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Romantiker mit Ausdruckskraft

Lange Zeit war Ludwig Hoelscher der einzige deutsche Cellist, der in einem Atem mit Größen wie Mstislaw Rostropowitsch, Pablo Casals und Pierre Fournier genannt wurde. Charisma war ihm nicht zu eigen, dafür aber ein hohes Maß an Disziplin und Ehrfurcht vor der Musik.

Von Sabine Fringes | 23.08.2007
    Ein Wunderkind war er nicht und wollte er auch nie sein. Das Cello-Spiel sei ihm vielmehr regelrecht "eingebimst" worden. Ludwig Hoelscher, am 23. August 1907 in Solingen geboren, wuchs als jüngstes Kind eines Juweliers und leidenschaftlichen Geigers auf, dessen sehnlichster Wunsch es war, eines Tages gemeinsam mit seinen drei Söhnen ein familiäres Streichquartett auf die Beine zu stellen.

    Der sechsjährige Ludwig bekam das Cello an die Hand, einen strengen Lehrer und die Aufgabe, jeden Tag wenigstens eine halbe Stunde lang zu üben. Drei Jahre später ist es soweit: Gemeinsam mit dem Vater spielen die drei Jungs Streichquartette aus dessen großer Musikbibliothek, unter anderem von Haydn, Mozart und Schubert. Eine ideale Pflege der Hausmusik habe er in seiner Kindheit erfahren, sagt Hoelscher später.

    Das Spiel in kleinen Besetzungen bildet das Zentrum seiner Laufbahn, die ihn unter anderem mit Künstlern wie Walter Gieseking, Gehard Taschner, Wilhelm Kempff und Elly Ney zusammenführt. Hoelscher:

    "Die Kammermusik macht Stille in uns, so dass wir hören können. Erst mit dem Hören beginnt die Musik."

    Ludwig Hoelscher studiert in Köln, München, Leipzig und Berlin, unter anderem bei Wilhelm Lamping, von dem er eine besondere Daumentechnik übernimmt und weiter entwickelt. Der eigentliche Startschuss für seine Karriere ist die Bekanntschaft des 22-jährigen mit der damals auf dem Höhepunkt ihres Ruhms stehenden Pianistin Elly Ney, die bald gemeinsam mit ihm und dem Geiger Wilhelm Stross das Elly-Ney-Trio gründet.

    Als er mit 29 dem Ruf auf eine Professur an der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin folgt, hat auch schon seine internationale Laufbahn als Solist begonnen, die ihn durch die ganze Welt führen wird: durch den Nahen, Mittleren und Fernen Osten, nach Nordafrika, in die USA, nach Kanada, Süd- und Mittelamerika. Karl Böhm, Wilhelm Furtwängler, Eugen Jochum, Herbert von Karajan – kaum ein namhafter Dirigent, unter dem Hoelscher nicht gespielt hätte. Bei all den vielen Reisen und Auftritten bewahrt er sich die Lust am Musizieren. Besonders gerne übt er in der Eisenbahn:

    "Ich glaube, dass in den Werken der Kunst die Kraft des Guten fortwirkt. Folglich ist es auch nicht vergebliche Liebesmüh, zu spielen und wieder zu spielen und in einem Zuge durch 20 Länder zu ziehen."

    Neben dem klassischen Repertoire setzte sich Hoelscher auch ein für Raritäten: Werke von Paul Hindemith und Max Reger machte er erst eigentlich bekannt. Als er am 8. Mai 1996 im Alter von 89 Jahren starb, hatte er mehr als 50 ihm gewidmete Kompositionen uraufgeführt, unter anderem von Hans Pfitzner, Wolfgang Fortner, Hans-Werner Henze und Ernst Krenek.

    Dabei war Hoelscher keine derart charismatische Persönlichkeit wie Pablo Casals, als dessen deutsches Gegenbild er mitunter galt. Disziplin und Ehrfurcht vor der Musik prägten das Leben des in Tutzing wohnenden Familienvaters. Und auch im Unterricht nahm er sich zugunsten seiner Schüler zurück.

    Ganz anders begegnet er dem Zuhörer in seinem Spiel: Ein Romantiker mit einer unmittelbaren, vitalen Ausdruckskraft, bei der die Schönheit des Klangs im Vordergrund steht. Hans Werner Henze schrieb fasziniert, dass jeder Ton Hoelschers seine ganz bestimmte Klangqualität entwickelt – bis er zur nächsten übergeht:

    "Das Cello nicht mehr als Streichinstrument, sondern ein vibrierender, schwebender, geheimnisvoller Weltenraum."