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Romantik in der Gegenwartskunst

Ikonen der Romantik finden sich in Fotografien der Gegenwartskunst. Sie zeigen die Läuterung, das Schöne und auch die Landschaft als Seelenspiegel. Eine Ausstellung beleuchtet unterschiedliche Ansätze.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Karin Fischer | 18.12.2012
    Karin Fischer: Auch in der Ausstellung, die wir jetzt besprechen, sind Nackte zu sehen, aber deren Inszenierung markiert genau den Unterschied zwischen gebrauchsfotografischem Kitsch und der Kunst. Die Ausstellung im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg zeigt moderne Kunst, vor allem um Fotografien oder Filmstills geht es. Und will zeigen, wie sich das Bildrepertoire der Romantik in der Gegenwartskunst fortsetzt oder dort bewusst reproduziert oder auf die Spitze getrieben wird. Sofort fällt einem Caspar David Friedrich ein, seine Landschaftsbilder sind zu Ikonen der Romantik im Bild geworden, es geht um die Landschaft als Seelenspiegel und natürlich auch um das Erhabene.

    - Christiane Vielhaber, Sie waren in Bad Homburg. Was davon spiegelt sich in der modernen Kunst, und wie?

    Christiane Vielhaber: Da greife ich Ihr Nacktsein auf. Wenn es in dieser Ausstellung um Nacktsein geht, dann geht es um den Wunsch des Menschen, wieder eins zu sein mit der Natur, nackt in der Natur zu leben, also auch diesen Mythos von der Ursprünglichkeit. Es ist ein Künstler dabei, der hat Einsiedler oder Asketen fotografiert, die für sich ganz einsam in der Landschaft leben. Komischerweise ist einer dabei, der da nackt herumläuft. Und der hat bemerkenswerterweise ein Hakenkreuz auf dem Oberarm tätowiert. Und dann kann man sich so ein bisschen vorstellen, dass dieser Rückzug in die Natur so etwas von Läuterung hat.

    Sie haben Fotos von Darren Almond und Sie kriegen Caspar David Friedrich auch bei den ausländischen Künstlern nicht aus dem Kopf, der die Kreidefelsen bei Vollmond fotografiert hat, weil er hat sie so fotografiert, dass wir im Hintergrund natürlich dieses Bild dieser Kreidefelsen von Caspar David Friedrich haben. Das ist jetzt aber so verfremdet und so wunderbar und so geheimnisvoll.

    Oder ganz hinreißend eine andere Form von Nacktheit. Marina Abramovic liegt am Ufer des Stromboli, an der Insel, Sie sehen nur ihr wunderbares Profil. Und dann sehen Sie: Von hinten 20 Minuten lang kommen immer Wellen und die spülen teilweise kleine Steinchen so auf ihren Hals. Und dann kommt wieder eine Welle, dann wird das alles weggespült, die bewegt sich überhaupt nicht. Und dann denken Sie, wann kommt endlich die Welle, die alles wegspült. Und ich muss Ihnen sagen: 20 Minuten so ein Video sich anzugucken – ich bin dann immer wieder zurückgelaufen und habe gedacht, sind jetzt noch die Steinchen da, was passiert. Aber es sind die ganzen 20 Minuten wohl eigentlich nichts passiert, wo sie ganz ruhig da liegt, eins mit dem Wasser.

    Fischer: Aber es ist eine Art Meditation. Meine Frage wäre: Was macht diese Fotografie oder auch diesen Film zu einem Widerhall der Romantik? Ist es das Verwunschene, das irgendwie Geheimnisvolle – Sie haben vorher schon von Geheimnis gesprochen -, ist es das Nicht-Eindeutige?

    Vielhaber: Letzteres ja.

    Fischer: Und muss es inszeniert werden. Oder findet man es so in der Natur?

    Vielhaber: Es sind nicht eindeutige. Es hat dann aber auch einen Hang zu einem hinreißenden Kitsch. Ein Künstler ist dabei, der erzählt, wie er zu dieser Arbeit kommt. Er wollte eigentlich abends zu Freunden auf eine Party gehen, geht über so eine Brücke und sieht da unten Schwäne, die wie gülden aussehen. Und er verzichtet darauf, auf diese Fete zu gehen. Und filmt jetzt diese Schwäne. Und als ich das erst mal gesehen habe, habe ich gedacht, das ist jemand, der so Vögel oder Tiere mit den Fingern macht: Dann haben Sie drei Schwäne, dann erkennen Sie plötzlich acht. Und dann hören Sie Wagner-Musik und dann liegen Sie also wirklich flach auf dem Boden. Damit das aber nicht abgleitet, dann merkt man: Er ist mitten in der Stadt, irgendwo in München, dann hören Sie Autos hupen und hören Sie Menschen, dass das Ganze doch gedämpft wird. Aber allein diese Schwäne, was denkt man dann? – An Lohengrin. Und dann diese Wagner-Musik. Also Sie werden auch ein bisschen eingelullt, was letztlich auch Spaß macht.

    Fischer: Sagen Sie, Frau Vielhaber, ist das Romantische ein Topos, der heute wirklich noch angewendet werden kann. Oder ist das sozusagen eine schöne Kuratorenidee, zu der es zufällig dann auch Bilder gab?

    Vielhaber: Frau Fischer, es war jetzt vor 14 Tagen oder drei Wochen, wir haben hier darüber gesprochen, die große Ausstellung über die schwarze Romantik, über die Nachtseiten der Romantik, die im Städel zu sehen war, dass Romantik eben nicht nur der Taugenichts ist, der durch die Welt zieht und flötet und tut und macht. Oder nicht nur Novalis, der nach der blauen Blume sucht, sondern da waren auch die letzten Hexenverbrennungen, da waren Nightmare. Ich glaube, in unserer Zeit ist eine Sehnsucht nach Romantik. Ich glaube, in diesen Fällen geht es weniger um Romantik, sondern um eine Sehnsucht nach etwas, was wir verloren haben. Ich will nicht von Paradies reden, aber all diese Bilder sind letztlich auch da, wo es um die schwarze Romantik geht – heißt, dass wir darüber nachdenken, dass es doch etwas gibt, was außerhalb unserer säkularisierten Welt ist, außerhalb unserer Banalität und was uns auch Rätsel aufgibt. Aber letztlich auch zeigt irgendwie, dass es was schönes gibt.

    Fischer: Und ist das Meer nicht aber an sich erhabener als jedes Abbild von ihm?

    Vielhaber: Na ja, Sie müssen ja vor dem Meer sitzen, um diese Erhabenheit zu begreifen. Nur das Fotografieren eines Meeres ist es nicht, Sie müssen das erleben. Und Sie müssen vor diesen Kreidefelsen sitzen, dann kriegen Sie ein Gefühl dafür. Oder die witzigste Arbeit eigentlich von Chris Martin: Der hat sich einfach einen Findling genommen und auf diesem Findling ist noch nicht mal so groß wie ein Streichholz aus Papier ein kleines Kreuz, das ist das Gipfelkreuz, und Sie stehen davor und sind kurz vorm Beten.

    Fischer: Vielen Dank, Christiane Vielhaber, für diese Einblicke in die Ausstellung "Im Schein des Unendlichen". Romantik und Gegenwart in einer Ausstellung im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg vor der Höhe.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.