer realen Konstellation. Bernd Schroeder erklärt dazu:
    "Goebbels gab 1944 einen Film in Auftrag, dessen Treatment wohl von ihm stammte. 'Das Leben geht weiter' sollte der Film heißen. Es ging um das Durchhalten, das Hoffen auf die Wunderwaffen, Kriegs-Propaganda eben. Mich interessierte die Fiktion, dass man einen Film zum Tag des Sieges drehen ließ. Das, so schien es mir, wäre zu der Zeit der größere Irrsinn gewesen."
    Ein Filmteam um den letzten UFA-Chef, hier Konrad Eisleben genannt, zieht also in die Lüneburger Heide, um dort den Film "Krahwinkel" zu realisieren. Es ist die Geschichte des Kriegsheimkehrers Hans Weimar, er findet seine Frau schwanger, doch er ist nicht der Vater. Dieser Konflikt soll eine Läuterung im Zeichen des strahlenden Sieges des Deutschen Reiches erfahren – so der Plan.
    Filmdreh verschleppen statt an die Front
    Doch der Regisseur Konrad Eisleben, entfernt dem damaligen UFA-Chef Wolfgang Liebeneiner nachempfunden, scheint nicht besonders erpicht zu sein, diesen Film abzuschließen, ebenso wie der Rest der Crew. Das ist kein Wunder, denn allen Beteiligten ist klar, dass die Beendigung des Projekts sie aus der relativen Sicherheit des Heidedorfs herausreißen wird.
    Als beständiges Damoklesschwert schwebt über den männlichen Mitarbeitern die Drohung, an die Front geschickt zu werden. Denn natürlich hat das NS-Regime auch hier seine Handlanger vor Ort, in Person des Produktionsleiters Kurt Reiter und seines stramm linientreuen Assistenten Thomas Wagner.
    Schroeder erzählt diese Fantasmagorie gekonnt auf vier verschiedenen Ebenen: Die Szenen der Romanhandlung werden durch die unkommentiert einmontierten Filmeinstellungen konterkariert, die eine andere, ganz irreale Wirklichkeit transportieren, eben den Blick der nationalsozialistischen Utopie.
    Dazwischen werden historische Hintergrundereignisse knapp skizziert, gewissermaßen als Zeitleiste für die Romanhandlung. Unter anderem wird hier des Öfteren aus Joseph Goebbels' Tagebüchern zitiert, worin sich der wahre menschenverachtende Zynismus des Dritten Reichs nur zu deutlich Bahn bricht. Außerdem werden die Biografien der beteiligten Schauspieler und Crewmitglieder aufgeführt.
    Alle Figuren ausgedacht - bis auf eine
    "Meine Story samt den Protagonisten ist fiktiv", sagt der Autor. "Natürlich habe ich mich mit vielen Schauspielerbiografien jener Zeit beschäftigt. Aber die Lebensläufe sind erfunden. Nur Eisleben ist streckenweise Liebeneiner, den ich selbst noch kennen gelernt habe, nachempfunden."
    Der weibliche Star Johanna Leise, Ehefrau des Regisseurs Eisleben, die männliche Hauptrolle Karl Molitor, auch Produktionsleiter Reiter, die Garderobiere Lene Hackbarth, der Regieassistent Franz Seibert – sie alle sind somit zwar erdachte Charaktere, stehen aber exemplarisch für die Lebenswege von Filmschaffenden während der NS-Zeit. Das ist gewiss auch ein Thema des Buches: das Verhältnis von Kreativen und Macht, gerade in Zeiten der Diktatur.
    Dieser Konflikt konzentriert sich besonders auf die Figur des Regisseurs Eisleben, der kein unbedingter Gefolgsmann der Nazis ist. Er pflegt bereits künstlerische Visionen für die Nach-Nazi-Zeit, konzipiert beispielsweise schon so etwas wie die WDR-Daily-Soap Lindenstraße, ohne sich seine Verstrickung in das NS-Regime einzugestehen. Seine Frau, die Schauspielerin Johanna Leise, wirft ihm das vor.
    Dem Leser wird indes nicht so ganz klar, woher ihre moralische Integrität, die Schroeder gegen Eislebens Doppelmoral in Stellung bringt, überhaupt stammt: Denn sie ist ebenso verstrickt. Wer sich mit der NS-Kulturpolitik auseinandergesetzt hat, weiß, dass es niemanden gab, der Bücher schreiben, Filme drehen oder auch nur musizieren durfte, ohne ein klares Bekenntnis zum System.
    Ungenauigkeiten machen Buch unglaubwürdig
    Historische Ungenauigkeiten schmälern auch an anderen Stellen den ästhetischen Genuss der Lektüre: Da wird der Schumacher Graf, der einen jüdischen Urahn hatte, abgeholt, brutal auf einen Lastwagen geprügelt, man hört nie wieder von ihm. Doch nach der perfiden Rassentheorie der Nationalsozialisten war er mit einem so entfernten jüdischen Verwandtschaftsverhältnis allenfalls ein sogenannter "jüdischer Mischling": Diese wurden zwar in verschiedener Hinsicht diskriminiert, nicht aber deportiert oder gar ermordet.
    Gleichzeitig erlauben sich Crewmitglieder in Anwesenheit Reiters und Wagners am erfolgreichen Verlauf des Krieges zu zweifeln. In der Dorfkneipe wird man sogar ganz deutlich:
    "'Er glaube nicht mehr an den Endsieg, sagt Eugen Hager, der Lehrer des Ortes, der im Ersten Weltkrieg einen Arm verloren hat. Deutschland liege am Boden, die Alliierten im Vormarsch, das höre man überall.'"
    'Was hört man nicht alles in diesen Tagen! Wenn Sie wollen, können Sie jeden Tag irgendwo im Radio hören, dass unser Führer tot ist. Und doch lebt er. Alles Lüge, Propaganda, Scheißhausparolen.'
    Wie Reiter das genießt, wenn sie ihm zuhören, staunen und ihm nicht widersprechen. Kornbichler ist stets begeistert, Wagner und von Kolkwitz unterstützen mit kämpferischen Bemerkungen die Argumente."
    Offene Zweifel am Endsieg inmitten überzeugter Nationalsozialisten? Die dann nur dagegen argumentieren? Das ist kaum glaubwürdig. Selbst in den letzten Kriegstagen war sogenannte Wehrkraftzersetzung ein Hinrichtungsgrund.
    Warten auf Goebbels oder auf Godot
    Schroeder gelingt der schwierige Spagat zwischen Dokumentarismus und Groteske also nicht immer. Dabei ist das Buch versiert geschrieben, stilistisch und formal sehr sicher, häufig auch – trotz des ernsten Hintergrundes - durchaus vergnüglich. Ein Endzeitspiel, ein vergebliches Warten auf Goebbels oder auf Godot? Der Leerlauf ist wenigstens derselbe.
    Bernd Schroeder: "Warten auf Goebbels"
    Carl Hanser Verlag, München 2017. 236 Seiten, 22 Euro