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Roman von Hanif Kureishi
Burleske zwischen Sex und Kunst

Die Leser bewerten Hanif Kureishi Roman "Das letzte Wort" im Internet zwischen sehr toll und richtig mies. Unser Rezensent Paul Ingendaay las es lachend bis seufzend. Die Burleske um Kreativität und Altersverzweiflung hat jedenfalls gesellschaftliche Dimension, doch was ist dem Buchautor nun wichtiger: Sex oder Kunst?

Von Paul Ingendaay | 07.07.2015
    Der britische Autor Hanif Kureishi, aufgenommen bei einer Buchvorstellung von "The last word" (dt. "Das letzte Wort" 2014 in Barcelona
    Der britische Autor Hanif Kureishi, aufgenommen bei einer Buchvorstellung von "The last word" (dt. "Das letzte Wort" 2014 in Barcelona (picture alliance / dpa / Marta Perez)
    Ein schöner Romantitel: Das letze Wort. Man könnte sich ein hochernstes, pompöses Buch darunter vorstellen, stammte es nicht von dem sechzigjährigen britischen Autor Hanif Kureishi, der die Nöte seiner Figuren immer wieder in irrwitzige urbane Komödien verwandelt hat. Im Internet zanken sich denn auch die Leser, welche Note dieser Roman verdiene: Zwischen sehr toll und richtig mies ist alles dabei. Und wie so oft hängt es von der Perspektive ab. Dieser Rezensent hat die gut 300 Seiten fast durchweg genossen, einige Male laut aufgelacht und hin und wieder auch geseufzt. Aber das muss daran liegen, wie leicht und fröhlich die Figuren miteinander ins Bett steigen. Keine Rede davon, sich den Gefühlshaushalt von komplizierten Sex- und Liebesverhältnissen in Unordnung bringen zu lassen.
    Was Kureishi dabei wichtiger ist, der Sex oder die Kunst, lässt sich bis zum Ende nicht sagen. Deswegen baut sich der Autor eine Bühne, um von beidem ungebremst zu erzählen. Harry, ein junger Biograph, soll den berühmten alten Schriftsteller Mamoon Azam auf seinem Landsitz außerhalb Londons besuchen, um seine Lebensgeschichte zu schreiben. Verständlich, dass dabei im England der irrsinnigen Verlagsvorschüsse bestimmte Erwartungen im Spiel sind. Ein paar Skandale und ausgeschnüffelte amouröse Geheimnisse, die der Künstler mit indischen Wurzeln mit Sicherheit in der Truhe hat, sollen schon dabei herausspringen.
    Vulgärer, trinkfester Verleger
    Doch nicht nur Harry, der sich von einem ebenso vulgären wie trinkfesten Verleger antreiben lässt, auch Mamoon hat ein Interesse an dieser Biographie. Er, der hochangesehene Künstler mit den turbulenten Liebesbeziehungen, aber bescheidenen Buchverkäufen, verspricht sich beim Ritt in die Abenddämmerung einen letzten Karriereschub. Und seine aktuelle italienische Ehefrau Liana etwas Luxusshopping und eine Eigentumswohnung in Chelsea. So entspinnt sich ein Pingpong-Spiel um Verhüllen und Decouvrieren, Geheimnis und Sensationslust, in dem jeder den anderen benutzt, aber alle ein bisschen crazy sind. Und das in einem Großbritannien, dessen Überfremdungs-Paranoia Kureishis Spottlust weckt:
    "... eine kleine, übervölkerte Insel, wimmelnd von umtriebigen Immigranten, die sich zu allem Überfluss auch noch in so großer Zahl an die Ränder des Landes klammerten, dass es zu kentern drohte. Dazu Asylsuchende und Flüchtlinge, die in dem Drang, den Wirren der restlichen Welt zu entkommen, zu Tausenden die Grenze zu überschreiten versuchten. [...] Derweil übten sich jene, die an Bord des Landes waren, als Folge der Finanzkrise im festen Schulterschluss, was bald für so eine unerträgliche Enge sorgte, dass sie einander an die Gurgel gingen wie in der Falle sitzende Tiere."
    Natürlich hat die Burleske um Kreativität und Altersverzweiflung eine gesellschaftliche Dimension, die Kureishi bestens kennt. Als Sohn eines pakistanischen Diplomaten und einer britischen Mutter hat der Autor Erfahrung damit, das Material seines Lebens nicht allzu stark gefiltert in Kunstwerke zu verwandeln, und des öfteren hat er seine Familie damit ziemlich geärgert. Mit dreißig wurde Kureishi als Drehbuchautor des Films Mein wunderbarer Waschsalon weltbekannt. Auch in seinen Romanen Der Buddha der Vorstädte und Das schwarze Album lieferte er den Mix, der ihn zu einem der populärsten britischen Autoren vor der Jahrtausendwende machte: Großstadtgeschichten um Beziehungsglück, Immigrantenträume und das multikulturelle London.
    Wenn die Lebensuhr leiser tickt
    Aber was, so scheint der neue Roman zu fragen, bleibt davon, wenn die Lebensuhr leiser tickt und es an die letzte Abrechnung geht? Ist das Private im Künstlerleben schon öffentlich, das Öffentliche immer gleich privat? Und was, wenn die großen Entwürfe von einst zur Karikatur des Alters werden? Diese Fragen balanciert der Roman so geschickt wie die Nasenspitze des Seehunds den bunten Plastikball. Doch Kureishi kann auch anders, unfrivol und mit unverstellter Schwermut. Bei einem letzten großen Dinner zu seinen Ehren bekennt der alte Schriftsteller, dass er seine eigene Zeit nicht mehr versteht und vor dem politisch korrekten Geschnatter der Welt kapituliert:
    "Heutzutage scheint es uns Autoren und Künstlern aber nicht mehr erlaubt zu sein anzuecken. Wir dürfen niemanden mehr hinterfragen, kritisieren oder beleidigen, ohne Gefahr zu laufen, gehetzt und getötet zu werden. Heutzutage muss man als Autor Leibwächter haben, andernfalls wird man kaum noch ernstgenommen. Verrisse sind unser geringstes Problem. Jeder Vollidiot muss bei Laune gehalten werden, ganz egal, welchen Blödsinn er glaubt: Das ist Menschenrecht. Die Redefreiheit wird immer nur vorübergehend gewährt, und man raubt sie uns oft genug. Ich fürchte, dass die Wahrheit bald ausgedient hat. Die Leute haben kein Interesse mehr daran; sie hilft ihnen nicht dabei, Reichtümer anzuhäufen."
    Das letzte Wort heißt Kureishis neuer Roman. Aber wo im Buch wäre dieses letzte Wort zu finden? Es mag nicht ganz abwegig sein, es am Ende zu suchen. Und tatsächlich, da steht es, aber nicht in der deutschen Übersetzung von Henning Ahrens, der so witzig, elegant und erfinderisch ist und ausgerechnet vor dem Schlusspunkt patzt, indem er das scheußliche Verb „gewährleisten" dahinsetzt. Nein, das Nomen, um das es im englischen Original eigentlich geht, steht zwei Wörter weiter vorn: „Freiheit".
    Und so endet diese Komödie um den hohen Kunstanspruch und das Profane, um Ideale und die Komik des irdischen Lebens mit dem Trost, dass zwar alles in den Abgrund rauschen könnte – die Bücher, das Haus, die Verrücktheiten der Liebe und unsere klapperige Gesundheit –, der Mensch aber immerhin die Freiheit hat, sein Los selbst zu wählen.
    Hanif Kureishi: Das letzte Wort. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer, 336 Seiten, 19,99 Euro.